Werner knallhart
Zuckergetränke und Tabakwerbung - Wirtschaft geht vor Gesundheit Quelle: imago images

Zucker und Tabak: Wirtschaft geht vor Kinder-Gesundheit

Viele EU-Länder versuchen ihre Bürger bestmöglich vor Herzinfarkt und Krebs zu schützen. Aber die Bundesregierung sagt, Bürger seien mündig, und erlaubt Tabakwerbung nahe Schulen und perverse Zucker-Getränke.

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Wer von Deutschland aus noch einmal andere Länder als Bananenrepubliken bezeichnet, sollte sich zuvor klarmachen, wie schlimm die Bundesregierung seit Jahren herumrudert, um uns weiszumachen, dass es gut ist, dass die zuckerverarbeitende Industrie selber bestimmen darf, wie viel Zucker in die Produkte darf – etwa in die Limonade. Oder dass es doch Bevormundung wäre, der Tabakindustrie Werbung im Kino und auf Plakatwänden auf dem Schulweg zu verbieten – also da, wo man junge Leute erreicht. Obwohl der Rest der EU genau das flächendeckend verboten hat.

Fangen wir mit der Tabakwerbung an. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Zigarettenkonsum tötet. Steht sogar fett auf den Schachteln.

Der Konsum anderer Produkte tötet auch. Alkohol zum Beispiel. Oder Kochsalz. Mit dem Unterschied, dass unser Organismus in der Lage ist, Alkohol und Kochsalz bis zu einer bestimmten Menge gut zu verarbeiten, ohne dass Schaden droht.

Tabakrauch hingegen schädigt den Körper vom ersten Zug an. Es gibt keine unbedenkliche Menge. Das hat sich mittlerweile in zivilisierten westlichen Gesellschaften rumgesprochen. Rauchen gilt als uncool. Und weil es keinen anderen Grund gibt, mit dem Rauchen anzufangen, als den, cool zu sein, haben Zigaretten ohne Werbung keine Zukunft. Super, oder? Eine tödliche Droge weniger. Selbst Raucher behaupten ja nicht, dass Rauchen unbedenklich ist. Eine Welt ohne Zigaretten wäre eine gesündere.

Warum verbietet die Bundesregierung also nicht die Werbung? Für weniger Krebs und mehr glücklichere Menschen im Land? Es kann nur eine Antwort geben: Weil ihnen die Interessen der Tabakindustrie wichtiger sind, als die Gesundheit unserer Kinder.

Wie aber kann es bloß möglich sein, dass eine von uns allen mehrheitlich gewählte Bundesregierung so unfassbar herzlos wirtschaftliche Interessen einer kleinen Branche vor die gesunde Zukunft der jungen Leute stellt? Es kommt einem vor wie Irrsinn. Aber nur solange man nicht bedenkt, dass die Tabakindustrie Parteiveranstaltungen sponsert.

Der Trick: Schnell noch Lobby-Kohle einstreichen, dann verbieten

Allein von Philip Morris flossen laut Süddeutscher Zeitung zwischen 2010 und 2015 insgesamt 544.000 Euro als Sponsoring-Geld an CDU, SPD und FDP, wie Zahlen des Tabakriesen belegen. Wer in den vergangenen Jahren etwa einen FDP-Bundesparteitag besuchte, sah schon von weitem als erstes ein paar FDP-Banner und den Raucherpavillon beklebt mit den Logos der Tabaklobby. Und Zigaretten-Hersteller verschenkten ihre Produkte vorm Eingang zur Haupthalle gleich schachtelweise.

Wer denkt da noch an die zarten Lungen der Teenager? Nur Integre. Wer sich dem Volk verpflichtet fühlt, der nimmt das Geld der Tabaklobby und verbietet die Werbung trotzdem. Ha! Das wäre zumindest das Gegenteil von Korruption.
Die Grünen wollen eigentlich noch vor der Sommerpause das Werbeverbot im Bundestag zur Abstimmung bringen, SPD-Gesundheitsmann Karl Lauterbach seinen Vorstoß zumindest noch dieses Jahr in der Koalition diskutieren. Wäre das nicht der Königsweg für die Union unter dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, dem bislang die Gesundheit der Jugend hierzulande zweitrangig ist? Wegen ihm, so heißt es, sei das Tabakverbot in letzter Minute aus dem Koalitionsvertrag gekickt worden. Die Rettung: Seine Union würde bis dahin nach Möglichkeit noch einmal schön Kohle der Lobby einstreichen. Dann zuckt die Bundeskanzlerin einfach wieder so gleichgültig müde mit den Schultern und lässt die CDU-Abgeordneten ganz zwanglos nach ihrem Gewissen abstimmen. Dadurch geht das Gesetz der Grünen oder der SPD durch und Kauder könnte der Tabaklobby sagen: „Sorry, der Zeitgeist.“ Hat bei der Ehe für alle doch auch geklappt.

Denn auch in der Union flackert immer wieder der Wunsch auf, beim Werbeverbot endlich menschenfreundlich zu entscheiden. Bislang wurde dieser aber immer noch von den Altvorderen weggekaudert. Und solange werden Teenager in Zeiten ihrer Persönlichkeitsfindung von der Tabaklobby verführt: „Du bist cool, wenn du rauchst.“ Wirkt dann die Abhängigkeits-Droge Nikotin, schnappt die Falle zu. Dieses tödliche Prinzip wird von der Bundesregierung bislang mitgetragen. Das ist Deutschland 2018.

