Herbert Henzler Erinnerungen von Deutschlands mächtigstem Berater

Herbert Henzler ist der mächtigste Unternehmensberater, den Deutschland je hatte. Jetzt hat der Ex-Spitzenmanager von McKinsey seine Autobiografie geschrieben - mit spannenden Erinnerungen an berühmte Weggefährten.

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Legende in der Beraterwelt: Urgestein Herbert Henzler. Quelle: Bernhard Huber für Handelsblatt

Düsseldorf Dorffest in Neckarhausen: Zwei US-Soldaten besuchen das Örtchen in der schwäbischen Prärie, um ein wenig Ablenkung zu suchen. Da spricht sie plötzlich ein kleiner Junge an: „How do you do?“

Die beiden Soldaten staunen nicht schlecht und plaudern mit dem Burschen. Kinder, die englisch sprechen konnten – das war hier ein Novum. Die in der Nähe stehenden Einheimischen staunen ebenfalls nicht schlecht: „Guck mal, der kann Englisch schwätze!“

Der talentierte Junge heißt Herbert Henzler. Er wurde zu einem der besten Unternehmensberater, die es in Deutschland jemals gab. Er kannte die Mächtigsten Menschen Deutschlands. Jahrzehntelang galt unter Deutschlands wichtigsten Menschen die Regel, dass man es sich mit dem Henzler nicht verderben sollte, da er Gott und die Welt kenne.

Nun weiß man etwas mehr über Herbert Henzler, denn er hat seine Autobiografie geschrieben. Sie heißt „Immer am Limit“. Das Buch bietet interessante Einblicke in die Unternehmenswelt: Es erlaubt den Blick hinter die Kulissen der mächtigsten Manager. Und es ist zugleich Charakterstudie eines Strippenziehers in den Zeiten der Deutschland AG.

Schon als Kind wollte Henzler eines nicht: nicht auffallen: „Nur schuften und keinen Erfolg haben, was ist das für ein Leben?“ Der Bub wollte hoch hinaus und lernte verbissen. Selbst eine schwere Tuberkulose-Erkrankung konnte ihn nicht aufhalten, im Gegenteil. Denn in der schwäbischen Heimat galt er nun als ungeeignet, körperlich anstrengende Tätigkeit auszuführen. Also meldeten ihn die Eltern für die Mittelschule an, anders als es in der Familie üblich war.

Sprachen, Reisen und Internationalität waren das, was Henzler stets begeisterte. Nach der Schule machte er eine Lehre bei der Deutschen Shell als Mineralölkaufmann. Die Prüfungen absolvierte er mit „sehr gut“, was ihm später ein Stipendium an der Universität einbrachte. So konnte er studieren, obwohl ihm die klassische Hochschulreife fehlte. Henzler ging zunächst an die höhere Wirtschaftsfachschule, dann zu einer „richtigen“ Universität in Saarbrücken.


Henzler gibt sich selbstkritisch

Der Amerika-Liebhaber erfüllte sich wenige Zeit später – inzwischen mit Rosemarie verheiratet – den nächsten Traum und wechselte nach Kalifornien zur renommierten Berkeley Universität. Über Bekannte erfuhr er von einem phantastischen, aufstrebenden Unternehmen namens McKinsey. Henzler bewarb sich und machte in den Bewerbungsrunden offenbar so viel Eindruck, dass man ihm eine Stelle freihielt. Vorher machte er wie geplant seinen Doktor der Wirtschaftswissenschaften.

Und so startete Henzler seine Karriere bei KcKinsey am 1. Juli 1970. Über 31 Jahre lang sollte er für die Beratung tätig sein. Sein Aufstieg verlief geradlinig und schneller als üblich.  Schon nach fünf Jahren wurde er Partner - und nicht erst wie üblich nach sechs oder sieben. Zudem konnte er durchsetzen, dass McKinsey auch ein Büro in München gründete. Das geschah auch aus Eigeninteresse, denn Henzler vermisste seine Wahlheimat genauso wie seine Frau es tat. Also gingen sie von Düsseldorf zurück nach München und Henzler machte aus dem Büro eines der erfolgreichsten überhaupt, das McKinsey je betrieb. Und 1983 wurde er Deutschland-Chef von McKinsey, später auch Europa-Chef.

Henzler gibt sich trotz der Erfolge selbstkritisch. Sätze wie „Natürlich habe ich viele Fehler gemacht“ gehören in Autobiografien zum Standard und Henzler spart mit ihnen nicht. Allerdings werden sie stets wieder eingeschränkt. Da lief ein Projekt in der Regel nur „am Anfang“ schlecht. Hier liegt eine zentrale Schwäche des Werkes: So lesenswert Henzlers Buch auch ist, man muss ihm vorwerfen, dass die Beraterbranche im Allgemeinen und McKinsey im Besonderen zu gut dargestellt werden. Das Unternehmen wird geradezu heroisiert.

