Ich-Marketing Der inszenierte Machtmensch

Wer in Politik und Wirtschaft erfolgreich sein will, muss vor allem eines können - sich selbst inszenieren. Doch ein Streifzug durch die Welt der Charakterköpfe zeigt: Ohne Leistung geht es nicht.

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Er hat diesen Moment gut vorbereitet. Mit neuer Frisur und ohne Brille will Karl Theodor zu Guttenberg den Zuschauern nahelegen, dass er seriöser geworden ist. Quelle: dpa

Karl-Theodor zu Guttenberg hat diesen Moment gut vorbereitet. Neuer Haarschnitt, kein Gel, und auch die Bücherwurm-Brille ist verschwunden. Der ehemalige Verteidigungsminister, aus Berlin verjagt, weil er bei seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat, ist ein anderer geworden. Zumindest will er das den Zuschauern nahelegen bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach Monaten, auf einer Konferenz im kanadischen Halifax. Der neue Guttenberg, das werden die Zeitungen in der Heimat kurz darauf berichten, ist vor allem eines: seriöser.

Das Bild ist die Botschaft. Nicht nur junge Leute stellen ihr Selbstbild ins Netz, auch Manager, Politiker, Aufsteiger und solche, die es werden wollen, nutzen die modernen Methoden der Massenkommunikation, um sich zu stilisieren und zu idealisieren. Das Facebook der Manager ist die Firmenbroschüre. Sie twittern noch nicht alle, aber sie organisieren Events am laufenden Band – Reitturniere, Hauptversammlungen, Kaminabende, Preisverleihungen und auch das Firmensportfest kehrt zurück – mit dem einen großen Ziel: mehr zu sein als Masse, die Firma soll ein Gesicht bekommen, das Gesicht soll zur Firma werden.

Steve Ballmer, Chef des Softwaregiganten Microsoft, setzt auf Ich-Marketing, wenn er seinen Konkurrenten öffentlich die Zunge herausstreckt. Der Automanager Wolfgang Bernhard, der in Lederkluft auf einem Motorrad über die Bühne fährt, beherrscht ebenfalls die Kunst der Inszenierung. So wie Richard Branson, Virgin-Chef und Abenteurer, Josef Ackermann, Banker und Weltfinanzpolitiker, Wolfgang Reitzle, Gasverkäufer und Celebrity, Maria-Elisabeth Schaeffler, Reifenverkäuferin und Mutter Courage, Howard Shultz, Starbucks-Chef und Hobbypolitiker, der in Briefen die Politiker zum Kompromiss auffordert, der mit einer Krankenversicherung für alle Beschäftigten das bessere Amerika verkörpern will: „Unser Stichwort ist nicht Kaffee, unser Stichwort heißt Relevanz und Menschlichkeit“, sagt er. Selten klang eine Kaffeerösterei so staatstragend.


Der Mensch orientiert sich am liebsten am Menschen

Zeiten, in denen Gewissheiten über den Markt, Geldstabilität und die Rationalität des Wirtschaftens hinweggefegt wurden, wecken Sehnsucht nach etwas Stetigem und Vertrauensvollem: nach bekannten Gesichtern, keine Charts oder Bilanzen. Der Mensch orientiert sich am liebsten am Menschen. Power-Point war gestern.

Der Trend hat längst auch unsere Breitengrade erreicht. Henkel-Chef Kasper Rorsted spricht nicht gern über Waschmittel, sondern über die Bedeutung des Internets. Bosch-Chef Franz Fehrenbach würde nie eine Rede über Zündkerzen und Kühlschränke halten; stattdessen greift er ins höhere Regal: Seine Themen sind Nachhaltigkeit, die grüne Revolution, das vereinte Europa. Er will als Weltenkümmerer und Vordenker gesehen werden, nicht als Autozulieferer. Das Ich-Marketing findet in ihm seinen vielleicht erfolgreichsten, vor allem seinen dezentesten Vertreter.

