Ampelgespräche Jetzt macht die Industrie Druck beim Klima

69 namhafte Unternehmen haben an die künftige Regierung appelliert, die Rahmenbedingungen für das Erreichen der Klimaziele in der Wirtschaft zügig festzulegen. Auch Thyssenkrupp hat den Aufruf unterschrieben. Im Bild: Großplakat an der Autobahn A 40, Klimastahl am Werk von ThyssenKrupp Steel Bochum. Quelle: imago images

Wenn schon grün, dann richtig. Wer übt derzeit den größten Druck auf die Sondierer aus? Fridays for Future? Kaum. Es sind Firmen, sogar Unternehmensallianzen. Längst geht’s nicht mehr um das Ob, sondern das Wie.

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Bisweilen ist’s schon kurios, wie grün jetzt alle sind, was für ein Wettbewerb rund ums Ergrünen entstanden ist, gerade jetzt, da FDP, Grüne und SPD in Berlin ganz ganz vertraulich und konstruktiv den Weg in die Zukunft verhandeln. Wer kann, der versucht jetzt nur noch zu beeinflussen, welcher Pfad hin zur Klimaneutralität genau genommen wird. Wie gestern eine beachtliche Allianz innerhalb der deutschen Wirtschaft, die eine besondere Botschaft an die Ampel-Verhandler gesendet hat. 69 Firmen, Unternehmen, Konzerne, haben einen „Appell“ der „Stiftung 2 Grad“ unterzeichnet, der von der künftigen Regierung eine „Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität“ fordert. Und zwar „Jetzt.“ Soll heißen: In den ersten 100 Tagen der neuen Regierung.

Mit dabei sind Unternehmen aus der Energiebranche wie Eon, EnBW und Vattenfall, Stahl- und Kupferkonzerne wie Thyssenkrupp und Aurubis, aber auch Finanzdienstleister wie die Allianz oder Union Investment, sowie Bekleidungsmarken wie Adidas, Puma oder Hugo Boss. Der Kernpunkt der Forderungen: Es müsse eine „sektorübergreifend ambitionierte“ Klimapolitik entworfen werden, „die den Zielen des Pariser Klimaabkommens gerecht wird und für Unternehmen und Gesellschaft einen klaren, verlässlichen und planbaren Pfad zur Klimaneutralität aufzeigt.“

„Die Unternehmen erwarten, dass jetzt über Regeln entschieden wird“

Der Appell spielt in seinen Fokus auf Umsetzung vor allem darauf an, dass es gerade vielen Unternehmen längst nicht mehr um ausufernde Debatten über Klimaziele geht. Diese Diskussion ist geführt, die Ziele sind festgelegt, im Green Deal der Europäischen Union, aber vor allem im deutschen Klimaschutzgesetz. Für Deutschland bedeutet das: Klimaneutralität muss 2045 erreicht sein, als Etappenziel sollen die Treibhausgasemissionen schon bis 2030 gegenüber 1990 um 65 Prozent vermindert werden. Haken drunter. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Das hat die Politik noch nicht festgelegt. Und genau da könnte es schmerzhaft werden – oder eben auch ein großer Erneuerungsprozess fürs Industrieland Deutschland in Gang kommen.

Der Appell der Unternehmen ist klar: Legt einen Rahmen fest. Schnell.

Dass die Wirtschaft auch jenseits dieses Appells dringend diesen Rahmen braucht, sagt auch Thomas Gambke. Seit gut zwei Jahren organisiert er den „Grünen Wirtschaftsdialog“, einen Verein, der als Brücke der Grünen hin zu Wirtschaft und Industrie dient. Und in dem Dax-Konzerne und andere Große ihrer Branchen versammelt sind. „Die meisten Unternehmen erwarten, dass jetzt einfach über bestimmte Regeln entschieden wird, damit sie mit ihren Plänen loslegen können“, sagt Gambke der WirtschaftsWoche.

von Nele Husmann, Stefan Hajek, Max Haerder, Martin Seiwert, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Im Kern geht’s bei all diesen grünen Lobby-Ansätzen natürlich auch und vor allem um Geld – Investitionen und Investitionssicherheit, gestützt und gefördert von der öffentlichen Hand durch Subventionen, flankiert von privaten Anlegern. „Die Maßnahmen des Programms sollten unbedingt mit einem Finanzvolumen ausgestattet sein, das insbesondere den Ausbau wichtiger Technologien und Infrastrukturen und die dafür erforderlichen Investitionen in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Mobilität ermöglicht und beschleunigt“, heißt es etwa in dem Appell.

„Für mich sind 5G und die Verteilernetze entscheidend“

Welche „Infastrukturen“ und „erforderlichen Investititonen“ dann allerdings genau gemeint sind, ist in den einzelnen Branchen, die vom Wandel am meisten betroffen sind, im Detail umstritten. So forderte etwa Martin Brudermüller, Chef von BASF, das nicht zu den Unterzeichnern des „Appells“ gehört, vor einigen Tagen auf einer Industrie-Konferenz des Berliner Thinktanks Agora Energiewende in Berlin, die Politik müsse vor allem für kostengünstige Infrastrukturen sorgen. Die neue Regierung, forderte Brudermüller, müsse etwa die Kosten für die Nutzung von Stromnetzen drücken und die EEG-Umlage zügig abschaffen. „Wen wir zurückgucken“, sagte Brudermüller, „Wirtschaftswunder Bundesrepublik, das war nach dem Krieg möglich, weil die Regierung Infrastruktur geschaffen hat. Wir brauchen eine Diskussion über die Infrastruktur der Zukunft, um zu gewährleisten, dass wir hier Wachstum und Transformation hinkriegen? Für mich sind es 5G und die Verteilernetze.“ Für BASF gehe es darum, die Kosten für Strom auf 4,5 Cent pro Kilowattstunde zu drücken. „Wenn wir das nicht schaffen, dass die vier, fünf Cent erhalten bleiben, um in die Elektrifizierung zu gehen, wird das ganze wirtschaftlich krachend scheitern“, warnte Brudermüller.

