Werner knallhart
Die vom Ticket-Aufwand genervten Kunden sind Kolleginnen und Kollegen, die bei typischen internen Service-Abteilungen wie Gebäudemanagement und IT-Service ihres Unternehmens um Hilfe bitten. Quelle: imago images

„Noch ein Ticket und ich kündige!“

Die Idee, jedem Kundenanliegen ein Ticket zuzuteilen, ist superpraktisch. Auch im Büro. Aber die deutsche Bürokratie kriegt die besten Verwaltungsideen kaputt und killt das früher schnell Erledigte. Eine Kolumne.

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Ganz ganz früher, da bedeutete „Ticket aufmachen“, dass man sicherheitshalber vor dem Aufbruch ins Theater den Brief mit den Logenkarten aufreißt, um mal zu gucken, ob die Buchungshotline am Telefon auch wirklich alles richtig verstanden hatte. Das war vor meiner Zeit.

Begegnet ist mir dieses „Ticket aufmachen“ vor Jahren zum ersten Mal im Gespräch mit Callcentern. Amazon, Tui, Vodafone, Rewe Lieferservice, selbst Mittelständer machen heute natürlich längst Service-Tickets auf. Das Online-Business macht es möglich und nötig. Die Kunden kommen halt nicht mehr mit Zetteln rein.

Meistens hieß es nur: „Ah ja, ich sehe, was meine Kollegin da bei Ihrem letzten Anruf eingetragen hat. Alles klar.“ Nur selten fiel das Wort „Ticket“.

Wenn ich nicht irre, stammt das Ticket-System ja – wie so vieles Gute im Bereich Prozessmanagement – aus der IT. Wie können unterschiedliche Anforderungen von Seiten der Kunden innerhalb eines Projekts oder einer Aufgabe so gebündelt werden, dass alle daran arbeitenden Dienstleister den Überblick behalten, ohne einzeln mit dem betreffenden Kunden Rücksprache zu halten (was sehr ineffizient wäre)?

Antwort: Man eröffnet eine Miniakte mit dem betreffenden Vorgang, auf die alle Eingebundenen Zugriff haben. Das Ticket. Das sorgt für die nötige Transparenz. Herrlich. Wirklich!

Aber was haben wir mittlerweile aus dieser guten Idee gemacht? Ich kenne das Ticket mittlerweile auch als Prozessaufbläh- und Arbeitsvermeidungstool. Wenn die Kunden nämlich einfach kein Bock auf den Ticket-Aufwand haben. Und mit Kunden sind hier die firmeninternen Kunden gemeint. Kolleginnen und Kollegen, die bei typischen internen Service-Abteilungen wie Gebäudemanagement und IT-Service ihres Unternehmens um Hilfe bitten.

Ja, ganz oft macht das Ticket-System wirklich Sinn. Selbst Urlaube einzelner sind dann kein Problem; alle relevanten Infos sind ja dann im Ticket hinterlegt. Aber wenn es etwas zu verwalten gibt, dann lieben wir Deutsche den Exzess. Die folgenden Beispiele habe ich entweder selber erlebt oder kenne es aus meinen Gesprächen mit Freuden und als Berater.

Ticket 1: Realität überholt Ticket

Anruf bei der IT-Abteilung: „Mein Firmen-Passwort ist abgelaufen. Ich komm nicht mehr ins System. Können Sie mir helfen?“

Der Service-Kollege bittet um eine interne Nachricht per Fax (E-Mail geht ja mangels Passwort nicht) samt Unterschrift, um zu belegen, dass der echte Kollege um ein neues Passwort bittet. Danach wird umgehend ein neues Einmal-Passwort erteilt. Nach rund einer Stunde ist alles erledigt. Als der erlöste Kollege gut gelaunt seinen E-Mail-Account öffnet, erreichen ihn in den folgenden Minuten nacheinander zwei E-Mails:

Betreff 1: „Ticket eröffnet: Erteilung Einmal-Passwort“

Betreff 2: „Ticket geschlossen: Erteilung Einmal-Passwort“

Offenbar hat der IT-Kollege nachträglich das Ticket erst eröffnet und dann wieder geschlossen. Im Idealfall war wohl noch Arbeitszeit zu verblasen. Aber im Zweifel ist der hilfsbereite Kollege für dieses Verwaltungs-Brimborium zu bedauern.

