Wenn sich die Flugbranche bisher im Sommer zu den großen europäischen Luftfahrtmessen traf, war auch bei Hitze das wichtigste Getränk selten Wasser, sondern meist Champagner. Auf den Airshows in London oder Paris machten die Hersteller traditionell die fettesten Geschäfte.
In der kommenden Woche auf dem Landeplatz Farnborough in der südenglischen Grafschaft Hampshire werden wohl eher Saft und Selters dominieren. Verkauften die großen Hersteller Airbus und Boeing beim letzten Londoner Treff vor zwei Jahren Flieger im Wert von gut 200 Milliarden Dollar, herrscht jetzt Ebbe.
Bestenfalls könnte Orderkönig Emirates aus Dubai nochmal bis zu 100 Langstreckenmaschinen im Wert von 30 Milliarden in die Bücher von Airbus oder Boeing packen. Und vielleicht ergattert Boeing ein paar Aufträge für seinen Jumbojet. „Aber ansonsten wird das in der Hinsicht eine bescheidene Show“, erwartet Scott Hamilton, Inhaber des auf die Flugbranche spezialisierten Marktforschers Leeham. Das sicherste Zeichen dafür ist, dass die Hersteller, anders als im vorigen Jahr in Paris, keinerlei Gerüchte über bevorstehende Deals gestreut haben.
Die größten Flugzeugbauer und -zulieferer
Name: Boeing
Umsatz 2013: 86,6 Milliarden US-Dollar
Quelle: CNNMoney / Statista
Name: Airbus Group
Umsatz 2013: 78,7 Milliarden US-Dollar
Name: United Technologies
Umsatz 2013: 62,9 Milliarden US-Dollar
Name: China North Industries (Noricon)
Umsatz 2013: 62,6 Milliarden US-Dollar
Name: China South Industries (CSGC)
Umsatz 2013: 58,8 Milliarden US-Dollar
Name: Aviation Industry Corp. of China (AVIC)
Umsatz 2013: 58,8 Milliarden US-Dollar
Name: Lockheed Martin
Umsatz 2013: 45,5 Milliarden US-Dollar
Name: General Dynamics
Umsatz 2013: 31,2 Milliarden US-Dollar
Name: Onex
Umsatz 2013: 29,6 Milliarden US-Dollar
Name: BAE Systems
Umsatz 2013: 26,4 Milliarden US-Dollar
Die Zurückhaltung der Kunden liegt zum einen am vorherigen Orderwahn. Aus Angst, im Boom keine Flugzeuge mehr zu bekommen, haben die Fluglinien in den vergangenen fünf Jahren fast 1100 Maschinen bestellt. Von denen ist erst die Hälfte ausgeliefert.
Zum anderen dämpft nicht nur die sich abschwächende Weltkonjunktur den Hunger auf neue Jets. Wegen der anhaltend niedrigen Ölpreise lohnen sich neue Maschinen für die Airlines weniger. Was die effizienten Neulinge von Bombardiers sparsamer C-Serie über Boeings 737MAX bis zum Airbus A350 an Sprit und Wartung sparen, gleicht die hohen Anschaffungskosten nicht aus.
Trotz Orderflaute wird in den „Chalets“ genannten Verkaufsbuden von Farnborough keine Trauerstimmung herrschen. Das liegt nicht allein daran, dass den Verkäufern nun Zeit für die Flugschau bleibt und sie sich auf die Wahl der richtigen Party statt auf die Verkaufstaktik konzentrieren können. Selbst Airbus-Chef Tom Enders und seinem Boeing-Kollegen Dennis Muilenburg kommt die Flaute gelegen - sieht man von den anhaltenden Problemen bei den Ladenhütern A380 und Boeings angegrautem Jumbojet ab. „Nach der Bestell-Bonanza der vergangenen Jahre ist die größte Herausforderung, die Auftragsberge zuverlässig und profitabel abzuarbeiten“, sagt René Steinhaus, Branchenspezialist der Beratung A.T. Kearney.
Aufträge von Airbus und Boeing im Vergleich
Airbus: 1.139
Boeing: 878
Anzahl der bei Airbus und Boeing bestellten Flugzeuge bis 2015 (Bruttobestellungen)
Quelle: Statista
Airbus: 1.796
Boeing: 1.550
Airbus: 914
Boeing: 1.339
Airbus: 644
Boeing: 625
Airbus: 900
Boeing: 600
Airbus: 824
Boeing: 1.007
Derzeit bringen die vielen bestehenden Kaufzusagen die Hersteller an die Grenze. „Sie haben bereits heute beim Bau Probleme ihre Auslieferungsziele einzuhalten“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. „Da werden neue Aufträge leicht zu einer Last.“
Und der Flugzeugbau wird in Zukunft nicht einfacher. Der Branche droht ein Mangel besonders bei den hoch qualifizierten Ingenieuren für Entwicklung und Fertigung. Neben Airbus und Boeing drängen ehrgeizige Konkurrenten aus Russland und China sowie die auf Expansion geschalteten westlichen Hersteller wie Bombardier aus Kanada und Embraer aus Brasilien auf den Markt. „Sie drücken nicht nur auf die Preise, sie machen Airbus und Boeing auch immer mehr Ingenieure abspenstig“, so Hamilton.
Das stellt Airbus und Boeing vor Probleme. Aus Freude über den ungewöhnlich langen Aufschwung der Airlinebranche haben die Hersteller über Jahre mehr Flugzeug-Auslieferungen zugesagt als sie sicher hinbekommen. Also müssen sie ihre Produktion drastisch hochfahren. Beim Massengeschäft mit Mittelstreckenjets wie der Boeing 737 soll die Zahl der monatlichen Auslieferungen zwischen 2014 und 2018 von gut 30 auf gut 50 steigen. Airbus plante für seine A320-Familie den Sprung von 40 auf 60 in 2019.