Die Bedürfnisse der Metallbranche erläuterte auf derselben Konferenz Martina Merz, die Chefin von Thyssenkrupp, das den Appell der 69 mitunterzeichnet hat. Allein Thyssenkrupp in Duisburg, sagte Merz, verursache 2,5 Prozent der deutschen CO2-Emissionen. Daher sei man sich der Bedeutung der eigenen Transformation „wirklich bewusst“. Technisch sei der Weg der Dekarbonisierung auch vorgezeichnet, sagte Merz und spielte damit auf das so genannte Direktreduktionsverfahren an. Dabei wird Eisenerz mit Hilfe von Erdgas oder Wasserstoff zu sogenanntem Eisenschwamm reduziert. So kann, wenn auch der Wasserstoff grün ist, „grüner Stahl“ entstehen. Der Ausstoß von CO2 wird erheblich gemindert, durch Elektrifizierung.

Thyssenkrupp hat entsprechende Pilotprojekte gestartet. „Wir produzieren bereits in kleineren Mengen grünen Stahl und haben damit auch den Beleg, dass wir das leistungsfähig schon tun können“, sagte Merz. „Für uns steht jetzt also im absoluten Mittelpunkt natürlich diese Produktionsmenge so schnell wie möglich zu erhöhen.“ Nur das setze eben erhebliche Investitionen voraus, nicht nur in Wasserstoff, sondern auch in die neuen Technologien – und zwar im jetzt anstehenden Investitionszyklus. „Wir brauchen jetzt von der Politik aus Planungssicherheit“, sagte Merz.

Dabei seien so genannte CapEx zentral, also Investitionen in Anlagen, aber auch OpEx, Ausgaben für das operative Geschäft. Und da spielte für Thyssenkrupp das „viel diskutierte Thema Carbon Contracts for Difference“ (CCfD) eine wichtige Rolle. Diese Klimaschutzverträge seien das „entscheidende Instrument“, um eine Förderung für das operative Geschäft zu entwickeln. Klimaschutzverträge beinhalten gezielte, zeitlich begrenzte Subventionen. Gerade die Grünen hatten dieses Instrument im Wahlkampf favorisiert, die FDP steht dieser Förderung skeptisch gegenüber, weil sie ein hohes Risiko an Fehlinvestitionen berge. Andere fürchten ein hyperbürokratisches Fördermonster, ähnlich der EEG-Umlage.

„Die Wirtschaft ist bereit zu investieren“

Tatsächlich rücken bei der Diskussion um öffentliche oder private Investitionen in den Klimaschutz auch zunehmend Anreizstrukturen für private Anleger in den Mittelpunkt. „Die Wirtschaft ist bereit zu investieren“, sagte Thomas Gambke vom „Grünen Wirtschaftsdialog“ der WirtschaftsWoche. „Der Finanzbranche kommt eine wichtige Rolle bei der Erneuerung zu. Der Staat sollte da einspringen, wo es in einem frühen Stadium zusätzliche Sicherheiten braucht oder bei noch unerprobten Technologien zunächst Risiken ausgleicht. Aber Geld im privaten Sektor ist ja da. Es braucht endlich verlässliche Rahmenbedingungen.“

Ähnlich sieht das Thyssenkrupp-Chefin Merz. „Man darf nicht vergessen“, sagte sie, „dass mit der europäischen Taxonomie sich natürlich auch noch die Finanzmärkte an dieser Transformation aus dem Finanzmarkt heraus beteiligen müssen. Und umso wichtiger ist eben, dass diese Rahmenbedingungen in Europa umgesetzt werden können. Sonst wird der Zugang zu europäischen Finanzmärkten sehr schwierig.“



Der frühere Abgeordnete und Unternehmer Thomas Gambke glaubt, dass die Politik und künftige Koalitionäre in jedem Fall von der Wirtschaft lernen können. „Wie werden wir effizienter und bauen das Land um? Die Wirtschaft kann da organisatorisch einiges beitragen. Und die Politik kann beim Umbau zur Klimaneutralität zudem von Unternehmen lernen, wie strategisches Controlling angewandt werden sollte, welche Maßnahmen tatsächlich wirksam sind und welche weniger. Dieses Denken für die Wirtschaftspolitik sollte in den Verhandlungen eine Rolle spielen.“

Die Autoren des Appells der 69 rufen in ihrem Papier dazu auf, dass sich die deutsche Regierung bei der geforderten „Umsetzungsoffensive“ an dem „ganzheitlichen Ansatz des Green Deals“ der EU-Kommission orientieren möge, Thyssenkrupp-Chefin Merz regte bei der Agora-Konferenz zudem an, eine „Transformationsallianz“ zu bilden. „Dieser Transformationsprozess wird Dekaden dauern“, sagte Merz. „Wir brauchen eine Art Transformationsallianz, die diese Transformation holistisch vom Anfang bis zum Ende denkt, weil ein Instrument, das vielleicht am Anfang gut sein kann, ist es nach einer gewissen Zeit nicht mehr. Je schneller wir damit beginnen, desto besser ist es.“

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