Steigt der persönliche Reputationswert des Managers um zehn Prozent, erhöht sich der Börsenwert des Unternehmens um 24 Prozent, hat die PR-Agentur Burson Marsteller herausgefunden. Als etwa Wolfgang Reitzle im Jahr 2005 zu Linde kam, lag der Aktienkurs bei 30 Euro, heute beträgt er 105 Euro. Das Glamouröse, sein elegantes Bärtchen, seine charmante Ehefrau, die Fernsehmoderatorin Nina Ruge, sein luxuriöses Haus in München, all das hat der Unternehmensmarke Linde genutzt. Nie hatte Industriegas mehr Sexappeal.

Allerdings funktioniert das nur, weil Reitzle auch Leistung bringt. Zahlen, Reputation – bei Linde läuft es rund. Und das ist die zweite Voraussetzung für einen Charakterkopf, der nicht als PR-Blender beim Publikum durchfallen will: Hinter der guten Show muss eine gute Geschichte stehen.

Andersherum reicht Können alleine oft auch nicht: Wer eine gute Geschichte vorweist, sie aber nicht erzählen kann, geht unter. Wer erinnert sich noch an Harry Roels, Hans-Jürgen Schinzler oder Martin Kohlhaussen? Alles hervorragende Fachleute an den Spitzen von RWE, Münchener Rück und Commerzbank, aber längst wieder aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwunden.


Die Sehnsucht nach dem „Ich“ in der Masse


Und so stellen sich zwei einfache Fragen: Wie schaffen Spitzenkräfte es, gleichermaßen in Kompetenz wie in Kommunikation zu investieren? Und warum ergeht sich ausgerechnet eine Gesellschaft, die wie keine zuvor von der anonymen Massenkommunikation geprägt ist, in einem Kult der Egos?

In Zeiten, in denen jeder sich jederzeit öffentlich mitteilen kann, in denen es immer mehr mediale Angebote gibt, ist Aufmerksamkeit zu einem knappen Gut geworden. Sie ist die neue Währung in einer Welt aus kleinen Selbstdarstellern. Die Internetgeneration wächst mit diesem Wissen auf. Sie zeigt private Fotos, stellt Videos ins Netz. Das Ziel ist klar: Sich irgendwie von der Masse abheben. 57 Prozent der Studenten gaben in einer Studie der Universität San Diego an, soziale Netzwerke vorwiegend zu verwenden, um ihrem Narzissmus zu frönen und mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Das Ich rückt in den Fokus. Sigmund Freud hat dessen Definition geprägt, die Definition des Ich, des Egos, als das bewusst Erfahrene. Es hat in der Gesellschaft die Überhand gewonnen über das Freud’sche Es, das Unbewusste, und das Über-Ich, das Gewissen.

Die Politik hat den Anfang gemacht, die Wirtschaft hat nachgezogen: Lange Zeit glichen die Treffen der Deutschland AG einer Jahreshauptversammlung des Vereins zur Erhaltung der Langeweile im öffentlichen Leben. An die Spitzen der Konzerne zogen ältere, graue Herren. Sie standen zwar für Kompetenz, selten aber für individuelle Merkmale. Die Managementebene von Großkonzernen sah aus wie einst der Hof in Preußen: streng, grau, langweilig – aber diszipliniert.

Preußens Hof musste dem bunten Treiben der Demokratie weichen, ein paar preußische Tugenden blieben dennoch erhalten; und die grauen, kantenlosen Zahlenverwalter den Charakterköpfen, ohne dass all die Werte, die sie prägten, verlorengehen dürften. Es gilt, die alten Tugenden der langweiligen, aber erfolgreichen Deutschland AG mit den spontanen, begeisternden Schritten der globalen Markenwelt zu verbinden.

