Alle Welt erwartete einen Vergleich den 3-Liter-Dieselmotoren. Doch verschob Richter Charles Breyer nur wenige Stunden vorher den für den heutigen Mittwoch anberaumten Gerichtstermin. Ein ungewöhnliches Vorgehen: „Außer Spesen nichts gewesen“, kommentierte Joe Rice, der als Anwalt die geschädigten Verbraucher vertritt.
Anlass für die Verzögerung sind laut Breyer „fortwährende Verhandlungen“ zwischen den Parteien unter Aufsicht von Chefschlichter Robert Mueller. Anscheinend können sich Volkswagen, US-Behörden und die Chefanwälte der Verbraucher nicht auf eine technische und finanzielle Lösung der Abgasaffäre einigen. Breyer gibt sich aber zuversichtlich, dass bis zum neuen Termin am 16.Dezember eine „Lösung der ausstehenden Probleme“ gefunden werden kann.
Konkret geht es um rund 80.000 VW Touareg, Porsche Cayenne oder Audi Q5, Q7 und A8, die sich mit Dieselmotoren auf amerikanischen Straßen bewegen. Anders als beim 2-Liter-Hubraum ist bei ihnen eine technische Lösung vor allem bei neueren Fahrzeugen einfacher durchführbar. Nach der Vorstellung von Volkswagen reicht bei rund 60.000 Fahrzeugen simple Änderungen wie neue Software. Die restlichen 20.000 Autos will der Konzern zurücknehmen.
Es geht um viel Geld für den Autohersteller: Eine Reparatur ist preiswerter als ein Rückkauf, von daher ist der Autohersteller stark daran interessiert, eine technische Lösung durchzusetzen. Müssen die Wolfsburger nur 20.000 statt 80.000 Fahrzeuge zurücknehmen, bewegt sich die Gesamtsumme für Volkswagen inklusive Strafzahlungen und Rücknahmekosten wohl im niedrigen einstelligen Milliarden Dollar Bereich.
Ein Vergleich bei den 3-Liter-Motoren in den USA würde enormen Druck von Audi-Chef Rupert Stadler nehmen. Der Manager war zuletzt wegen neuer Vorwürfe intern wieder stärker in die Kritik geraten. Audi ist im VW-Konzern für die Entwicklung von großen Motoren mit drei Litern Hubraum zuständig. Die VW-Tochter hatte vergangenes Jahr zugegeben, eine nach US-Recht als illegal geltende Software bei Sechszylinder-Diesel-Motoren mit drei Litern Hubraum eingebaut zu haben, um die Abgaswerte zu manipulieren.
Spar- und Sanierungsprogramme bei Volkswagen
Im Jahr des Amtsantritts des späteren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch als Vorstandschef steckt der Konzern in einer tiefen Krise. Er produziert im Vergleich mit der globalen Konkurrenz viel zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30.000 Beschäftigten.
Peter Hartz, von Piëch eingestellter Personalvorstand und späterer Entwickler der Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder, kann den Kahlschlag abwenden. Er führt in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat und der IG Metall unter anderem die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen ein - eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Auch der umstrittene „Kostenkiller“ und Ex-General-Motors-Manager José Ignacio López bringt den verlustreichen Konzern finanziell wieder auf Kurs.
Die Hauptmarke Volkswagen-Pkw fährt chronisch niedrige Erträge ein - eine deutliche Parallele zur heutigen Lage. Nach monatelangen Verhandlungen zum neuen Haustarifvertrag bei VW einigen sich die Parteien auf eine Abkehr von der Vier-Tage-Woche. Als Gegenleistung für die wieder deutlich längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verlangt die IG Metall vom Unternehmen verbindliche Zusagen für die langfristige Zukunft der sechs westdeutschen Werke.
Nachdem Kernmarken-Chef Wolfgang Bernhard mit Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen gedroht hat, verlässt er den Konzern. VW kann dennoch die Kosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Nach Jahren satter Gewinne dümpelt die Marke mit dem VW-Emblem - gemessen an der Marge (Anteil des Gewinns am Umsatz) - im Branchenvergleich erneut vor sich hin. Zugleich muss der Gesamtkonzern die Milliardenlasten des Abgas-Skandals verdauen und sich stärker auf die Zukunftsthemen der Branche konzentrieren.
Der „Zukunftspakt“ soll daher den Spardruck, den Umbau in Richtung E-Mobilität, Digitalisierung und Dienstleistungen sowie das Interesse der Belegschaft an sicheren Jobs und Standorten in die Balance bringen. Nach Monaten des Ringens steht fest: Dies wird nicht ohne Zugeständnisse bei den Jobs gehen. 30.000 Stellen sollen weltweit bis 2020 auslaufen, betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben - stattdessen soll der Abbau etwa über Altersteilzeiten erreicht werden.
Zu Ende ist die Misere von dem Autohersteller in den USA noch nicht. Am morgigen Donnerstag hat der amerikanische Kongress eine Ausschusssitzung einberufen, um die Umweltbehörde EPA wegen dem Vergleich bei 2-Liter-Dieselmotoren kritisch zu befragen. Nach Ansicht einiger Abgeordneter verschafft sich Volkswagen mit dem Kompromiss „einen unfairen Wettbewerbsvorteil“.
Volkswagen muss es bis zu 14,7 Milliarden Dollar zahlen, Teil der Strafe sind zwei Milliarden Dollar, die es in Elektroautos zu investieren soll. Beispielsweise kann Volkswagen damit ein Netzwerk von Auflade-Stationen für sich aufbauen und damit die Grundlage für eine nach 2020 geplante „Elektrifizierung Amerikas“ mit zahlreichen Elektroautomodellen haben.
Weiter anhängig ist eine strafrechtliche Untersuchung der US-Justizbehörde. Nach Ansicht von Experten könnte die noch vor dem Regierungswechsel Anfang nächsten Jahres abgeschlossen werden und eine weitere Milliarden-Strafzahlung für Volkswagen bedeuten.