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200. Gründungstag Suche nach dem "Mythos Krupp"

Was das Unternehmen Krupp von anderen unterscheidet und zur Legende macht, kann Harold James in seiner Firmenbiographie nicht ausreichend beantworten.

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Das Bild aus dem Jahr 1961 zeigt einen 28,8-t-Dampfturbinenläufer in einer Fabrikhalle. Quelle: dpa

Düsseldorf/Hamburg Über Krupp zu schreiben, heißt auch, über Deutschland zu schreiben - und Harold James hat beides getan. Deutschland ist für den britischen Wirtschaftshistoriker und Deutschland-Spezialisten ein Ort schrullig-liebenswürdiger Absonderlichkeiten, jedenfalls wenn es um den Kapitalismus geht, den "Rheinischen Kapitalismus". Ein Wesenszug der deutschen Unternehmerschaft, so schreibt er gleich mehrfach in seinem Krupp-Porträt, ist deren "gespaltenes Verhältnis zum Profit".

Selbst Josef Goebbels muss für das Klischee als Kronzeuge herhalten: "Nicht dem Kapital, aber dem Kapitalismus haben wir den Kampf geschworen", zitiert James den einstigen Reichspropagandaminister der Nationalsozialisten. Was für Deutschland gilt, gilt auch für Krupp: Gleich in der Einleitung erhebt der Autor das "Fehlen einer ausschließlichen Fixierung auf Profit und Profitabilität" zu einem der Leitmotive, "die sich im Lauf der Entwicklung der Firma herauskristallisierten".

Krupp, das hat James völlig richtig erkannt, ist wohl das deutscheste aller deutschen Industrieimperien. Die Firma, die an diesem Sonntag ihr 200-jähriges Gründungsjubiläum in der Villa Hügel begeht, war jahrzehntelang ein deutscher Mythos, eine "Legende", wie James selbst im Untertitel schreibt. Doch damit hört die Analyse auf.

James, der in Princeton lehrt, beschreibt zwar, wie Krupp für die Linken des frühen 20. Jahrhunderts quasi zum Staatsfeind wurde, wie seine Eigentümer einst als "Kanonenkönige" verspottet wurden und wie sie die Stadt Essen dominierten, in der die Dynastie tatsächlich zahlreiche Spuren hinterlassen hat.


Was unterscheidet Krupp von anderen Unternehmen?

Er legt dar, dass Krupp der wohl wichtigste deutsche Rüstungskonzern war - und zwar in Zeiten, in denen Deutschland zwei Weltkriege führte. Noch immer präsent ist der Hitler-Ausdruck "hart wie Kruppstahl".

Er berichtet, wie die Firmenpolitik immer wieder Gegenstand von Parlamentsdebatten war, und er erzählt, wie der Kaiser und Adolf Hitler sowie zahlreiche Regierungschefs und Staatsoberhäupter aus aus aller Herren Länder nach Essen zur Villa Hügel reisten, dem Stammsitz der Familie Krupp. Jenem Ort also, der viele Jahrzehnte lang das Machtzentrum der deutschen Wirtschaft war.

Doch der Historiker vermag nicht zu erklären, wie das 1811 gegründete Unternehmen zu einem nationalen Symbol wurde. Was hat Krupp von allen anderen deutschen Unternehmen unterschieden? Das mangelnde Profitstreben kann es ja nicht gewesen sein, laut James waren von dem Phänomen auch andere Firmen betroffen - oder befallen.

Die beiden anderen Leitmotive, die der Historiker bei Krupp ausmacht, der Drang zur globalen Technologieführerschaft und die Spannung, die sich aus den Gegebenheiten eines Familienbetriebes einerseits und "dem Aufbau einer vielgliedrigen Unternehmensorganisation" andrerseits ergeben, taugen ebenso wenig als Begründung. James, das sei ihm zugestanden, erhebt gar nicht den Anspruch, dem "Mythos Krupp" nachzuspüren oder ihn zu ergründen - auch wenn eben das seinem Buch sicher gutgetan hätte.


Führungs-Querelen belasten

Statt also überzeugend eine These aufzustellen oder zumindest eine Fragestellung zu verfolgen, erzählt James die Geschichte des Unternehmens - chronologisch und in allen Facetten. Seine Krupp-Biografie, die von der Krupp-Stiftung mitfinanziert wurde, beschreibt den wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg des Unternehmens, das in den ersten 25 Jahren seines Bestehens praktisch nur Verluste gemacht hat. James charakterisiert die Obrigkeiten der Dynastie und ihre Motive, erzählt die Skandale der Familie auf unaufgeregte und dennoch unverhohlene Weise.

