Werner knallhart
Quelle: Unsplash/Seb Creativo

Wo bleiben die beheizten Jacken bei H&M, Otto und Zalando?

Es gibt so viel Schnickschnack ohne großen Alltags-Nutzen, nach dem Motto „Weil es technisch möglich ist“. Aber ausgerechnet elektrisch beheizbare Kleidung setzt sich nicht durch. Unser Kolumnist hat sich eine gefütterte Weste mit Akku gekauft und will gar nicht mehr rein ins Warme.

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Rennen Sie im Winter auch rum wie ein Michelin-Männchen mit eingezogenem Kopf? In dick mit Daunen oder irgendwelchen Mikrofasern aufgepusteten Stepp-Jacken? 

Winterjacken sind fast immer ein Kompromiss zwischen modisch und mollig. Funktionalität schlägt Flirtfaktor. Im Winter sind wir so gesehen alle gleich. Unförmige Aufblastiere mit kleinen Köpfen.

Das wäre alles nicht so schlimm. Aber gehen Sie mit einer schön warmen Winterjacke mal in ein Einkaufszentrum. Innerhalb weniger Minuten läuft einem die Staunässe die Wirbelsäule runter. Mit Ohrensausen schält man sich dann aus der heißen Umklammerung des Isolations-Monsters. Und rennt danach mit einem Haufen an Textil über dem Arm (in die Taschen gestopft noch Schal und Mütze) durch die Gänge und wünscht sich nur nach Hause aufs Sofa.

Oder im Kino! In den wenigsten Häusern gibt es Garderoben. Dann hofft man darauf, dass sich keiner neben einen setzt, damit man dort Berge von Jacken von sich und seiner Begleitung auftürmen kann. Aber ist der Eisverkäufer gerade wieder raus, da drängeln sich verdammt noch mal doch noch Leute durch die eigene Reihe und gucken einen stumm aber erwartungsvoll mahnend an: Jacke weg da!

Und dann wühlen Sie Ihre Daunen- und Wattehaufen wieder zu sich rüber, die Nachos mit Käsesoße und Jalapeños in der anderen Hand, vorne geht der Film los, aber bei Ihnen geht es ja um anderes. Dort muss erstmal die Luft aus den abgesteppten Kammern gepresst werden. Dann kommt die Jacke irgendwo geballt hinter den Rücken. Das wird kein schöner Abend.

Und der Tiefpunkt: Bus fahren in Winterjacken. Da läuft das von den Massen ausgeatmete Kondenswasser die Scheiben hinab und man selber wischt und saugt es unwillkürlich in jeder Kurve mit der Schulter am Glas und aus der unteren Gummirille auf, weil die Imprägnierung an den dicken Armen auch nicht ewig standhält. 

Unterm Strich: Wir fliegen bald bemannt zum Mars, aber versauen uns auf Erden die Winterzeit wegen unflexibler Klamotten. Dabei gäbe es da ja eine Lösung: beheizte Jacken. Elektro-Westen. Akku-Mäntel. Wieso setzen die sich nicht durch?

Es gibt ja immer mal wieder Innovationen, die sind am Anfang ein toller Gag, aber irgendwie auf Dauer blöd.

Beispiel: LED-Gartenfackeln mit kaltweißem Licht, die den Vorgarten vom Pflanzenkasten aus ausleuchten wie einen Supermarktparkplatz: in grellem, blaustichig weißem Licht.

Oder elektrische Pfeffermühlen oder Zitruspressen mit Motor: Für Leute mit Sehnenscheidenentzündung ein Segen, aber man benötigt diese Erkrankung heute auch wirklich als Rechtfertigungsgrund.

Sie wissen, was ich meine. Dieses ganze Tchibo-Zeug.


Ganz im Gegenteil dazu elektrisch beheizbare Kleidung. Ein Freund kam damit vergangenen Winter auf den Weihnachtsmarkt. Ich dick aufgepustet in Daunen. Er mit Übergangsjacke. Diese alte Frostbeule? Bei fast null Grad! Grinsend zog er den Reisverschluss runter. Darunter offenbarte sich sein ganzer Stolz: eine dünne Steppweste. Auf deren Brustteil ein rot leuchtender Knopf. Im Dunkeln hatte das was von StarWars. Er trällerte: „Fühl mal. Die heizt elektrisch. Rotes Licht heißt: heißeste Stufe. Weiß heißt: mittlere Temperatur. Bei blau heizt die Weste lau. Der Akku steckt in der Innentasche und hält stundenlang. Die Weste hat Wärmeflächen auf dem Rücken und dem Bauch.“ Er kam aus dem Schwärmen ja gar nicht mehr raus.