Dem Zucker geht es an den Kragen

Jetzt zum Zucker. Auch die Zuckerindustrie mischt auf Parteitagen mit eigenen Ständen mit. Wohl weil sie ahnt, was ihnen blüht. In Demokratien, die sich am Wohl der Menschen und nicht am Wohl der zahlenden Lobbys orientieren, geht es dem Zucker langsam an die Prozente. Weil zu viel Zucker dick macht und Diabetes heraufbeschwört.

Beispiel Großbritannien: Die Briten wollen weder dick noch krank sein. Seit April gilt dort eine neue Zuckersteuer. Prompt haben einige Hersteller die Rezeptur ihrer Getränke geändert und den Zuckeranteil radikal gesenkt. Laut der Verbraucherorganisation Foodwatch etwa bei Sprite für den britischen Markt von 6,6 auf 3,3 Gramm pro 100 Milliliter. Dafür ergänzte das Unternehmen Süßstoff.

Coca-Cola sagt: Das hat nichts mit der Steuer zu tun, das war eh geplant. Naja.

Das Besondere ist nicht nur die Senkung. Sondern auch der Ausgangswert. Früher 6,6 Gramm Zucker auf 100 Milliliter. Und jetzt suchen Sie sich bitte festen Halt. Wie viel Zucker enthält Sprite heute in Deutschland? 9,2 Gramm! Also heute noch rund 50 Prozent mehr als damals in England. Und jetzt 200 Prozent mehr.
Eine Dose Sprite beinhaltet also 30,4 Gramm Zucker. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Erwachsenen, nicht mehr als 25 Gramm pro Tag zu sich zu nehmen. Eine einzige Dose reißt also schon alle Grenzen ein.
Was soll das? Nun hat Coca-Cola angekündigt, den Zuckergehalt von Sprite auch hier in Deutschland noch dieses Jahr um 50 Prozent zu senken. Von einem wahnsinnigen Level auf eins, dass dann mit 4,6 Gramm immer noch deutlich über dem in Großbritannien (3,3) liegt.

Aber zum Glück hat die Zuckerindustrie ja ihre Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner (CDU). Sie schützt die Industrie vor den Verbrauchern, in dem sie lieber in den Kitas die Kinder zu gesünderer Ernährung erziehen möchte. Denn sie wolle den Bürgern nichts vorschreiben. Ach Gottchen, wie zuckersüß! Das wird wohl kaum schlagartig das Konsumverhalten von Millionen von Menschen ändern. Anders als eine Steuer, die von heute auf morgen der Zuckerlobby schadet.

Überzuckerung erlauben und stattdessen nur aufklären: Das ist so, als würde man die Gurtpflicht im Auto aufheben, aber bereits in der Kita darüber sprechen, dass es doch eigentlich viel sicherer ist, sich freiwillig anzuschnallen.

Darf's ein bisschen weniger sein?
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Valensina In Sachen Saft argumentiert Valensina ähnlich wie Eckes-Granini. Doch das Unternehmen produziert auch sogenannte Frühstücks-Nektare. Bei denen sei geplant, „verschiedene Rezepturen mit einem nochmals reduzierten Zuckeranteil auf ihre Akzeptanz bei den Verbrauchern zu überprüfen“, teilt Valensina mit. Quelle: imago images
Bahlsen Quelle: dpa

Politiker sind aber nun einmal dazu da, regulierende Vorschriften zu machen. Dafür sind die demokratisch legitimiert. Das ist demnach keine Bevormundung wie in einem Polizeistaat. Mit selbst auferlegten Anreizen zur Verhaltensänderungen entwickelt sich die Gesellschaft in eine von der Mehrheit gewollte Richtung. Das gilt im Straßenverkehr, wo man eine Gurtpflicht eingeführt hat, statt nur auf Kita Anschnall-Pädagogik zu setzen, und das kann genauso auch bei gesundheitsschädlicher Ernährung gelten.

Gerne Gurtpflicht plus Aufklär-Videos vom ADAC. Gerne mehr säen, ernten und kochen in der Kita. Und trotzdem weniger Zucker in der Limo. Keiner würde doch bestreiten, dass beides mehr bewirkt, als nur eins. Dass all das der Zuckerindustrie schadet, ist ein Kollateralschaden, der hinzunehmen ist. So wie auch die Hersteller von Windschutzscheiben weniger Umsätze machen dank der Gurtpflicht. Es fliegt halt weniger durch. Ich glaube nicht, dass selbst eine starke Glas-Lobby in Deutschland je gegen die Gurtpflicht getrommelt hätte. Glashersteller sind nämlich gute Menschen.
Und glaubt jemand wirklich, es gäbe mehr als zwanzig, dreißig Konsumenten bundesweit, die an unserem Rechtsstaat verzweifeln würden, wenn ihre geliebte Alltags-Limo plötzlich weniger Zucker hat? Wer dies ernsthaft als Verlust an Lebensqualität empfindet, dem tut wahrscheinlich weniger Zucker ganz besonders gut.

Meine Güte! Ich glaube, es wäre am besten, man erfindet einfach ein einziges Verbot. Das des Sponsorings von Parteien durch Lobbyisten. Damit unsere Volksvertreter einfach wieder menschenfreundliche Politik machen können, ohne dass irgendwelche Partei-Kassenwarte Alarm schlagen.

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