Handelsblatt Wirtschaftsclub mit Michael Groß „Fehler sind immer ein Fortschritt“

Als Schwimmer hat er alles erreicht, aber auch als Unternehmensberater ist Michael Groß erfolgreich. Sein Lieblingsthema ist der digitale Chef. Beim Clubgespräch verrät der Olympiasieger, wie Führung künftig aussieht.

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Der Ex-Schwimmstar ist heute erfolgreicher Unternehmensberater. Quelle: Bert Bostelmann für Handelsblatt

Frankfurt Allein drei olympische Goldmedaillen sprechen eigentlich für sich. Dazu zweimal Silber und eine Bronze-Medaille. Zwischen 1980 und 1988 hieß der Deutsche Schwimmer des Jahres stets Michael Groß. Doch der 52-Jährige hat nicht nur seine Sportkarriere glänzend gemeistert, sondern auch sein Leben nach dem Sport. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Groß erfolgreich als Unternehmensberater und Coach – und in dieser Funktion war er zu Gast im Handelsblatt Wirtschaftsclub in Frankfurt. Schnell wurde klar: In seinem zweiten Leben sind solche Einzelkämpfer nicht mehr gefragt.

Ist die Diskussion über den digitalen Chef, also „Digital Leadership“, viel Lärm um nichts? Warum müssen wir darüber sprechen?
Die Führung in Unternehmen wird sich massiv verändern. Die Digitalisierung verästelt sich in alle Winkel unseres Lebens. Da kann die Führung nicht nachstehen. Im Grunde geht es um die Freude am Kontrollverlust.

Was heißt das konkret?
Wenn man ehrlich ist, weiß heute kein Vorstandsvorsitzender auf diesem Planet noch, wie sein Unternehmen in fünf Jahren aussehen wird. Das ist absolut unmöglich. Vor 20 Jahren war das noch anders, weil die disruptiven Tendenzen in den meisten Branchen doch relativ überschaubar waren. Heute hat ein CEO eigentlich keinen großen persönlichen Einfluss mehr darauf, wo sich das Unternehmen in fünf Jahren hin entwickeln wird. Er kann zwar Entscheidungen treffen, aber was die bewirken, ist nicht prognostizierbar. Das ist das Spannungsverhältnis.

Ein Spannungsverhältnis, in dem es auch Chancen gibt?
Es gibt sehr schöne Chancen, wie man diese Entwicklung für sich nutzen kann. Dadurch gewinnen Unternehmen auch einen Wettbewerbsvorteil, beispielsweise bei der Talentsuche und der Mitarbeiterbindung. Die Freude am Machtverlust wird sicherlich von der jüngeren Generation durchaus positiv wahrgenommen, wenn sie in ein Unternehmen eintritt. Für die junge Generation, die Generation Y, spielen beispielsweise die Entwicklungsmöglichkeiten eine wesentlich größere Rolle als in der Vergangenheit. Und das kann man durch Digital Leadership darstellen. Dass man gut verdient, ist heutzutage gesetzt.

Sie haben gerade eine Studie zur Zukunft von Führung in Unternehmen veröffentlicht. Was ist das Ergebnis?
Bisher hieß es „Companies run People“, Digital Leadership bedeutet „People run Companies“. Die Menschen entscheiden, wo sich Unternehmen hin entwickeln. Sie können auch relativ schnell verhindern, dass sich ein Unternehmen weiterentwickelt. Das ist ein Paradigmenwechsel, der natürlich nicht auf Knopfdruck funktionieren wird, sondern es wird parallele Welten geben. Das ist auch ein interessanter Prozess. Dieses Spannungsverhältnis im Unternehmen auszuhalten, ist aktuell eine sehr wichtige Managementaufgabe.

