Abkommen gegen Plastik Kommt jetzt die Plastikobergrenze?

Bis 2060 könnte sich die Menge an produziertem Plastik noch verdreifachen - in Paris sollen die Regierungsvertreter aus der ganzen Welt diese Entwicklung stoppen. Quelle: AP

In Paris verhandelt die Staatengemeinschaft über ein Plastikabkommen. Auf dem Tisch liegt auch ein revolutionärer Vorschlag: Eine Obergrenze für die Plastikproduktion. Doch die Ölindustrie stellt sich dagegen.

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Das Hämmerchen, mit dem das internationale Plastikabkommen symbolisch beschlossen werden soll, ist blau-grau-gold gemustert und aus Recyclingmaterial. Das Team des Verhandlungsleiters Espen Barth Eide, Klima- und Umweltminister Norwegens, hat das Hämmerchen extra anfertigen lassen, Eide schlug das Hämmerchen bereits auf den Tisch, als Regierungsvertreter der ganzen Welt das Mandat für die Aushandlung des Plastikabkommens beschlossen. Es steht symbolisch für ein neues Kunststoffzeitalter: Ein Zeitalter, in dem Plastik vermieden, wiederverwendet oder recycelt wird, in dem es weniger Plastikabfälle in der Umwelt geben soll – und vielleicht auch generell weniger Plastik in der Welt.

Denn wenn sich die internationale Staatengemeinschaft in dieser Woche zu der zweiten Verhandlungsrunde für ein Plastikabkommen trifft, dann diskutiert sie auch über eine mögliche Plastikobergrenze. Ein Limit, bis zu dem die Produktionskapazitäten auf der Welt ausgebaut werden dürfen. Es ist ein weitreichender Vorschlag – und deshalb, wenig überraschend, ein sehr umstrittener.

Dass die Plastikproduktion für Umwelt und Menschen zu einem Problem geworden ist, daran gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Zweifel mehr. 460 Millionen Tonnen Kunststoffe werden jedes Jahr produziert, ermittelte die OECD in einer großen Studie. Die Produktion steigt damit steil an – bis zum Jahr 2060 könnte sich der Plastikverbrauch sogar noch verdreifachen, warnte die OECD. Das ist ein Problem, nicht nur wegen den Unmengen an Plastikmüll, der sich in den Meeren oder auf Deponien anhäuft. Weil Kunststoffe zu über 99 Prozent aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas produziert werden, stehen sie auch für über drei Prozent der klimaschädlichen Emissionen. Der Plastikverbrauch überscheitet damit schon die planetaren Grenzen, warnen Wissenschaftler und Umweltorganisationen vor den Verhandlungen der Vereinten Nationen.

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von Jacqueline Goebel

Es reiche daher längst nicht mehr aus, den Plastikmüll zu bekämpfen, Plastiktütenverbote, Verpackungssteuern oder neue Recyclinganlagen zu beschließen. Nein, das Plastikabkommen soll die gesamte Lieferkette der Kunststoffe betreffen, heißt es bereits im Mandat für die Verhandlungen – auch die Produktion. Wenn weniger Plastik auf den Markt kommt, vor allem weniger Wegwerfplastik und Einwegprodukte, dann gibt es schließlich später auch weniger Plastikmüll.

Insgesamt sind fünf Verhandlungsabrunden für das Abkommen angesetzt. Ende 2024 soll ein Entwurf vorliegen, 2025 könnte das Abkommen beschlossen werden. Doch bereits in der zweiten Verhandlungsrunde, zu der sich in dieser Woche Delegierte aus rund 145 Staaten in Paris versammelt haben, könnte sich entscheiden, wie Modelle für eine Plastikobergrenze funktionieren könnten – und ob die Idee überhaupt eine Chance hat.

Unter den teilnehmenden Regierungen gibt es viele, die der Plastikindustrie gerne Grenzen setzen wollen. So haben sich bereits über 70 Staaten zu einer „High Ambition Coalition“ zusammengeschlossen, um ein weitreichende und ambitioniertes Abkommen durchzusetzen. Dazu gehören Deutschland und die EU-Mitgliedsländer, Kanada, Südkorea, Chile oder die Vereinten Arabischen Emirate. Die Staaten beobachten eine „alarmierende Beschleunigung der Primärkunststoffproduktion weltweit“, heißt es in einem Statement, dass die Staaten der Koalition im Vorfeld der Verhandlungen herausgaben. 40 Prozent diese Produktion fließe heute in Plastikprodukte für den einmaligen Gebrauch. Die Forderung deshalb: „Verbindliche Bestimmungen im Vertrag, um die Produktion und den Verbrauch von primären Kunststoffen einzuschränken und auf ein nachhaltiges Maß zu reduzieren.“

Die Staaten könnten etwa festlegen, dass die produzierten Kapazitäten bis zu einem festgelegten Datum nur noch um einen gewissen Prozentsatz ansteigen dürfen. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert auch das Pariser Klimaabkommen, in dem sich Regierungen verpflichtet haben, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad Celsius steigt.

