Ärger für Volkswagen in Australien VW-Diesel schlucken nach Rückruf angeblich mehr Sprit

Eigentlich hatte Volkswagen gehofft, in diesem Jahr endlich den Abgasskandal abschütteln zu können. Doch nun drohen neue Sammelklagen in Australien. Kunden beschweren sich über die Folgen einer Software-Installation.

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Australische Kunden berichten nach einem Rückruf über höheren Treibstoffverbrauch und verminderte Motorenleistung. Quelle: AFP

Sydney/Düsseldorf David Ellingworth ist die Frustration ins Gesicht geschrieben. „Früher hatte ich meinen Treibstofftank einmal pro Monat gefüllt. Nachdem mir VW die neue Software installiert hat, tanke ich alle zweieinhalb bis drei Wochen.“ Ellingworth ist Besitzer eines Amorak. Ein wuchtiges Fahrzeug, schwarz, mit roten Zierstreifen und Buchstaben. Teure Zusatzscheinwerfer zeugen vom Stolz des Besitzers. Ellingworth erzählt, sein Fahrzeug verbrauche seit dem Upgrade im vergangenen Jahr etwa 15 Prozent mehr Diesel. „Ich gebe mehr Geld aus. Dafür soll mich VW kompensieren“, fordert der KfZ-Fahrer.

Über 100 VW-, Audi- und Skoda-Besitzer haben sich landesweit bei Anwälten gemeldet, die auf Sammelklagen spezialisiert sind. Sie fordern Schadensersatz für zusätzliche Kosten, die ihnen nach dem Update entstanden seien. Rund 21.000 Volkswagenkunden hätten bisher in Australien das Angebot angenommen, in ihren Dieselfahrzeugen kostenlos die Software aktualisieren zu lassen, so das Unternehmen. Dieser „freiwillige Rückruf“ als Reaktion auf den Abgasskandal sei von den australischen Behörden bewilligt worden.

Nachdem im September 2015 bekannt geworden war, die Volkswagen AG habe eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung von Dieselautos verwendet, meinte das Unternehmen, auch 93.234 in Australien verkaufte Fahrzeuge könnten betroffen sein. Schon damals versprach VW eine „technische Lösung“ des Problems. Und schon damals gab es Kritiker wie die Verbraucherorganisation Choice. Die fürchtete, „viele Autobesitzer könnten damit nicht zufrieden sein“.

An „Spritzigkeit“ verloren

Die Prognose hat sich bewahrheitet. Insbesondere Vielfahrern geht das Update an den Geldbeutel. Sie wollen Dollar, nicht Software. Pat Grbevska hatte ihren VW Passat, Jahrgang 2011, vor drei Monaten zum Software-Upgrade in die Garage gefahren. Seither sei ihr Fahrzeug nicht mehr dasselbe. „Die Treibstoffeffizienz pro Füllung Diesel ist deutlich zurückgegangen“, klagt sie.

Doch die Kritiker klagen nicht nur über höhere Spritkosten. Ian Billion aus dem Bundesstaat Queensland hatte die Software an seinem Audi Quattro A4, Jahrgang 2014, vor etwas über zwei Monaten installieren lassen. „Sofort danach stellte ich einen deutlichen Rückgang der Leistung fest, und die Reaktionsfähigkeit ist auch reduziert“, behauptet der Fahrer. Sein Auto habe an „Spritzigkeit“ verloren.

Bei der australischen Volkswagen-Vertretung in Sydney reagiert man zurückhaltend auf die Vorwürfe. „VW Australien hat die Anfragen von Kunden über Treibstoffverbrauch im Zusammenhang mit der Installation der neuen Software adressiert“, so Sprecher Kurt McGuiness. Kunden gibt VW eine Telefonnummer, die sie anrufen können. Dort sei man „gerne bereit, Probleme zu untersuchen und jegliche Bedenken zu lösen“.

Gleichzeitig weist VW Australia darauf hin, dass „die Software weltweit in drei Millionen Fahrzeugen installiert worden sei“. Die zuständige australische Behörde habe akzeptiert, dass nach dem Update die Abgaswerte in Fahrzeugen eingehalten würden. VW habe „großes Vertrauen“ in die Korrektur-Software, ein Vertrauen, das auf Testergebnissen durch die zuständigen Ämter in Europa basiere. Es handelte sich dabei um „unabhängige Prüfungen von Treibstoffverbrauch und Emissionen durch drei der ältesten und respektierten Kraftfahrzeugorganisationen in Deutschland, der Schweiz und Österreich“. Die Tests zeigten, dass „die bisherige Motorleistung, maximale Beschleunigung und Geräuschemissionen unverändert bleiben“, sagte der VW-Sprecher dem Handelsblatt.

„Hinterwäldlerische Bürger“

Ob diese Zusicherungen den Kritikern genügen werden, ist fraglich. Führend in der Kritik von VW in Australien ist Choice. Deren Chef Alan Kirkland beschuldigte das Unternehmen schon vor längerem, seine australischen Kunden wie „hinterwäldlerische Bürger“ zu behandeln und ihnen nur eine technische Lösung als Wiedergutmachung anzubieten. Der Konzern sieht sich nun in Australien mit mehreren Klagen konfrontiert. Die australische Verbraucheraufsicht ACCC hatte im vergangenen September angekündigt, VW vor Gericht ziehen zu wollen. Der Vorwurf: Das Unternehmen habe sich „irreführend oder trügerisch“ verhalten.