Der US-Forscher Garry Hamel hat den Begriff Kernkompetenz geprägt. Heute spricht er allerdings von Kern-Inkompetenz und fordert den Aufbruch von Hierarchien, Kontrollen und Bürokratie. Aber wie kann das gehen?
Man braucht im Prinzip einen Rahmen, in dem sich insbesondere Führungskräfte diese Freude am Kontrollverlust erarbeiten und auch Vertrauen in die eigene Person und die Organisation gewinnen können. Eines der großen Hindernisse ist natürlich die Angst vor dem Machtverlust. Deshalb braucht man Freiräume, 'Think Tanks' etwa. Die dürfen natürlich nicht vollkommen freischwebend unterwegs sein und dann irgendwann in die Linienorganisation runterfallen – denn dann wehrt sich die Linienorganisation. Solche ‚Think Tanks‘ oder Zukunftswerkstätten schaffen zwar Freiräume, aber stehen im permanenten Wechselspiel mit der Organisation.

 


Hierarchien sind nichts Schlechtes

Klingt auch nicht nach einem Selbstläufer…
Da gibt es natürlich Spannungen. Es gibt auch noch kein Erfolgsrezept. Man kann nicht sagen, man muss diese fünf Dinge tun, um garantiert erfolgreich zu sein. Freiräume und Plattformen zu schaffen, wo sich neue Strukturen und Prozesse einüben lassen – auch mit zum Teil ungewissem Ausgang – ist aber ein guter Weg. Die Energie in Unternehmen ist oft sehr viel größer, als man sich gemeinhin vorstellt. Wir erleben aber auch, dass die Führungskräfte Angst vor der eigenen Courage haben.

Muss ich als digitaler Chef zunächst in einem Teil des Unternehmens anfangen? Als Daimler-Chef kann ich schließlich nicht hingehen und erlauben, dass sich jeder Produktionsmitarbeiter seine Zeit frei einteilen kann… Es muss doch bestimmte Regeln geben.
Klar, diese neue Kultur muss wachsen. Auch bei Google ist es nicht so, dass alle Leute freischwebend unterwegs sind. Ganz im Gegenteil. Es gibt einen relativ strammen internen Wettbewerb um die besten Ideen. Es gibt auch einige, die einen Nine-to-Five-Job machen, Hundertschaften, die ihre Algorithmen programmieren. Das ist deren Kernkompetenz und mehr wollen sie auch nicht machen. Das schöne ist, dass das in solchen Organisationen wie Google parallel existieren kann und miteinander vernetzt wird. Es ist eine große Führungsaufgabe, dieses Feld zu managen.

Wie ist es mit der Fehlerkultur im „Digital Leadership“?
Fehler sind digital betrachtet immer ein Fortschritt, weil man aus ihnen lernen kann, wie man es künftig besser macht. Dabei geht es gar nicht darum, den Fehler zu vermeiden. Das wäre reaktiv. Es geht darum, was ich bei anderen Themen aus diesen Fehlern lernen kann. Der klassische Führungsstil ist, Fehler durch Regeln und Sanktionen zu vermeiden und zu beheben, aber sie werden nicht weiter genutzt. Das ist eigentlich totes Kapital. Stellen Sie sich vor, es würde keine Fehler geben. Das wäre extrem unproduktiv.

Es gibt aber auch Branchen, in denen Fehler tödlich sind…
Es gibt Null-Fehler-Berufe, richtig. Medizin oder Luftfahrt beispielsweise. In diesen Berufen werden Routinen fixiert – und die sind ultimativ. Wer sich nicht an die Routinen hält, kann gleich seinen Hut nehmen. Abseits dieser Berufe ist es aber vor allem wichtig, dass man die Angst verliert, Fehler einzugestehen. Das sind ganz normale, menschliche Geschichten. Nur in herkömmlichen Machtstrukturen werden sie häufig zu einem Makel. Hierarchien sind nicht per se schlecht. Auch Google hat Hierarchien. Wichtig ist, dass man ein neues Verständnis bekommt. Aber das funktioniert nur von oben nach unten. Wenn der Vorstand dies nicht will und nicht zulässt, gibt es dafür kaum eine Chance.

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