Die Expansions- und Investitionspläne der Plastikindustrie würden so plötzlich begrenzt. Die Folgen einer solchen Maßnahme wären weitreichend: Bisher sind es die Kunden der Kunststoffindustrie gewohnt, dass Plastik günstig und in Massen zur Verfügung stehen. Für einige Massenkunststoffe wie Polyethylen existieren bereits heute Überkapazitäten, trotzdem investiert die Industrie weiter. Die Umweltaktivisten von Carbon Tracker schätzte, dass die Industrie bis 2025 rund 400 Milliarden Dollar für den Ausbau ihrer Plastikkapazitäten investieren könnte.

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Sollte das nun nicht mehr möglich sein, würde Plastik vielleicht im Preis steigen. Das träfe wohl vor allem Einwegplastikprodukte und Verpackungen, die häufig nur ein paar Cent Material kosten dürfen. Die immer enger werdenden Kapazitäten könnten also dazu führen, dass mehr Plastik für hochwertige, technische Produkte verwendet wird, argumentieren die Befürworter der Plastikobergrenze – und nicht etwa für Wegwerfplastik und Einwegprodukte.

Allerdings: Selbst wenn sich die Regierungen entscheiden würden, dem Wachstum der Plastikindustrie eine Obergrenze zu setzen, so könnte sie dennoch weiter wachsen. Dabei sei der Plastikkonsum heute schon nicht mehr nachhaltig, kritisieren Umweltorganisationen. Die Umweltorganisation Greenpeace etwa fordert deshalb, die Plastikproduktion um 75 Prozent zu reduzieren. Die Industrie dürfte dann nur noch ein Viertel der heutigen Menge an Kunststoffen produzieren. „75 Prozent weniger bedeutet damit auch 75 Prozent weniger Öl und Gas“, sagt Greenpeace-Expertin Viola Wohlgemuth. „Das ist doch ein Wahnsinn, wenn wir in Deutschland weniger duschen und heizen, um Erdgas zu sparen – und dann geht das Gas in die Plastikproduktion.“

In Paris wird sich in den kommenden Tagen nun zeigen, ob eine Plastikobergrenze – oder sogar eine Reduktion der Kapazität – realistisch ist. Selbst unter den Großkonzernen gibt es Unterstützer für solche Maßnahmen. So haben sich Nestlé und Unilever bereits in der ersten Verhandlungsrunde im November in Uruguay für eine Plastikobergrenze ausgesprochen. Beide Unternehmen sind Teil einer Unternehmens-Koalition, die sich für ein weitreichendes Abkommen gegen Plastik ausgesprochen haben. Die Konsumgüterkonzerne haben genug davon, allein für die Plastikmüllverschmutzung verantwortlich gemacht zu werden.

Die Suche nach einem Kompromiss dürfte schwierig werden. Mächtige Staaten stellen sich gegen die Forderungen nach einer Plastikobergrenze – etwa die USA und Saudi-Arabien. Beide Staaten haben eine große Ölindustrie, die auf ein Wachstum des Plastikkonsums wettet und Milliarden in neue Plastikfabriken investiert. Auch bevölkerungsreiche Länder wie Indien und China haben sich bisher nicht klar positioniert, berichten Verhandlungsteilnehmer.

„Es gibt ein starkes Lobbying aus der Ölindustrie, die sich gegen eine Produktionsgrenze stellt“, sagt Wohlgemuth von Greenpeace. So argumentieren große Verbände wie der American Chemical Council (ACC) oder der deutsche Verband der Chemischen Industrie (VCI) dafür, dass sich die Plastikkrise durch mehr Recycling in den Griff kriegen lasse – und mithilfe umstrittener Technologien wie dem Chemischen Recycling. Nicht die Plastikproduktion müsse eingegrenzt werden – sondern der Einsatz von gesundheitsschädlichen Additiven und nicht recycelbaren Kunststoffen. „Da wird jetzt mit aller Kraft versucht, diese Beschränkungen nur auf einige problematische Kunststoffe runterzuschrauben“, sagt Wohlgemuth.

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So haben die USA vor der Verhandlungsrunde in Paris bereits den Vorschlag eingereicht, dass ein mögliches Abkommen schon in seiner Einleitung die „vorteilhafte Rolle von Kunststoff, auch für die menschliche Gesundheit und die Lebensmittelsicherheit“ betonen solle. Hinter den Kulissen sollen Vertreter der USA sogar andeuten, die USA könnten das Abkommen nicht unterschreiben, wenn es nicht den eigenen Interessen entspräche. Dann wäre einer der größter Plastikproduzenten der Welt nicht Teil des Abkommens.

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