Die Bilanz der Allianzen und der Übernahmen deutscher Unternehmen durch Franzosen fällt durchwachsen aus. Der Versuch der Deutschen Bahn und der französischen Staatsbahn, Siemens und Alstom zur Entwicklung eines gemeinsamen Hochgeschwindigkeitszuges zu bewegen, scheiterte 2004 kläglich. Dagegen expandiert die frühere Citibank in Deutschland kräftig, nachdem die französische Genossenschaftsbank Crédit Mutuel das Unternehmen 2008 für fünf Milliarden Euro übernahm und in Targobank umbenannte. Die prominentesten Beispiele:
Adidas
Mindestens drei Mal kreuzten Franzosen die Wege des Dax-Konzerns Adidas. Erst kaufte zu Beginn der Neunzigerjahre der schillernde Geschäftsmann Bernard Tapie den Dassler-Erben das damals in seiner Existenz bedrohte Unternehmen ab und machte es anschließend konzeptlos fast völlig platt. Dann rettete Tapies Landsmann Robert Louis-Dreyfus den heute zweitgrößten Sportartikler der Welt, indem er ihn zur geölten Marketingmaschine umbaute.
Allerdings fiel 1997 auch der Kauf des Wintersportunternehmens Salomon aus dem südostfranzösischen Annecy in die Ära Dreyfus – ein veritabler Fehler. Denn der für umgerechnet 1,2 Milliarden Euro übernommene Skihersteller führte weiter ein nicht kontrollierbares Eigenleben. Adidas-Chef Herbert Hainer bekannte später: „Wir haben es nicht geschafft, die Marke Salomon zu integrieren.“ Nach acht mauen Jahren mit sinkenden Erträgen verkaufte Adidas das französische Kuckucksei 2005 für rund 485 Millionen Euro an den finnischen Sportkonzern Amer.
Das Tauziehen um Alstom
Am 24. April wird bekannt, dass GE Alstom kaufen will. Der Schritt gilt als Frontalangriff auf Siemens. Am nächsten Tag rufen die Übernahmegerüchte die französische Regierung auf den Plan. Sie will einen Verkauf in die USA mit allen Mitteln verhindern. Am 27. April greift Siemens in den Übernahmepoker ein. Man habe der Alstom-Führung „Gesprächsbereitschaft über strategische Fragen zukünftiger Zusammenarbeit“ signalisiert. Am 28. April schaltet sich Frankreichs Präsident Hollande in das Tauziehen ein. Bei getrennten Treffen berät er mit den Chefs von Siemens und GE. Einen Tag später kündigt Siemens ein Angebot für Alstom an. Bedingung dafür: Siemens will die Alstom-Bücher vier Wochen lang prüfen und Managementinterviews führen. Am 30. April empfiehlt der Verwaltungsrat von Alstom den Aktionären eine bindende Offerte von GE. Dieser will für die Energietechnik-Sparte von Alstom 12,35 Milliarden Euro zahlen.
Siemens-Chef Kaeser betont „ernsthaftes“ Interesse an Alstom. Zugleich sagt der Manager, er wolle mit dem Übernahmeplan auch die Handlungsfähigkeit der Siemens-Führung unter Beweis stellen. Einen Tag später lehnt Montebourg das GE-Angebot für Alstom öffentlich ab. Am 9. Mai berät Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit seinem Kollegen Montebourg über einen möglichen Alstom-Siemens-Deal. Am 11. Mai werden Medienberichte bekannt, laut denen Siemens Alstom neben der eigenen Bahnsparte auch das Geschäft mit Signaltechnik anbieten will.
Frankreichs Regierung sendet widersprüchliche Signale. Energieministerin Ségolène Royal bezeichnete das GE-Angebot in einem Interview als „sehr gute Gelegenheit“. Nach einem Treffen mit Kaeser teilt sie mit, das deutsche-französische Projekt komme gut voran. Einen Tag später erweitert Paris seine Eingriffsrechte bei internationalen Deals. Mittels Verordnung könne ohne die bei „nationalem Interesse“ nötige Zustimmung eine ungewünschte Alstom-Übernahme gekippt werden.
Der Siemens-Betriebsrat fordert für den Fall einer Alstom-Übernahme erneut den Erhalt der Arbeitsplätze in der Bahnsparte des Konzerns, die dann an die Franzosen gehen soll.
Nach Angaben der französischen Regierung hat Siemens um zusätzliche Informationen über das Unternehmen gebeten. Paris wertet dies als Hinweis auf ein bevorstehendes Übernahmeangebot.
Hollande lässt erneut ein Treffen mit GE-Chef Jeff Immelt anberaumen. Der Präsident hatte das GE-Angebot zuletzt als nicht ausreichend bezeichnet. Am 28. Mai bessert GE das eigene Angebot nochmals etwas nach.
Kaeser betont nochmals, dass Siemens keinen Zeitdruck verspüre und bis zum 16. Juni alle Optionen prüfen werde.
Überraschend geben Siemens und der japanische Konkurrent Mitsubishi Heavy Industries (MHI) bekannt, ein gemeinsames Angebot für Alstom zu prüfen.