Ich: „WAAAS?“ Ich, der Early-Adopter, brauchte zur Beruhigung einen Glühwein. Ich hatte noch nie etwas von so einem geilen Ding gehört! Nun bin ich aus Deutschland. Deshalb fragte ich sofort nach der Auskunft zum Preis (35 Euro ohne Akku): „Hat die ein GS-Siegel, hat die ein CE-Zertifikat? War da der TÜV Rheinland dran? Was, wenn der Thermostat kaputt geht? Fängt die Fütterung dann an zu brennen? Ist die made in Germany, oder zumindest EU oder USA? Sag es. SAG ES MIR!“

Lasst den Winter kommen

Mein Freund zuckte mit den Schultern: „Also die ist von diesem einen chinesischen Online-Dingsbums da. Drei Wochen Lieferzeit.“ Na toll. Damit war das Projekt "Marcus steigt auch auf Elektro-Klamotten“ um, direkt tot. Wahrscheinlich noch ein Glück, dass das Gerät beim Import am europäischen Zoll nicht gesprengt worden war.

Zwei Monate später war das Teil kaputt. Das war im Februar. 

Aber das konnte doch nicht alles gewesen sein. Als ich vor zwei Wochen mit dem Elektro-Scooter (ruhig Blut, es war ein Motorrad, kein Stehroller) durch die Stadt fuhr, merkte ich, dass der Sommer am Ende war. Mich fröstelte und ich dachte wieder an diese Weste. Zuhause suchte ich im Internet nach „heizbare Jacke“, „beheizte Weste“ und ähnlichem. Ergebnis: Bei Otto erschien ein trauriger Smiley. Bei den Treffern zu H&M hatte Google das Wort „beheizte“ durchgestrichen, damit überhaupt was kam. Auch bei Zara Fehlanzeige im wahrsten Sinne. Und Zalando zeigte unter dem Suchbegriff „Heizweste“ unter anderem Duschgel an - und einen Rock in Leopardenfell-Optik.

Unter namhaften Herstellern bieten allein Firmen wie Bosch oder Makita Heizjacken an. Als Berufskleidung für Waldarbeiter und so. In entsprechend zweckmäßig-rustikalem Design. Kinners!

Und dann Amazon. Dort gibt es, scheint mir, im Wesentlichen ein oder zwei White-Label-Einheitsmodelle eines chinesischen Herstellers, die unterschiedliche Firmen mit ihren Logos bedruckt für vierzig bis sechzig Euro unter die Leute bringen. Teilweise mit offenbar sehr veralteter KI übersetzten Produkt-Texten. Aber nicht alles, was dort geschrieben steht, ist richtig falsch: „Wenn Menschen im kalten Winter ausgehen, müssen Sie normalerweise einen dicken Mantel tragen und sehr fett werden.“ Sag ich ja.

Allerdings: Von irgendwelchen europäischen Qualitätssiegeln ist zumindest in meinen stichprobenhaft ausgewählten Shops keine Rede. Und die Verkäufer sitzen in 518.000 Guang Dong und so.

Doch dann habe ich bei Amazon eine Weste gefunden. Für 130 Euro. Und gekauft. Vom US-Anbieter Ororo. Nie gehört. Inklusive Akku (der auf mittlerer Stufe stundenlang hält), aufladbar über das mitgelieferte USB-Ladegerät. Verkäufer und Versender Amazon, CE-Siegel für die Batterie. Und sogar mit Heizelement im Nacken, wie alle anderen auch waschbar in der Maschine. Ich habe mal auf der US-Seite von Ororo geguckt: Die bieten sogar mit Daunen gefütterte Heizwesten an. Allerdings nicht bei Amazon in Deutschland. Meine ist mit Kunstfasern gefüllt. Naja. Ich kann Ihnen dennoch erleichtert sagen: Lasst den Winter kommen.

Die „Russenpeitsche“ mit der minus 30 Grad kalten Luft aus Sibirien schreckt mich nicht mehr. Ich drücke einfach auf meine Brust und rufe mit dampfendem Atem: „HA!“ (Mehr Gebrüll ist nicht gut für die Bronchien bei der Kälte.)

Und gehe ich in einen Laden, setze ich mich in ein Auto oder die U-Bahn, dann akklimatisiere ich mich sofort per Knopfdruck an die Raumtemperatur. In meiner Elektro-Steppweste unter meiner dünnen Herbstjacke, über der Anzugjacke oder unter meinem Mantel. Und die dicke Daunenjacke im Michelin-Männchen-Stil bleibt bis zur klirrenden Kälte im Schrank. Auch unter die passt dann die Heizweste.

Warum sind beheizbare Klamotten bloß eine solche Nische? Wieso haben die großen Ketten da nichts zu bieten? Haben die Angst vor technischen Pannen? Oder haben die geschlafen?

Ein chinesischer Shop zumindest schreibt auf seiner deutschen Amazon-Händlerseite: „Großes Geschenk für Vater/Mutter/Großvater/Großmutter/Großvater mütterlicherseits/Großmutter mütterlicherseits, achten Sie gut auf ihre Gesundheit.“

Schnell, schnell, schnell, Zalando, Otto, H&M, Zara, P&C, BOSS, Gerry Weber, Wormland, Adidas und wie ihr alle heißt. Nicht, dass wir Europäer uns auch noch beim Thema Mode überholen lassen. Nur weil da jetzt ein Akku drin ist.

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