ZDF-Doku „Amazon – gnadenlos erfolgreich“ Eine Wanze namens Alexa

Den Aufstieg des Konzerns nachzeichnen und Missstände anprangern: Daran versucht sich die ZDF-Doku „Amazon – gnadenlos erfolgreich“. Sie ist zwar überladen – dürfte bei Amazon-Kunden jedoch ein mulmiges Gefühl auslösen.

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ZDF-Doku „Amazon – gnadenlos erfolgreich“ Quelle: Screenshot ZDF

Düsseldorf Sandra und Alessandro Pülz sitzen einigermaßen Perplex am Küchentisch ihres Einfamilienhauses. Vor ihnen steht Amazon Echo, der Sprachassistent des Online-Versandhandriesen Amazon. Und in der Hand hält Alessandro Pülz ein Smartphone, von dem er jene Tonspuren abspielt, die das Gerät in den vergangen Monaten in der Küche der Familie aufgezeichnet hat.

Dass auf Amazons Servern sämtliche Spracheingaben der Familie ewig gespeichert werden, dass sei ihr nicht bewusst gewesen, sagt Sandra Pülz. Sie ist nach eigenem Bekunden „Heavy User“ – also Stammkunde – aller Amazon-Dienste und eine Protagonistin in der Dokumentation „Amazon – gnadenlos erfolgreich“ des ZDF-Verbrauchermagazins „Wiso“. Gegen Ende der am Donnerstagabend erstmals auf ZDF Info ausgestrahlten Doku sagt sie: „Privates möchte ich in Zukunft lieber nicht in der Küche besprechen“.

Dieses Eingeständnis der als Amazon-Fan eingeführten Protagonisten-Familie Pülz gehört zu den starken Szenen der ZDF-Doku, die vor allem ein Problem hat: Die Autoren Maren Boje und Oliver Koytek haben sich zu viel vorgenommen. In 30 Minuten wollen sie den märchenhaften Aufstieg vom Online-Bücherversand zum Handelsimperium nachzeichnen und dokumentieren, wie sehr Amazon das Leben seiner Kunden mittlerweile durchdringt.

Doch die Autoren wollen ebenfalls die harten Arbeitsbedingungen in den deutschen Amazon-Logistikzentren aufdecken und den Datenhunger von Amazon beschreiben – dabei bieten jedes der vier Themen genug Stoff für eine halbstündige Doku.

Und so kratzt „Amazon – gnadenlos erfolgreich“ in vielen Fällen an der Oberfläche: Die Archivaufnahmen von Jeff Bezos sind nett – doch wirklich näher kommt der Zuschauer dem Amazon-Gründer dadurch nicht. Auch FAZ-Redakteur und Amazon-Kenner Carsten Knop verkommt im ZDF-Zusammenschnitt zum Stichwortgeber für Altbekanntes.

Dabei zeigen Knops Bücher über den Weltkonzern, dass der Experte durchaus in der Lage wäre, bessere Einblicke in die frühe Phase des Konzerns liefern zu können, als die etwas bemühte Episode von seinem persönlichen Treffen mit Bezos, von dem er berichtet: „Und da saß Bezos hinter seinem Schreibtisch und lächelte mich an.“

Rastlos erzählt ist auch der Teil über die Arbeitsbedingungen bei Amazon: Dabei haben die ZDF-Autoren alle Möglichkeiten: Drei Amazon-Mitarbeiter packen anonym aus, zudem schleusen die Journalisten eine 23-Jährige Studentin als Aushilfskraft bei Amazon ein, die über ihre Zeit im Logistikzentrum artig Videotagebuch führt. Auch wenn die auf totale Kontrolle ausgelegte Firmenkultur beim Zuschauer ein mulmiges Gefühl auslöst – echte Missstände fördert der aufwendige Selbstversuch nicht zu Tage.

Stark ist dagegen der Auftritt des deutschen Informatikers Andreas Weigend, der zwischen 2002 und 2004 Chefwissenschaftler bei Amazon war. Er beschreibt, wie der Onlinehändler bereits damals die Nutzerdaten zu einem vollständigen Profil jedes einzelnen Kunden zusammengefügt hat. Schon vor über zehn Jahren sammelte Amazon Daten wie Alter und Adresse des Kunden, Bestellzeit und lokales Wetter zum Zeitpunkt der Bestellung – und das alles, um Kundenwünsche besser prognostizieren zu können.

„Ich habe immer wieder gesehen, dass Amazon den Menschen besser kennt, als er sich selbst“, sagt Weigend heute. Sein Auftritt lässt erahnen, wie gewaltig der Datenschatz ist, den Amazon im Jahr 2017 verwaltet.

Eindruck hinterlässt auch der IT-Experte Mike Morgenstern, der sich das Amazon-Echo-Gerät von Familie Pülz näher ansieht, das über die Sprachsteuerungssoftware Alexa bedient wird. Morgenstern zeigt zwar, dass nur dann Datenübertragungen in die Amazon-Zentrale durchgeführt werden, wenn das Wort „Alexa“ fällt. Doch er demonstriert auch, dass die Software immer mithört – und in manchen Fällen ungewollt Gespräche mitschneidet, die direkt auf Amazon-Servern hochgeladen werden. „Alexa funktioniert im Prinzip wie eine Wanze“, texten die Autoren Boje und Koytek passend.

Dass auch die Stimme des neunjähren Sohnes ewig auf die Amazon-Server gebannt wird, löst selbst bei den Amazon-Fans Sandra und Alessandro Pülz ein beklemmendes Gefühl aus. Und vielleicht überlegt sich auch der ein oder andere Zuschauer ebenfalls, welche Daten er dem US-Techkonzern in Zukunft preisgeben will. Wenn das die Wiso-Dokumentation leistet, wäre schon viel gewonnen.

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