Den Vergleich mit erfolgreichen Start-ups aus dem Silicon Valley braucht Siemens aus Sicht von Konzernchef Joe Kaeser nicht zu scheuen. Auch der Elektrokonzern fußt auf Pioniergeist und Erfindungsreichtum – und recht bescheidenen Anfängen in einer Berliner Hinterhofwerkstatt. Dort legte Werner von Siemens zusammen mit einem Kompagnon einst den Grundstein für den Konzern mit heute weltweit 348.000 Beschäftigten. In diesen Tagen begeht das Unternehmen den 200. Geburtstag des „Erfinderunternehmers“ mit einer Reihe von Veranstaltungen.
So werden zu einem Festakt in Berlin am 29. November neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr als 100 weitere prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien erwartet.
Wie alle großen Persönlichkeiten muss Werner von Siemens vor dem Hintergrund seiner Epoche gesehen werden. Am 13. Dezember 1816 wurde er als Ernst Werner Siemens – der Adelstitel wurde ihm erst in den letzten Lebensjahren verliehen – in eine Zeit des Aufbruchs und des Wandels hineingeboren. Die Industrialisierung kam im deutschen Staatenbund gerade erst in Gang, das eröffnete dem vielseitig begabten Gutspächter-Sohn zahlreiche Chancen, die er geschickt zu nutzen verstand.
Wichtige Erfindungen von Werner von Siemens
Mit der Konstruktion des Zeigertelegrafen legte Werner von Siemens in den Jahren 1846 und 1847 den Grundstein seiner technisch-wissenschaftlichen, aber auch unternehmerischen Laufbahn. Das Gerät arbeitete zuverlässig und war den damals bereits existierenden Apparaten der Nachrichtenübertragung überlegen. Um es in Serie herstellen zu können, gründete der Erfinder zusammen mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske im Oktober 1847 die „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“. Im gleichen Jahr entwickelte Werner von Siemens zudem ein Verfahren, um Drähte mit einer nahtlosen Umhüllung aus Guttapercha zu versehen, einem dem Kautschuk ähnliches Material.
Auf dem Gebiet der Elektrotechnik gilt die Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips und die Entwicklung des ersten Generators im Jahr 1866 als Werner von Siemens' bedeutendste Leistung. Damit schuf er die Voraussetzung, Elektrizität in größerem Umfang zu erzeugen und zur Energieversorgung nutzbar zu machen.
Mit der Zeit erschloss das Unternehmen immer neue Anwendungsfelder der Elektrizität: 1879 präsentierte Siemens & Halske auf der Berliner Gewerbeausstellung die erste elektrische Eisenbahn der Welt mit Fremdstromversorgung. Auch die neu entwickelte Differential-Bogenlampe wurde anlässlich der Ausstellung in einer Berliner Ladenpassage installiert, auf die drei Jahre später die erste ständige elektrische Straßenbeleuchtung Berlins folgte.
1880 konstruierte Werner von Siemens den ersten elektrischen Personenaufzug der Welt. Ein Jahr später wurde die weltweit erste elektrische Straßenbahn im heutigen Berliner Stadtteil Lichterfelde in Betrieb genommen.
Dabei waren seine Startbedingungen nicht die einfachsten, wie der Unternehmenshistoriker Johannes Bähr in seiner zum 200. Geburtstag vorgelegten Biografie „Werner von Siemens 1816 – 1892“ beschreibt. Wegen des wirtschaftlichen Misserfolgs des Vaters blieb ihm ein Studium versagt. Doch mit dem Eintritt in die preußische Armee verschaffte sich der zielstrebige junge Mann Zugang zu einer naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung, die die Basis für seine Arbeiten in der damals noch jungen Elektrotechnik bildete.
Schon früh verstand es Werner von Siemens, naturwissenschaftliche Begabung und unternehmerischen Spürsinn miteinander zu verbinden. „Er war sehr praxisnah und marktorientiert“, sagt Bähr. Weil das Militär damals an einer schnellen und sicheren Nachrichtenübertragung interessiert war, konstruierte er 1846/47 einen Zeigertelegrafen und gründete noch im gleichen Jahr die „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“ zusammen mit dem Mechaniker Johann Georg Halske. Schon rasch expandierte die junge Firma ins Ausland. Es folgten weitere wegweisende Erfindungen und Entwicklungen mit Schwerpunkt auf Elektrizität und Energietechnik.
Die Elektrifizierung gehört – anders als die Telekommunikation – auch heute noch zum Kerngeschäft des Konzerns. Doch ähnlich wie der Firmengründer in seiner Zeit, stehen das Unternehmen und die Weltwirtschaft vor der nächsten industriellen Revolution – die allgegenwärtige Digitalisierung und Automatisierung, die Vorstandschef Kaeser zu weiteren Zukunftsfeldern für Siemens ausgerufen hat. Nach einem radikalen Konzernumbau treibt Kaeser derzeit die Neuausrichtung von Siemens voran – mit der weiteren Verselbstständigung der Medizintechnik, die er an die Börse bringen will, und milliardenschweren Zukäufen wie die erst Mitte November angekündigte Übernahme des Industriesoftware-Spezialisten Mentor Graphics aus den USA.