Und es gibt dafür ein Vorbild: Steve Jobs, der Mann, der es verstand, mit einfachen, flachen Geräten Massen zu begeistern. Leger im dunklen Rollkragenpulli stand er allein auf der Bühne, wenn er mal wieder ein neues Produkt vorstellte. Nur er, die Bühne, das Produkt. Undenkbar, dass das Unternehmen ohne ihn funktioniert. Am Tag seines Todes schnellte der Aktienkurs nach oben; die Fans bekundeten Sympathie mit ihrem Idol. Mittlerweile ist der Kurs gefallen. Und Jobs’ Nachfolger Tim Cook wird seine Mühe haben, das Niveau zu halten.

Jobs hat das Berufsbild des Managers gewandelt: Aus Sachverwaltern von Aktionärsvermögen sollen Verzauberer der Massen werden.


Jede Krawatte wird auf Fernsehtauglichkeit getestet

Früher, da sah der Aktionär seinen Vorstandsvorsitzenden genau einmal im Jahr: zur Jahreshauptversammlung. Er sprach Sätze wie 2003 Jürgen Schrempp, ehemaliger Daimler-Chrysler-Vorstandschef. Er erlitt sein eigenes Desaster, als er auf der Bilanzpressekonferenz zum Thema Toll Collect befragt wurde und sich offensichtlich darauf nicht vorbereitet hatte: „Äh, ich möchte noch mal wiederholen, und ich weiche nicht diesem Thema aus, sondern es ist einfach der, der Geist, im Augenblick zu sagen, wir haben jetzt, äh, bereits ja insgesamt gibt’s ja zwar zwei Monate, wir müssen, sage ich jetzt mal …“

So würde sich heute keiner mehr vor die Aktionäre trauen. Längst sind öffentliche Auftritte für jeden Vorstandschef ein Kraftakt einer ganzen Mannschaft: Eine Agentur entwirft ein Leitbild, Techniker und Fernsehfachleute entwickeln Beleuchtung und Bühne, jede Krawatte wird auf Fernsehtauglichkeit getestet. Im Mittelpunkt des Ganzen steht einer, der Vorstandschef.

Und er wird omnipräsenter: Dieter Zetsche führt als Werbe-Comicfigur Dr. Z, eine Zeichnung, die dem Daimler-Chef sehr ähnelt, auf der Website der US-Tochter durch virtuelle Sprechstunden. Wer dieser Tage auf die Internetseite der Deutschen Bank klickt, landet auf einem Porträt Josef Ackermanns, darunter ein Link zu dessen Rede über den Bedarf nach mehr Ethik in der Wirtschaft.

Konzernlenker wie Mittelständler ticken da ähnlich. Der T-Shirt-Produzent Wolfgang Grupp von Trigema inszeniert von jeher vor allem sich selbst in seinen TV-Spots. In diesem Frühjahr übernahm Peter Endres, Vorstandschef von Ergo Direkt, die Hauptrolle in einem Werbespot für Direktversicherungen. Sein Vorstandschef Torsten Oletzky wirbt derzeit mit seinem Gesicht in Zeitungsanzeigen für Vertrauen in seinen von Krisen geschüttelten Konzern.

Die Medienwissenschaftlerin Brigitte Biehl-Missal hat die Inszenierungsstrategien von Vorständen untersucht – aus theaterwissenschaftlicher Sicht. Denn der Vorstandschef ist der Hauptdarsteller in einer Aufführung über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Den Trend, dies zu professionalisieren, hat Biehl-Missal in ihrer Untersuchung klar festgestellt. Gestik, Mimik, Rhetorik – alles muss stimmen, alles muss aufeinander abgestimmt sein.


Manager, die in Erinnerung bleiben wollen, brauchen das Rampensau-Gen

Als Josef Ackermann sich vor einigen Jahren auf der Jahreshauptversammlung vor den Schriftzug „Leistung aus Leidenschaft“ stellte und anfing, nüchtern und monoton über die Arbeit des Vorstands zu berichten, passte dies nicht zusammen. Und als Ex-Telekom-Chef Ron Sommer auf einer Hauptversammlung auf die umstrittene Erhöhung der Vorstandsbezüge angesprochen wurde, zählte Biehl-Missal, dass er sich mehr als 20-mal an Brille und Kinn fasste.