Der Autor beschreibt zudem die Führungsquerelen innerhalb des Konzerns sowie dessen Rolle in der Gesellschaft, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit - detailliert und präzise, aber ohne große Prioritäten zu setzen. Breiten Raum nimmt die Gegenwart ein, der Weg des Generalbevollmächtigten Berthold Beitz, die Schließung 1993 der Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen, der Stabwechsel an Gerhard Cromme, 1998 die Fusion mit Thyssen, der Auszug aus dem Düsseldorfer Dreischeibenhaus zurück nach Essen in eine neue Firmenzentrale auf dem alten Werksgelände.

Alles in allem hat James ein gut lesbares, aber auch ein braves Buch geschrieben. Es ist kein herausragendes Werk, aber auch kein wirklich schlechtes und hat viel von einer Jubiläumsschrift. Der Autor setzt, anders als viele andere Autoren, auch nur sehr selten zu viele Vorkenntnisse voraus. Er schreibt erfrischend klar, wie es die Spezialität britischer Historiker ist. Und er beschreibt die Firmengeschichte im Kontext der deutschen Geschichte - auch wenn er dabei gelegentlich in Klischees verfällt. Die DNA des Unternehmens aber hat James nicht entschlüsselt, und letztlich ist das auch gut so. Denn nur so kann der Mythos fortbestehen.


Harold James:Krupp. Deutsche Legende und globales Unternehmen C.H. Beck, München 2011, 343 Seiten, 19,95 Euro


Bertha Krupp: Alleinerbin als strenge Patriarchin mit Familiensinn

Der Name Bertha muss in der Industriellenfamilie Krupp beliebt gewesen sein: Friedrich Alfred Krupp nannte seine älteste Tochter so - zugleich wurde im Ersten Weltkrieg eine Kanone aus dem Hause Krupp "die dicke Bertha" genannt. Dass die junge Frau damals wegen des Geschütznamens beleidigt gewesen sein könnte, verneinte ihre Enkelin jetzt in einem Interview: "Das war ein Marketing-Gag, der keine Bedeutung hatte", sagte Diana Maria Friz.

Die 67-Jährige hat eine Biografie über ihre Großmutter herausgebracht, über Bertha Krupp, verheiratete Krupp von Bohlen und Halbach. Über die Frau, die als geachtet und gefürchtet bezeichnet wird - die im Alter von 16 Jahren nach dem frühen Tod ihres Vaters Friedrich Alfred Krupp Alleinerbin des Krupp-Imperiums wurde.

Die Enkelin Friz, die in Argentinien lebt und das Leben ihrer Großmutter in der Biografie mühevoll rekonstruiert hat, zitiert aus vielen Briefen Berthas an ihren Mann und anderen unveröffentlichten Dokumenten. 330 Fußnoten zählt das Werk, zudem verwendet die Autorin Dutzende Fotos aus dem Familienbesitz. Persönlich, sagt die Autorin, habe sie die Oma weitaus weniger streng erlebt.

Mit Handkuss habe sie sie dennoch begrüßen müssen. Bertha Krupp, geboren 1886, gestorben 1957, hat in einer bewegenden Zeit gelebt: Zwei Weltkriege, das Ende der Kaiserzeit, die große Wirtschaftskrise, die Weimarer Republik, das Dritte Reich und die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Vater ist 1902 auf skandalumwitterte Weise gestorben. Friz erwähnt die "Verleumdungskampagne" kurz, nach der Friedrich Alfred Krupp der Homosexualität beschuldigt worden war. Nach seinem Tod gab es weitere Gerüchte, auch weil er keines natürlichen Todes gestorben sein soll.

Er hinterlässt neben seiner Frau Margarethe seine Töchter Bertha und Barbara. Als Alleinerbin wird Bertha zügig verheiratet. Fortan fungiert ihr Ehemann Gustav von Bohlen und Halbach, genannt Taffy, als Leiter des Unternehmens. Bertha bleibt im Hintergrund, hat zwar an strategischen Entscheidungen teil, kümmert sich aber um die Familie. Sie bringt acht Kinder zur Welt und hält die Familie zusammen. Mal von der Villa Hügel in Essen aus, mal vom Schloss Blühnbach in Österreich oder dem Jagdschloss Sayneck in Neuwied. Stets ist die Familie umringt von Personal, von Gouvernanten, Hauslehrern und persönlichen Bediensteten.

"Ich genieße das Zusammensein mit den Kindern sehr, so ganz ohne störende Zwischenpersonen", schreibt sie ihrem Taffy mal aus den Ferien, "könnte man das nur öfters haben". Bertha Krupp, die häufig als strenge Patriarchin dargestellt wird, der in den Kriegen als Waffenproduzentin mehr als eine zweifelhafte Rolle zugeschrieben wird, kommt in Friz' Buch besser weg: menschlicher, mit einem hohen Verantwortungsgefühl. Aus Enkelinnen-Sicht.


Diana Maria Friz: Bertha Krupp und ihre Kinder. Das Leben meiner Großmutter dtv, München 2011, 344 Seiten, 19,90 Euro

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