Aber auch mit eigenen Innovationen soll das Unternehmen – ganz im Sinne seines Gründers – in die Zukunft gehen. Dafür hatte Kaeser vor einem knappen Jahr die Start-up-Einheit Next47 auf den Weg gebracht. Siemens lässt sich diese „Innovations-Plattform für die übernächste Generation“ in den kommenden fünf Jahren eine Milliarde Euro kosten und will damit kreative Ideen abseits ausgetretener Pfade fördern. Der scheidende Technikvorstand Siegfried Russwurm stellte die Einheit vor einigen Monaten symbolträchtig in einer kleinen Ausstellung in der neuen Konzernzentrale in München vor, in der Original-Gegenstände aus der Werkstatt von Siemens & Halske zu sehen sind.
Die wichtigsten Fakten zum erwarteten Hörgeräte-Verkauf bei Siemens
Die Siemens-Hörgerätesparte (Audiologische Technik) gehört neben Sonova aus der Schweiz und William Demant aus Dänemark zu den großen Anbietern der Branche. Das Geschäft hat eine lange Tradition im Konzern: Bereits vor gut 100 Jahren brachte Siemens das erste industriell gefertigte Hörgerät auf den Markt. Heute sind bei dem Tochterunternehmen mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro weltweit etwa 5000 Menschen beschäftigt, davon fast 700 in Deutschland an den Standorten Erlangen und Herford (Nordrhein-Westfalen). Die Profitabilität machte Siemens-Chef Joe Kaeser zuletzt durchaus Freude - die Sparte dürfte noch besser dastehen, als die ohnehin renditeträchtige Medizintechnik von Siemens insgesamt.
Siemens konzentriert sich unter Kaesers Führung zunehmend auf das Projektgeschäft mit Großkunden. Als vielversprechende Geschäftsfelder hat der Siemens-Chef die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung ausgemacht. Im Energiegeschäft will Kaeser zudem vom Öl- und Gasboom in den USA profitieren und hatte erst kürzlich die Milliarden-Übernahme des US-Kompressorenherstellers Dresser-Rand auf den Weg gebracht. Produkte für Verbraucher wie auch die Hausgeräte, die Siemens dem langjährigen Joint-Venture-Partner Bosch überlässt, passen da nicht mehr recht hinein. Eine Trennung von den Hörgeräten wäre nun für die Münchner der endgültige Abschied vom Endkundengeschäft mit seinen speziellen Spielregeln und Vertriebswegen. Auch in der restlichen Medizintechnik setzt Siemens auf Geschäftskunden: Röntgengeräte, Computertomographen, Ultraschallgeräte und Labordiagnostik-Systeme etwa finden ihre Abnehmer vor allem bei Kliniken, Forschungseinrichtungen und großen Labors.
Die Nase vorn soll der skandinavische Finanzinvestor EQT haben, aber auch andere Interessenten waren in Medienberichten genannt worden, darunter auch der dänische Hörgerätehersteller GN Resound. Ein anderer Spieler aus der Branche dürfte aus Kartellgründen kaum infrage kommen, hieß es in Industriekreisen.
Arbeitnehmervertreter sähen eine mögliche hohe Schuldenlast im Falle eines größtenteils fremdfinanzierten Deals mit Sorge und haben Standort- und Beschäftigungsgarantien gefordert. Sie fürchten, dass ein entsprechender Käufer einen harten Sparkurs einschlagen könnte. Dem Vernehmen nach könnte es aber auch Absprachen zwischen Siemens und einem Käufer zur Zukunft der Arbeitsplätze geben. Damit könnte Siemens auch versuchen, Negativmeldungen zu vermeiden, hieß es im „Handelsblatt“.
Nicht nur die Konjunktur, auch die Börsen erleben im Moment unsichere Zeiten. So liefen beispielsweise die Börsendebüts von Zalando und Rocket Internet eher mau, und die Zalando-Aktie notiert noch immer deutlich unter ihrem Ausgabepreis. Zuletzt hatte beispielsweise das Schweizer Biotechnologie-Unternehmen Molecular Partners seinen Gang aufs Parkett wegen eines „ungünstigen Börsenumfelds“ vorerst abgesagt.
Wie für den Firmengründer soll auch für Next47 Risikobereitschaft und die Fähigkeit, auch mal einen Rückschlag einzustecken, zum Programm gehören. Das erste Projekt der Start-up-Einheit ist ein hybrid-elektrischer Antrieb für Flugzeuge, dessen Machbarkeit Siemens zusammen mit Airbus bis 2020 nachweisen will. So weit wie Werner von Siemens muss derweil heute niemand mehr gehen, um Innovationen voranzubringen: Der sei für die Erschließung neuer Märkte – wie etwa bei der Verlegung von Telegrafen-Kabeln auf hoher See – sogar bereit gewesen, sein Leben zu riskieren, sagt Bähr.