Im Flutchaos Aceh: Verzweifeltes Warten auf Hilfe

Vor dem süßlichen Geruch des Todes gibt es in Banda Aceh kaum ein Entrinnen. Auch vier Tage nach der alles verschlingenden Flutwelle säumen noch immer zahllose Leichen die Straßen der Provinzhauptstadt an der Nordspitze der indonesischen Insel Sumatra.

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Soldaten heben im Akkord Massengräber aus, alle paar Minuten fahren Lastwagen voll gestopft mit leblosen Körpern vor; für eine Zeremonie, und sei sie noch so kurz, fehlt die Zeit. Das Ausmaß der Tragödie mit knapp 80.000 Toten bis zum Donnerstag allein in Indonesien übersteigt alle Kräfte. Und die sehnlichst erwartete internationale Hilfe erreicht die Katastrophenregion nur langsam. Die Vereinten Nationen sind sich des immensen Drucks bewusst. „Es braucht vielleicht weitere 48 bis 72 Stunden, bis wir den zehntausenden Menschen helfen können, die lieber heute oder gestern Unterstützung erhalten hätten“, sagt der UN- Untergeneralsekretär für humanitäre Nothilfe, Jan Egeland. „Ich denke, dass die Frustration in den nächsten Tagen und Wochen wachsen wird.“ „Wenn wir es nicht tun, wer macht es dann?“, fragt der Präsident der Billigfluggesellschaft Lion Air, Rusdi Kirana, der eine seiner Maschinen zur Verfügung stellte, um Helfer und Material nach Aceh zu schaffen. Provinzbewohner, selbst noch traumatisiert von der unfassbaren Katastrophe, und Indonesier aus anderen Teilen des riesigen Inselreiches kümmern sich um die Überlebenden. Doch Erfahrungen mit Hilfsaktionen dieses Umfanges bringt keiner mit. Mancher kritisiert, dass sich das Chaos dadurch nur noch verschärft habe. „Den technischen und sonstigen Möglichkeiten meines Landes, eines solchen Desasters Herr zu werden, sind begrenzt“, sagt der Parlamentarier Ichsan Loulembah. „Die Menschen wissen nur zu gut um die Unfähigkeit der Regierung, mit Katastrophen umzugehen.“ Die Gesundheitsbehörden sind in Sorge, Seuchen durch verwesende Leichen könnten nun Hunderttausende Überlebende gefährden. Noch am Donnerstag lagen weiterhin Tote, manche bizarr verrenkt und aufgedunsen, in den Straßen von Banda Aceh und anderswo in der Provinz, zwischen fortgeschwemmten Brettern und Tonnen von Schutt und Geröll. Noch immer sind Kommunikationsverbindungen in die Provinz unterbrochen. Die Ausgangslage für die Helfer ist umso schwieriger, da Jakarta wegen des schwelenden Bürgerkriegs in Aceh schon vor einiger Zeit alle internationalen Hilfsorganisationen aus der Provinz wies. „Sie hätten eigentlich eine Anlaufstation nötig“, sagt Rizal Sukma vom Zentrum für Internationale und Strategische Studien in Jakarta. „So müssen die Einsatzkräfte bei Null beginnen.“ Unter Diplomaten und internationalen Organisationen habe sich längst Frust breitgemacht, weil sie gerne helfen wollten, aber nicht wüssten wie. Und Unterstützung tut Not: Einwohner nannten es typisch für die derzeitige Lage, dass Hilfslieferungen zwar in wachsender Zahl einträfen, Pläne für ihre Verteilung aber fehlten. Berichte machen die Runde, nach denen es unter den Überlebenden im Kampf um Nahrungsmittel immer häufiger zu Handgreiflichkeiten kommt. Im Militärhospital von Banda Aceh, wo zahlreiche Verletzte untergekommen sind, haben Patienten derweil 24 Stunden lang keinen Arzt zu Gesicht bekommen. Psychologische Betreuung der Überlebenden, wie sie westliche Touristen erhalten, bleibt für Einheimische eine Illusion. DPA/WIW

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