Man arbeite „hart und lang“. Auf der anderen Seite erfährt der Leser viel über die Arbeitsweise des Unternehmens, aber es bleibt stets der Nachgeschmack, dass man eben nicht alles erzähl bekommt – insbesondere was die dunklen Seiten des Geschäftes angeht. Ein Satz wie „Um bei McKinsey Erfolg zu haben, brauchte man eine Kombination aus Analytik und Sozialkompetenz“ dürfte so manchen Angestellten verwundern, der mal erlebt hat, welche Restrukturierungsvorschläge Beratungen mitunter machen, wenn bei einem Unternehmen die Kosten aus dem Ruder laufen.

Eine weitere erhebliche Lücke lässt Henzler bei einer der spannendsten Passagen seines Buches, nämlich der Aufarbeitung der Korruptionsaffäre bei Siemens. Der Autor war daran durchaus beteiligt, war er doch Berater des Konzerns und eng mit Heinrich von Pierer verbandelt, dem Vorstandschef und späteren Aufsichtsratsvorsitzenden. 


Klettertouren für Top-Manager

Was hat von Pieter nun gewusst von der Korruption, die es laut Henzler bei Siemens genauso gab wie auch bei branchengleichen Firmen aus Italien, England und den USA? In einem Interview sagte Henzler, dass von Pierer nichts davon gewusst habe. Doch in seiner Autobiografie steht nun wörtlich: „Aber letztlich bleibt es Korruption. Die gängige Schlussfolgerung: Entweder man hat an der Spitze davon gewusst, dann hat man die Manager zurecht davongejagt. Oder sie haben es nicht gewusst, dann taugen sie aber auch nicht zur Kontrolle eines solch großen Unternehmens wie Siemens.“

Angesichts der vielen Reisen und den Überstunden, war es Henzler enorm wichtig, dass er 30 Tage Urlaub hatte und diese auch ungestört verbringen konnte. So hatte er ausreichend Zeit für seine diversen Sportarten. Als Junge spielte er Fußball und zeitlebens lang war er begeisterter Skifahrer – inklusive der Lizenz des Skilehrers. Später entdeckte er das Bergwandern für sich, inspiriert von Reinhold Messner.

Doch aus dem Hobby wurde bald mehr: Die beiden organisierten Klettertouren für Top-Manager. Mit dabei waren unter anderem Klaus Zumwinkel, Helmut Burda, Jürgen Schrempp, Wolfgang Reitzle sowie Vorstände von der Deutschen Bank, BASF und Eon.

Die größte Schattenseite seines Berufs hat Henzler im Juli 1985 erlebt. Ein nächtlicher Drohanruf ließ ihn und seine Familie um ihr Leben fürchten. Der Mann stellte sich als Mitglied der „Action directe“ vor, einer linksradikalen Terrororganisation. Doch als die Polizei den Täter sechs quälende Wochen später entlarvte, stellte sich heraus, dass es ein Mitarbeiter aus der Druckerei von McKinsey war, der Neidkomplexe hatte. Er kam ins Gefängnis.

Henzler verfolgte danach umso intensiver, wie der Terror in Deutschland weiterging. Schockiert war er im November 1989, als Alfred Herrhausen in die Luft gesprengt wurde. Sie kannten sich gut und hatten sich nur fünf Tage vor dem Attentat das letzte Mal gesehen. Kurz darauf fand die Polizei eine Zielliste mit 40 Personen, unter denen auch Henzler. Doch wenige Monate später endete der Terror nach zwei Jahrzehnten.


Austausch zwischen Politik und Wirtschaft

Heute berät Henzler den Aufsichtsrat der Schweizer Großbank Credit Suisse. Zudem betreut er als Mentor Nachwuchsführungskräfte – unter anderem an der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Honorarprofessor und bei der Bayerischen Elite-Akademie.

Gesellschaftspolitisch liegt ihm vor allem eines am Herzen: Er möchte seinen Teil dazu beitragen, dass sich Politik und Wirtschaft besser verstehen. Man sei angesichts einer Staatsquote von rund 50 Prozent darauf angewiesen. Er empfiehlt einen Austausch von Spitzenpersonal.

Am Ende seines Buches fragt sich Henzler selbst: „Habe ich genug gemacht?“ Schließlich sei er nicht in die Politik gegangen und habe auch kein großes Unternehmen geführt. Doch er beantwortet die Frage nicht. Heute interessieren ihn „andere Dinge“. Vieles stimme in Deutschland nicht mehr. Ein Drittel der neuen Jobs sind Leiharbeiter, die Reallöhne sind in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen. Er bemängelt die Unzufriedenheit der Deutschland, ihre Politikverdrossenheit, dass die Kirchen keine Deutungshoheit mehr haben und dass Wirtschaftsführer bis zu zehn Millionen Euro im Jahr verdienen. Es herrsche eine „zu große Orientierungslosigkeit“.

Bei McKinsey sei es immer nach oben gegangen. „Gute Laute schaffen ihren Markt“, schreibt Henzler und meint damit, dass er es nie bereut hat, Personal einzustellen. Doch das hat sich geändert: „Heute denke ich, dass man den Wachstumsbegriff neu definieren muss.“ Schneller, Höher, Weiter – dahinter „muss in der heutigen Zeit ein Fragezeichen gemacht werden“. Henzler selbst würde dabei wieder an Limit gehen – „ohne Zweifel“.

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