Siemens und MHI legen ihr Angebot für Alstom vor. MHI will sich mit bis zu zehn Prozent an Alstom beteiligen und eine umfassende industrielle Allianz, aber keine Übernahme. Das Gasturbinen-Geschäft der Franzosen soll an Siemens gehen. Insgesamt beinhaltet die Offerte Barzahlungen von Siemens über 3,9 Milliarden Euro und von MHI über 3,1 Milliarden Euro.
Hoechst
Eigentlich war das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt fein austariert. 1999 fusionierte der einst stolze Frankfurter Pharmakonzern Hoechst, nachdem er von seinem Chef Jürgen Dormann rigoros zerlegt worden war, mit dem Konkurrenten Rhône-Poulenc in Lyon. Das neue Unternehmen hieß fortan Aventis. Der Sitz war im französischen Straßburg, den Chefposten bekam Dormann. Doch das optische Gleichgewicht währte nicht lange. Schon nach gut zwei Jahren zog sich der Deutsche, wohl auch zermürbt vom Machtpoker der Franzosen, zurück und wechselte an die Spitze des Aufsichtsrat. Im Aventis-Vorstand dominierten fortan Franzosen und Amerikaner.
Der zweite Streich folgte 2004, als Aventis vom französischen Pharmakonzern Sanofi-Synthelabo geschluckt wurde. Dadurch wurde das Unternehmen endgültig französisch mit Konzernsitz in Paris. Von hier wird auch der Rest von Hoechst in Frankfurt gesteuert wird, wo noch gut 7000 Beschäftigte unter anderem das Insulinpräparat Lantus herstellen. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich zuletzt unter französischer Ägide um 330 Arbeitsplätze verringert.
Areva und Airbus Group
Areva
Der Deutschland-Zentrale des französischen Atomkraftkonzerns Areva in der Paul-Gossen-Straße 100 in Erlangen sieht man nicht an, dass dies einmal die kerntechnische Sparte Kraftwerksunion (KWU) von Siemens war. KWU baute in den Siebziger- und Achtzigerjahren die Atomkraftwerke in Deutschland, zusammen mit der untergegangenen AEG. Unter dem heute französischen Konzerndach arbeiten in Deutschland 5800 Beschäftigte. Knapp 5000 sind mit der Belieferung und Wartung der hiesigen Atommeiler beschäftigt, 800 in der Sparte Erneuerbare Energien. So stellt Arvea Deutschland Rotorblätter für Windmühlen her und ist damit Nummer zwei beim Bau von Offshore-Windanlagen.
Wie groß die künftige Siemens-Energie- und die Alstom-Zugtechniksparte würde
Alstom ist Weltmarktführer bei Strom-Umspanntechnik, hat anders als Siemens aber bei den großen schweren Umspannplattformen auf hoher See bisher kaum Projekte vorzuweisen.
Umsatz:10,0 Mrd. €
Mitarbeiter:40 870
Durch eine Zusammenlegung der entsprechenden Sparten entstünde ein echter Weltmarktführer, der vor allem auch der wachsenden Konkurrenz aus China Paroli bieten könnte.
Umsatz:8,6 Mrd. €
Mitarbeiter:38 200
Auch wegen der Energiewende lahmt das Geschäft. Doch hoch lukrativ sind die Wartungsverträge für die Kraftwerke. Siemens wäre durch die Übernahme der Alstom-Sparte ein Schwergewicht.
Umsatz: 19,9 Mrd. €
Mitarbeiter: 67 290
Bei Windkraftanlagen auf hoher See ist Siemens unangefochtener Weltmarktführer. Das Geschäft mit den Mühlen auch an Land, spielt bei Alstom eine untergeordnete Rolle, soll aber wachsen.
Umsatz: 7,0 Mrd. €
Mitarbeiter: 16 300
Areva steht für den Abschied von Siemens aus der Atomtechnik. Die Münchner verkauften 2001 und schließlich 2009 ihr strahlendes Geschäft an die Franzosen, die die Sparte sanierten und rund 1300 Beschäftigte in Deutschland feuerten. Für ein teures Wiedersehen mit den Franzosen sorgte Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, als er 2010 den Schulterschluss mit dem russischen Nuklearausrüster Rosatom suchte. Areva zog eine Wettbewerbsklausel und zwang Siemens über ein Schiedsgericht zur Zahlung von 650 Millionen Euro.
Airbus Group
Beim Luft- und Raumfahrt- sowie Rüstungskonzern EADS, der seit Januar Airbus Group heißt und an dem Deutschland und Frankreich je zwölf Prozent halten, klappt die deutsch-französische Zusammenarbeit fast 15 Jahre nach der Gründung gut. Nutznießer des produktiven Miteinanders sind allerdings immer weniger die deutschen Standorte. Die große Expansion findet in Zukunft außerhalb Europas statt, etwa in China. Die ursprüngliche Parität, die die Deutschen zum einen dem Rüstungsgeschäft verdankten, bröckelt zugunsten der Franzosen, weil der Absatz von Kriegsgerät schrumpft. Berlin kann nicht mehr groß auf Jobs in Deutschland pochen, weil es in den nächsten zehn Jahren keine staatlichen Finanzierungshilfen für neue Modelle geben wird.
Schließlich läuft es auch beim Personal für die Franzosen. Der Konzernsitz ist Toulouse, nicht mehr auch München. Daimler ist als Aktionär raus, sodass von dort keine Top-Kräfte kommen. Und deutsche Ingenieure zieht es lieber in die Autobranche.