
Erst vor knapp einem Jahr hatte Siemens-Chef Joe Kaeser ein „Bekenntnis zum Standort Erlangen“ abgelegt. Für rund 500 Millionen Euro wollte der Konzern in der fränkischen Stadt einen Campus bauen. Immerhin beschäftigt das Unternehmen dort 25.000 Mitarbeiter, weitere 20.000 in der Region und damit mehr als an jedem anderen Ort. Doch jetzt dürfte Erlangen vom geplanten Stellenabbau im Konzern besonders betroffen sein.
Er wolle Siemens in den nächsten Monaten von den bürokratischen Fesseln befreien, kündigte Kaeser vor zwei Wochen an. Durch diesen Befreiungsschlag fallen 10.000 Jobs weg, wie ein Insider des Münchner Technologieriesen sagt. Gewerkschaftsvertreter befürchten, dass Siemens vor allem in der Verwaltung Stellen streicht. Besonders betroffen ist demnach Erlangen. Von hier aus steuert Siemens zurzeit noch sein Industrie- und Energiegeschäft sowie die Sparte der Medizintechnik.
Es drohen weitere Streichaktionen
Der Siemens-Chef will das Unternehmen zu alter Stärke zurückführen und rund eine Milliarde Euro sparen. Die vier Sektoren ersetzt er durch neun Geschäftsdivisionen. Das Energiegeschäft steuert der Konzern künftig aus den USA. Dort sieht Kaeser die größten Geschäftschancen. Der renditestarken Medizintechniksparte gibt der Manager mehr Freiheiten. Sie soll ein Unternehmen im Unternehmen werden – späterer Börsengang nicht ausgeschlossen.
Hintergrund zum Übernahme-Poker um Alstom
Das Unternehmen wird für zu klein gehalten, um langfristig auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Aktuell gibt es keine großen Probleme, aber bereits für das vergangene Geschäftsjahr musste der Konzern einen Gewinneinbruch um mehr als ein Viertel auf 556 Millionen Euro verbuchen. Weiter schwächen könnte Alstom ein Korruptionsverfahren in den USA, das mit einer Rekordstrafe enden könnte. Dieser Punkt spielt auch bei der laufenden Risikoprüfung durch Siemens eine Rolle.
Konzernchef Kron wird eine hartnäckige Abneigung gegen Siemens nachgesagt. Angeblich nimmt er dem deutschen Unternehmen bis heute Ereignisse aus dem Alstom-Krisenjahr 2004 übel. Die Münchner hatten über Einflussnahme in Brüssel versucht, einen mit Staatsgeldern finanzierten Rettungsplan für Alstom zu stoppen, weil sie schon damals Teile des Konzerns übernehmen wollten. Kron ist zudem der Ansicht, dass Siemens und Alstom in zu vielen Bereichen direkte Konkurrenten sind. Für die letztlich entscheidenden Großaktionäre könnte eine Rolle spielen, dass Genral Electric die Alstom-Energietechnik etwas höher bewertet, als Siemens es in einer ersten Schätzung getan hat.
Sobald Siemens seine Karten auf den Tisch gelegt hat, ist wieder der Alstom-Verwaltungsrat am Zug. Sollten die Münchner ein Angebot machen, würde die GE-Führung noch einmal einige Tage Zeit bekommen, um ihre Offerte nachzubessern. Eine schnelle Entscheidung ist allerdings nicht zu erwarten. Die Amerikaner ließen am Donnerstagabend mitteilen, dass sie auf Wunsch der französischen Regierung die Laufzeit ihres ersten Angebots um knapp drei Wochen bis zum 23. Juni verlängert haben. Damit dürfte sich das ganze Verfahren weiter in die Länge ziehen.
Mit einem Jobabbau rechnet die IG Metall auch in der Konzernzentrale in München. In der bayrischen Hauptstadt arbeiten rund 8000 Mitarbeiter. In den goldenen Zeiten Mitte der Achtzigerjahre waren es 50.000. Die Kürzungen beim Personal dürften das Betriebsklima stark belasten, zumal schon Kaesers Vorgänger Peter Löscher ein Sparprogramm aufgelegt hatte. Allein dadurch verschwanden 15.000 Arbeitsplätze.
General Electric bessert Angebot nach
Sollte Siemens im Übernahmepoker um den französischen Rivalen Alstom den Zuschlag erhalten, drohen weitere Streichaktionen, besonders in der Transportsparte, die die Hochgeschwindigkeitszüge wie den ICE baut. Die Gespräche der Konzernleitung mit den Vertretern der Arbeitnehmer über den bevorstehenden Jobabbau im Konzern haben schon begonnen. Zu den Details wollte sich Siemens auf Anfrage nicht äußern.
Derweil hat General Electric der französischen Regierung zugesagt, das Atomgeschäft von Alstom in Frankreich zu belassen. GE hat Alstom 12,5 Milliarden Euro für deren Energiesparte geboten. Clara Gaymard, Frankreich- Chefin des US-Konzerns: “Wir werden auf die legitimen Wünsche der Regierung eingehen, dass die Nuklearsparte französisch bleiben soll, dass das geistige Eigentum französisch bleiben soll und dass die Exporte geschützt bleiben." Das Angebot von General Electric, das das Transportgeschäft von Alstom nicht einschließt, “ist gut für Frankreich”, so Gaymard.
Frankreichs Präsident François Hollande und Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg hatten GE aufgefordert, das Gebot für Alstom zu nachzubessern. Hollande hatte es als “nicht akzeptabel” bezeichnet und stärkere Jobgarantien gefordert. Montebourg hatte öffentlich geäußert, dass er ein Angebot der Siemens AG präferiere, zuletzt aber auch einen erneuten Einstieg des französischen Staats bei Alstom nicht ausgeschlossen.
Mit Material von Bloomberg