Doch ein Blick auf die mit halbfertigen Jets zugeparkten Werksflughäfen besonders bei Airbus in Toulouse und Hamburg zeigt: Dabei knirscht es gewaltig. Die größten Probleme hat Airbus. Hier hakt sowohl die Auslieferung der neuen A320neos wie auch die des sparsamen neuen Langstreckenfliegers A350. Bei beiden kommen die Zulieferer nicht nach. Beim A320neo hängt bei der Triebwerkstochter des US-Technologie-Riesen United Technologies. Deren mit der Münchner MTU entwickelte neue Antriebe sind auch nach einem halben Jahr Nachbesserung deutlich hitzeempfindlicher als erwartet. Beim A350 liegt es an den Lieferanten für die Inneneinrichtung, allen voran Zodiac aus Frankreich.
Doch dahinter steckt nicht allein Überforderung der Lieferanten. Die Hersteller haben durch Planungsfehler und den harten Umgang mit ihren Zulieferern zu einem großen Teil für die Probleme gesorgt.
Wie Boeing und Airbus mit Zulieferern umgehen
Airbus und Boeing schreiben zwar gute Gewinne. Doch in ihren Bilanzen schlummern noch ein paar finanzielle Zeitbomben in Form noch nicht abgerechneter Verluste. Beide haben in der Vergangenheit je nach Rechnung sogar mehr als 20 Milliarden Dollar beim Bau und der Entwicklung von Flugzeugmodellen wie Boeings 787 Dreamliner oder dem Airbus A380 verpulvert. Bei beiden Jets läuft zwar die Produktion inzwischen rund. Doch beim Bau zahlen beide drauf. Sie haben überschätzt, wie schnell sie ihre Produktionskosten senken können, und haben darum ihre Jets im Kampf um Kunden zu billig verkauft.
Das wollen sie nun auf zwei Wegen wettmachen: Wichtigstes Mittel sind höhere jährliche Lieferzahlen und das Vorziehen von Aufträgen. Das sorgt dank der besseren Auslastung der Produktion für niedrigere Baukosten und mehr Gewinn pro Flieger. Zudem drücken die Flugzeughersteller nach Kräften auf die Produktionskosten. Dafür haben sie Automanager engagiert, die ihre beim Kfz-Bau gemachten Erfahrungen bei der Jetherstellung einbringen. Sie trimmen nicht nur die Fertigung auf eine Art Serienproduktion.
Wie zuvor bei Mercedes oder VW erhöhen die Chefeinkäufer der Flugriesen auch den Druck auf die Lieferanten. Die bekommen nicht nur strenge Sparvorgaben. Wer bei Projekten mitmachen will, muss sich am Risiko beteiligen, etwa indem er die Forschung oder den Ausbau der Produktionsanlagen selbst zahlt.
Das klang nach einer guten Idee. „Jeder unserer Zulieferer hat eine höhere Rendite als wir“, klagte Airbus-Chef Enders mal. Doch in der Luftfahrt gelten andere Gesetze. Für bestimmte Teile gibt es meist nur eine Handvoll Lieferanten. Fällt einer aus, gibt es keinen Ersatz. Denn die Wettbewerber können entweder die vorgeschriebene Technik nicht genauso liefern wie gewünscht – oder sie sind mit anderen Herstellern beschäftigt. Also bleibt Airbus & Co nichts übrig als die Produktion zu bremsen bis der Lieferant zu Potte kommt – und erbosten Airlines Entschädigungen zu zahlen.
Wie das System läuft, zeigt sich gerade bei Boeing. Für den Druck beim größten Flugkonzern der Welt sorgt neben verpassten Reformen der vergangenen Jahre der starke US-Dollar. Wegen dem kann Airbus die traditionell in Dollar abgerechneten Flugzeuge sowie nötige Serviceleistungen billiger anbieten als die Amerikaner. Also hat der US-Konzern im Frühjahr sein "Partnering for Success" genanntes Sparprogramm für den Einkauf nochmal verschärft. „Wer da nicht mitmacht, kommt auf eine Art Flugverbotsliste“, so Experte Hamilton. Das verärgert die Zulieferer, weil Boeing sich scheut, seine eigenen Kosten zu senken. „Statt ‚Partnerschaft für Erfolg‘ sollte es ‚Partnerschaft für Armut‘ heißen“, ätzte Richard Aboulafia von der auf die Luftfahrt spezialisierten Denkfabrik Teal Group aus der Nähe von Washington.
Inzwischen haben Airbus und Boeing reagiert. Die Europäer fordern zwar immer noch Rabatte, helfen ihren Zulieferern aber mittlerweile verstärkt die Probleme zu lösen. Auch Boeing versucht sich nun in Milde. „Sie verstehen allmählich den Unterschied zwischen Strategie und Taktik“, so Aboulafia. „Die richtige Taktik sorgt für schnelle Erfolge, aber die richtige Strategie für langfristige Erfolge. Und dazu gehört es nicht jeden Dollar mitzunehmen.“
Andernfalls, so der Experte, wird zwar der nächste Geschäftsbericht besser. In wenigen Jahren aber könnten sich Nachteile zeigen, wenn Lieferanten stur nach Vorgaben arbeiten und neue Technik zuerst der Boeing-Konkurrenz anbieten. Und dann werden auch die kommenden Messen ruhig. Allerdings dann aber aus einem unerfreulichen Grund: Nach den Lieferanten dürften die Fluglinien zur Konkurrenz wechseln.