Werner knallhart
Quelle: dpa

Verödung der Citys: Lasst die Läden endlich sonntags auf!

Es geht los: Wegen Corona machen in attraktivsten Innenstadtlagen deutscher Metropolen die ersten Geschäfte für immer zu. Stadtoberhäupter befürchten den Kahlschlag und suchen nach modernen Konzepten, die Menschen ins Zentrum zu locken. Aber ausgerechnet sonntags sollen sie wegbleiben! Läden zu. Das ist altertümlich, bevormundend und killt Arbeitsplätze.

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Stellen Sie sich vor, wir dürften künftig mittwochs nicht mehr einkaufen. Irre! Aber nur, weil wir es nicht anders kennen, finden wir uns damit ab, dass wir es sonntags nicht dürfen. Ist das nicht auch irre? So machen wir unsere Innenstädte sehenden Auges kaputt.

In der Coronakrise lernen wir Schlag auf Schlag, wo wir gesellschaftlich nicht zukunftsfähig sind. Unsere Schulen sind in der Kreidezeit hängen geblieben. Homeoffice scheitert mitunter am schlechten Internet. Unsere Betriebe, Behörden, Kitas und Schulen haben keine modernen Lüftungsanlagen, es droht der Aerosol-Horror in der kalten Jahreszeit. Das alles besser zu machen, ist umständlich, teuer und dauert.

Aber einiges ließe sich mit einer Zeile im Gesetz schnell verbessern. Warum müssen unsere Innenstädte am Sonntag verrammelt sein? Jetzt, da wir spüren, wie es sich anfühlt, wenn wir das gesellschaftliche Leben ausbremsen: Warum wollen wir es dort, wo Corona uns nicht zwingt?

Der Gesetzgeber erlaubt uns, am Sonntag frische Brötchen beim Bäcker zu kaufen. Hui! In unserem Land dürfen wir sonntags frische Brötchen essen. Ich gehe dafür jedes Wochenende aus Dankbarkeit auf die Knie. Aber: Was, wenn jemand stattdessen frischen Fisch möchte? Frischen Salat? Ja, dann lautet die Lösung: Iss ein frisches Brötchen. Oder geh ins Restaurant.

Mit rationalen Argumenten lässt sich das längst nicht mehr begründen. Um zu erklären, dass sonntags gefälligst Ruhe zu herrschen hat in Deutschland, bleibt den Befürwortern nichts mehr übrig, als mit der Bibel zu schwenken.

Und den Gewerkschaften gelingt es schon seit Jahrzehnten nicht, überzeugend zu vermitteln, warum Verkäuferinnen und Verkäufer im stationären Einzelhandel so viel weniger flexible Menschen sind, als alle anderen.

Wenn Verdi es mit allen Menschen gleich gut meinen würde, dann müsste die Gewerkschaft fordern, dass Züge am Sonntag still stehen, Flugzeuge am Boden bleiben, Kinos, Museen und Theater geschlossen. Fernsehsender würden schwarz senden, es gäbe keine Radionachrichten, keine Fahrten mit Ausflugsdampfern, keinen Kuchen im Lieblingscafé, kein Steak im Restaurant, kein Taxi, keinen Bus, keine U-Bahn.

Das fordern die Gewerkschaften aber nicht. Sie klammern sich an die letzte Bastion an Kunden-Feindlichkeit, die ihnen noch geblieben ist. Läden dicht! Ohne Grund. Denn alle anderen Branchen zeigen, dass sich Arbeit am Sonntag mit Zuschlägen attraktiver und mit freien Tagen in der Woche ausgleichen lässt. Aus Umfragen und Gesprächen weiß ich: Viele Verkäuferinnen und Verkäufer wären dafür.

Und wer findet: „Es ist doch so schön, wenn es sonntags draußen so schön ruhig ist“, dem empfehle ich ein Leben auf dem Land oder Oropax.



Einkaufen ist keine Schande. Verkaufen auch nicht. Wie man es dreht und wendet – es ist klar: Einzelhändlern zu verbieten, am Sonntag zu öffnen, ist reine Willkür. Im Wesentlichen ziehen da nur noch Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst gleich. Nur die werden von Steuergeldern bezahlt. Im Einzelhandel winken zusätzliche Umsätze im freien Markt. Lasst die Leute machen. Damit nämlich die Innenstädte endlich zu dem werden, was sie werden müssen, damit sie nicht veröden. Plätze, an denen man gerne seine freie Zeit verbringt.