Die Expertin rät zu mehr Mut. Die Chefs sollen sich nicht hinter Pulten verstecken, sondern sich auf der Bühne mehr bewegen – und so Dynamik vermitteln. Und sie sollen sich nicht an Papiere klammern, sondern frei oder mit Hilfe eines Teleprompters sprechen, um Blickkontakt zum Publikum zu halten und so Nähe zu suggerieren.

Einer, der daran jüngst gescheitert ist, ist Hartmut Ostrowski. Er war angetreten, Bertelsmann aus der Krise zu führen. In Sachfragen eine Bereicherung, schaffte er es jedoch nicht, das Image eines Medienkonzerns zu transportieren. Langatmige Reden, holpriges Englisch, hölzerne Auftritte. Ostrowski musste gehen, er war in der auf Glamour und Show getrimmten Branche nicht vorzeigbar.

Die Handwerker, die Bürokraten, die Technokraten, sie gibt es immer noch. Es sind die, die ihren Job machen, ohne großes Aufheben. Manager aber, die in Erinnerung bleiben wollen, brauchen ein Stück jenes Rampensau-Gens, das man positiv ausgedrückt auch Charisma nennt. Und das sich erlernen lässt.

Rund um die vielen kleinen Ich-AGs ist eine Industrie an Ego-Formern entstanden. Sie heißen CNC Walther wie Christoph Walther, Michael Spreng oder Deutsche Markenarbeit wie Frank Dopheide. Immer mehr Werber, Marketing- und PR-Strategen sehen ihre Zukunft im Beraten und Bewerben von Typen, nicht in Produkten. Es gibt kaum einen Vorstandschef, der nicht neben seinem regulären Pressesprecher noch einen Imageberater und Reputationsaufheller beschäftigt.


Über ihre Darstellung vergessen viele das Unternehmen

Daraus erwächst eine ganze Industrie. Einen fünfstelligen Betrag überweisen Manager für eine Erstberatung samt Grobkonzept, heißt es in der Branche. Oft übernehmen die Unternehmen die Kosten, verbuchen das unter „Reputationsmanagement“. Das Hauptgeschäft des Executive-Profiling machen die PR-Agenturen wie Fischer-Appelt, Hering-Schuppener oder Deekeling. Die haben ohnehin schon den Draht zum Kommunikationschef und bieten diese strategisch wichtige Aufgabe oft mit an.

Auch viele der großen Werbekonzerne drängen mittlerweile in dieses Geschäft: Statt um die Marketingtöpfe für einzelne Produkte, pitchen sie um die Marketingtöpfe für einzelne Köpfe. Branchenschwergewicht Ketchum-Pleon hat genauso eine eigene Einheit für das Thema eingerichtet wie Serviceplan. Noch aber überwiegen die Einzelkämpfer in dem wachsenden Markt: Alt-Strategen wie Ex-„Bild-am-Sonntag“-Chef Michael Spreng, Ex-VW-Kommunikator Klaus Kocks oder ein Norbert Essing.

Was viele Manager über ihre eigene Darstellung vergessen, ist die des Unternehmens. Jeder Star ist nur so gut wie sein Ensemble. Laufen die Geschäfte schlecht, lässt sich das kurzfristig zwar durch medienwirksame Auftritte vertuschen, langfristig allerdings funktioniert das nicht.

Ein Film lebt vom Spannungsbogen, von einer Dramatik, die sich aufbaut – und vom Höhepunkt. Der große Abgang, er gehört genauso zu einer Inszenierung dazu. Josef Ackermann erlebt das gerade, Jürgen Großmann hat es bereits hinter sich. Der Vorstandschef von RWE musste sich auf der Hauptversammlung von einem Bodyguard beschützen lassen, einem Koloss, der den Koloss Großmann fast hinter sich verschwinden ließ. Auch eine Botschaft. Es war das Zeichen eines Chefs, der mittlerweile von der Wirklichkeit abgekoppelt war. Großmann hielt sich danach nicht mehr lange.

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