Gericht im Oktober

Das Anwaltsbüro Maurice Blackburn vertritt in einer Sammelklage Dutzende VW-Kunden. Sie hoffen auf Schadensersatz. Die vermeintlichen Probleme nach der Installation der neuen Software seien keine Einzelfälle. „Wir werden überwältigt von Anrufen unserer Kunden, die sich sorgen“, sagt Anwalt Jason Geisker. Diane Chapman von Bannister Law berichtet von ähnlichen Erfahrungen: „Die Leute befürchten, dass der Wert ihres Fahrzeugs nicht der ist, der er sein sollte.“

Die Klagen sollen Ende Oktober vor das Bundesgericht kommen. Die Höhe einer möglichen Kompensation oder eines Schadensersatzes ist nicht klar. Sie werde vom Richter festgesetzt, erläutert Bannister Law. Dass vorher wie in den Vereinigten Staaten eine außergerichtliche Lösung gefunden wird, ist fraglich.

Teurer Vergleich

In den USA greift VW tief in die Taschen: In einem insgesamt 15 Milliarden US-Dollar schweren Vergleich einigte sich der Konzern mit etwa 480.000 Fahrern von Autos mit Zwei-Liter-Motoren. Sie können ihre Wagen zurückzugeben oder umrüsten lassen. Außerdem erhalten die Kunden eine Einmalzahlung von bis zu 10.000 Dollar. Auch mit den Käufern größerer Dieselfahrzeuge konnte sich der VW-Konzern Anfang 2017 einigen. Dabei ging es um rund 80.000 Autos mit Drei-Liter-Maschinen wie den Porsche Cayenne, den VW Touareg und verschiedene Audi-Modelle, bei denen die verbotene Abgastechnik eingesetzt wurde. Für VW soll der Vergleich nochmal mit knapp 1,3 Milliarden US-Dollar zu Buche schlagen – wenn die Rückkäufe und die Umrüstungen wie geplant funktionieren. Auch für die Drei-Liter-Diesel gibt es zusätzliche Entschädigungen von 7000 bis 16.000 Dollar pro Auto.

In Deutschland ist es für VW-Kunden schwierig, Schadensersatz durchzusetzen. Der Konzern steht auf dem Standpunkt, nicht gegen nationales Recht verstoßen zu haben und weist solche Ansprüche von Kunden strikt zurück. Die Fahrzeuge seien nicht mangelhaft und würden soweit nötig nachgerüstet, argumentiert VW. Tatsächlich hat das Kraftfahrtbundesamt die Umrüstungen gebilligt. Auch den Vorwurf des Betrugs weist VW von sich.

Dennoch gibt es zahlreiche Klagen von VW-Besitzern, die sich damit nicht zufrieden geben wollen. Rund 2000 Klagen sind inzwischen anhängig, Tendenz steigend. Die meisten VW-Kunden verklagen ihre Händler, andere direkt den VW-Konzern. In der Mehrzahl der entschiedenen Fälle konnten sich die Kläger nicht durchsetzen. So schmetterte das Landgericht Bochum eine Klage mit der Begründung ab, dass der Mangel nicht wesentlich sei und mit wenig Aufwand behoben werden könne.

Doch es gibt auch Landgerichte, die anders urteilten. Besonders deutlich wurde etwa das Landgericht Hildesheim. In seinem Urteil ist mehrfach von „Betrug“ die Rede. Das Gericht führte aus: „Die Organe der Beklagten haben den Tatbestand des Betruges gegenüber dem Kläger – jedenfalls in mittelbarer Täterschaft unter Benutzung ihrer Tochterunternehmen und deren Händler – vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht.“ Auch das Landgericht Krefeld gab einem VW-Besitzer Recht: „Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen.“ Allerdings ist noch nicht klar, wie die Oberlandesgerichte den Fall sehen, in dieser Instanz gibt es noch keine Entscheidung.

Neben den Einzelklagen üben auch Klageplattformen Druck aus. Sie sammeln die Ansprüche einer Vielzahl von Klägern. Prominentester Anbieter ist Myright. Auf der Internetseite des Dienstleisters können sich Dieselbesitzer registrieren lassen, die nicht selbst klagen wollen. Myright lässt sich die Ansprüche abtreten und will kollektiv gegen VW vorgehen. Nach Firmenangaben beteiligen sich inzwischen mehrere zehntausend VW-Kunden. Myright hat die US-Kanzlei Hausfeld mandatiert, die auf solche Massenstreitfälle spezialisiert ist. Wer sich bei Myright registrieren lässt, hat kein Kostenrisiko. Nachteil: Im Erfolgsfall streicht Myright 35 Prozent des erstrittenen Schadensersatzes ein. Auch Myright hat bereits einzelne Klagen für VW-Besitzer eingelegt, die als „Musterkläger“ auftreten sollen. Ob das Modell funktioniert, ist allerdings ungewiss. Klassische Sammelklagen für Verbraucher gibt es in Deutschland nicht.

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