Und das soll ausgerechnet mit geöffneten Läden gelingen? Ja! In den vergangenen Jahrzehnten sind unsere Fußgängerzonen zu Rummelplätzen entlang einheitlicher Ketten-Meilen geworden: dm, Tchibo, Zara, Apotheke, H&M, McDonald´s, Pimkie, Footlocker, Apotheke, Kamp's, Rossmann, P&C, Starbucks, Karstadt, Douglas, Nordsee, Apotheke, Apollo, Thalia, Jack & Jones, Lush, Primark. Kennst du eine Fußgängerzone, kennst du alle.

Doch der Einzelhandel gibt Marktanteile an den Online-Handel ab. Warenhäuser machen dicht. Ketten ziehen sich zurück. Ladenflächen werden frei. Corona beschleunigt den Trend. Selbst in besten Lagen wie der Frankfurter Zeil – am Rande der durch Homeoffice verwaisten Hochhäuser. Was soll mit dem freien Platz entlang unserer Shopping-Meilen passieren?

Unsere Innenstädte vertragen keine Quirligkeits-Verbote mehr

Die deutschen Fußgängerzonen könnten sich neu erfinden. Wenn sie etwas entwickeln, das mehr Spaß macht, als im Internet zu bestellen. Wofür es sich lohnt, ins Zentrum zu kommen.

Es kristallisiert sich raus: Verdrängte Elemente kommen zurück. Es wird eine irgendwie geartete Mischung sein aus übriggebliebenen Ketten und neu dazugekommenen individuellen Boutiquen, Cafés, Restaurants, Galerien, Museen, Spielplätzen, Kleinkunst-Gewerben, Wohnungen. All das, weil die Mieten sinken könnten oder weil die Städte den Trend zur neuen Blüte fördern wollen – etwa auch mit neuen städtebaulichen Konzepten (in Bielefeld etwa soll der Karstadt-Kotz einem ganz neuen quirligen Quartier weichen).

Und wann wird ein solches Stadtleben am attraktivsten? Wenn die Leute Zeit haben zu kommen. Und das ist sonntags. Ausgerechnet dann würden nach dem ollen Ladenschluss die Geschäfte schließen müssen. Cafés stünden zwischen verschlossenen Glasfronten da. Weil Shopping nach Lesart der Konservativen (also auch der Gewerkschaften) pfui ist. Kultur ist denen nur das, was Subventionsgelder verschlingt.


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Unsere Innenstädte vertragen keine Quirligkeits-Verbote mehr. Zukunftsgewandte Kommunen versuchen deshalb verzweifelt, den Ladenschluss auszuhebeln, indem sie etwa als den für die Sonntagsöffnung geforderten besonderen Anlass nicht etwa Stadtfeste im Umfeld anführen, sondern Corona, um den Händlern Nachholpotenzial zu bieten. Das Oberverwaltungsgericht von NRW hat das allerdings vergangene Woche verärgert als offenkundig rechtswidrig vom Tisch gewischt. Zurecht. Denn unser Grundgesetz und auch einige Landesverfassungen (Ladenschluss ist Angelegenheit der Länder) greifen auf, was schon in Artikel 139 der Weimarer Verfassung stand: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

Es ist aber anerkannt, dass sich diese eingebaute Spaßbremse mit Zweidrittelmehrheit streichen ließe, ohne die Ewigkeitsgarantie für die Grundrechte zu verletzen.

Die Idee, den Menschen vorzuschreiben, wie sie ihre Seele erheben sollen, wäre nicht die erste, die aus der Zeit gefallen ist und deshalb aus der Verfassung fällt. Unser Grundgesetz wurde schon viel fundamentaler angepasst: Aufbau einer Armee. Die Möglichkeit, Teil der EU zu sein. Deutsche Einheit. Föderalismusreform. Ein Staat, der seinen Bürgern an einzelnen Tagen verbietet zu tanzen und an Wochenenden einzukaufen, erzieht seine Schäfchen zur Transusigkeit.

Es wäre schon schön, wenn unsere Verfassung es uns erlauben würde, selber zu entscheiden, wie wir unser Wochenende verbringen. Und wer uns dabei gegen Geld unterstützt. Und auch, wie wir unsere neu entwickelten Innenstädte zu Orten der Begegnung machen. Arbeitsplätze zu erhalten, kann schließlich auch erhebend sein für die Seele.

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