Ticket 2: Ticketeröffnungs-Zirkus verhindert Verbesserung

Wegen eines defekten höhenverstellbaren Schreibtischs wurde ein Arbeitsplatz, der von mehreren Kolleginnen und Kollegen abwechselnd genutzt wird, in ein Ausweichbüro verlegt. Der PC zog mit. Einige Wochen später ist der Schreibtisch repariert.
Einer der betroffenen Kollegen wird gebeten, ab jetzt wieder im alten Büro Platz zu nehmen. Doch der PC steht noch im Ausweichraum. „Kann der Kollege von der IT das Ding eben noch schnell drüben anschließen?“ Antwort: „Bitte ein Ticket eröffnen.“ „Ihr wollt doch, dass ich umziehe. Dann bleibe ich einfach im Ausweichbüro.“

So passiert. Am nächsten Tag war der PC ohne seine Ticket-Initiative umgeräumt. Was steckt dahinter? Die immer wieder für Verwirrung sorgende Konstellation, dass der- oder diejenige, die um die Erledigung einer Aufgabe bittet, gar nicht Auftraggeberin im eigentlichen Sinne des Zuständigkeitsgefüges ist, sondern einfach darauf hinweist, dass hier eine Aufgabe noch nicht erledigt wurde, die aber erledigt werden muss.

Wenn Leute aus dem Team durch das Ticketsystem offiziell zu Auftraggebern werden, nur weil sie auf Verbesserungsmöglichkeiten oder -notwendigkeiten hinweisen, schreckt das ab. Nicht nur der Aufwand, sondern auch die schriftlich niedergelegte Verantwortung für die Eröffnung des Tickets.

Ich kenne Fälle, da bitten Mitarbeitende etwa um einen Ventilator im Büro und Monate später flattert ihnen als den Ticket-Initiatoren die Frage nach der Kostenstelle auf den Schreibtisch. Sie haben unwissentlich durch ihre Bitte einen Bestellprozess ausgelöst, für den sie nun offiziell geradestehen. Diskussion um „das wusste ich doch nicht“ inbegriffen.

Ticket 3: Prozess-Gewiggel zur Arbeitsvermeidung

Beispiel: Seit Wochen steht wegen eines Umbaus die große, schön gewachsene Büropalme in ihrem schweren Topf im Flur. Wichtig zu wissen: ohne Fenster. Was für die meisten Pflanzen auf kurz oder lang das Todesurteil ist. Ein Mitarbeiter aus dem Großraumbüro bittet den Hausmeister per Mail: „Können Sie den Topf nicht wieder ins Licht schieben?“ Antwort: „Bitte ein Ticket eröffnen.“

Haben Sie schon einmal ein Palme-ins-Licht-Ticket eröffnet? Also, ich hätte da nicht beratend beistehen können. Ergebnis: Das Büroteam hat sich zusammengetan und hat die Pflanze selber verschoben. Geht auch. Mangels Ahnung von Gebäudeservice-Ticket für den Posten „schnell mal eben anpacken“.

Letztendlich ließe sich jede Bitte um einen Kugelschreiber, jedes Angebot zu einem gemeinsamen Kaffee in einen Prozess mit Ticket ummünzen. Wie geht das weiter?

Wenn wir es mit der Ticket-Bürokratie übertreiben, dann schaffen diese Prozess-Bündelungen nicht Freiräume durch effizientes Arbeiten im Team, sondern – kosten erstens mehr Zeit als ohne – verhindern zweitens Verbesserungen auf dem kurzen Dienstweg im Team – und werden drittens vorgeschoben, um Prozesse so aufzublähen, dass das Team die Motivation verliert, Dinge anzuschieben.

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Klären wir also einfach einmal gemeinsam im Team die eine allen Tickets vorgelagerte Frage: „In welchen Fällen liefe es erfolgreicher ohne?“

Ticket geschlossen.

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