Analyse Die Stärken und Schwächen des Siemens-Konzerns

Die Ausgangslage ist gut: Kaum ein Konzern in Deutschland ist so gut für einen drohenden Konjunkturabschwung gerüstet wie Siemens. Die Bilanz kann sich sehen lassen - eine Übersicht der Stärken und Schwächen in Bildern.

Stärke 1: Solide Kapitalstruktur mit geringen Schulden - damit ist Siemens gut für einen Abschwung gerüstet. Die Nettofinanzverschuldung sank im Geschäftsjahr 2010/11 um zehn Prozent auf knapp fünf Milliarden Euro – bei Zahlungsmitteln in Höhe von 12,5 Milliarden Euro. So gut stand der Konzern seit Jahren nicht da. Quelle: dpa
Im Verhältnis zum Eigenkapital machen die Nettoschulden nur knapp 16 Prozent aus. Rechnet man die Finanzdienstleistungssparte heraus und addiert die Pensionsverpflichtungen hinzu, ergibt sich sogar ein Nettofinanzguthaben von 1,5 Milliarden Euro. Daher verwundert es nicht, dass die Ratingagenturen dem Siemens-Konzern Bonitätsnoten im Investmentgrade-Bereich zugestehen: Standard & Poor’s und Fitch vergeben ein Rating von A+, Moody’s von A1. Quelle: dapd
Aber auch die europäischen Konkurrenten weisen starke Bilanzen auf: Während Siemens – inklusive der Finanzsparte – eine Konzerneigenkapitalquote von 31 Prozent hat, kommen die beiden Unternehmen Philips und ABB ohne Finanztöchter sogar auf noch höhere Werte von 47 und 41 Prozent. Der US-Konzern General Electric hingegen erreicht inklusive der Finanzsparte lediglich eine Eigenkapitalquote von 16 Prozent. Bei Philips haben sich die Nettofinanzschulden im Jahr 2011 zwar erhöht. Ende September lagen sie bei 1,2 Milliarden Euro nach nur 80 Millionen im Vorjahr. In Relation zum Eigenkapital waren das aber nur neun Prozent. Quelle: dpa
Stärke 2: Neue Aufträge sorgen für stabile Umsätze. Die Zahlen sind beeindruckend: Zum Ende des Geschäftsjahres 2010/11 hatte Siemens einen Rekordauftragsbestand von 96 Milliarden Euro in den Büchern. In den Monaten davor waren neue Aufträge von 86 Milliarden Euro hinzugekommen. Damit stieg der Eingang im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent und wuchs damit doppelt so schnell wie der Umsatz. Getrieben wurde das Auftragswachstum vor allem von den beiden größten Geschäftsbereichen Industrie und Energie. Quelle: dpa
Siemens profitierte in der Industriesparte vom kurzzyklischen Geschäft und vom größten Auftrag für Züge, den der Konzern jemals verzeichnet hat. In der Energiesparte legten sogar alle Divisionen zu. Siemens rechnet damit, etwa 40 Milliarden Euro der Aufträge bereits im laufenden Geschäftsjahr in Umsatz ummünzen zu können. Das bedeutet: Selbst wenn der Konzern 2012 keine neuen Aufträge mehr an Land ziehen würde, wäre schon mehr als der halbe Jahresumsatz in trockenen Tüchern. Zuletzt hat der Konzern einen Umsatz von 73,5 Milliarden Euro erzielt. Quelle: Reuters
Die hohen Auftragsbestände sind ein gutes Polster. Denn Finanzchef Joe Kaeser (rechts) hat vor Kurzem angedeutet, dass sich die schwache Konjunktur in Europa auf das Neugeschäft auswirkt. Ein ähnlich hoher Auftragseingang dürfte 2012 daher kaum zu erreichen sein. Quelle: Reuters
Stärke 3: Hohe Liquidität ermöglicht Milliarden-Investitionen. Siemens hatte gegenüber den Konkurrenten zuletzt einen entscheidenden Vorteil – den hohen operativen Cash-Flow. Zwar ging dieser im Vorjahresvergleich etwas zurück. Gleichwohl hat das Unternehmen mehr Spielraum für Investitionen als seine wichtigsten Konkurrenten. Kein vergleichbarer Konzern schafft es, so viel Umsatz in tatsächlichen Mittelzufluss umzumünzen wie der bayerische Traditionskonzern. Die Cash-Flow-Umsatzrendite von Siemens lag zuletzt bei elf Prozent. Quelle: dapd
Die wichtigsten Konkurrenten kamen auf niedrigere Werte. Der Schweizer ABB-Konzern erreichte beispielsweise nach neun Monaten 2011 eine Cash-Flow-Umsatzrendite von sieben Prozent. Bei Philips war der operative Cash-Flow zwischen Januar und September 2011 sogar negativ. Der Free Cash-Flow aus fortgeführten Aktivitäten – also die operativen Mittelzuflüsse abzüglich der Investitionen in Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte – lag bei Siemens mit 5,9 Milliarden Euro leicht unter dem Vorjahr. Quelle: dapd
Gleichwohl können die Münchener die Dividendensumme von 2,6 Milliarden Euro aus erwirtschafteten Mitteln zahlen – und müssen somit keine Reserven dafür anzapfen. Zuletzt dürfte der Cash-Flow wegen hoher Investitionen und der Konjunkturabkühlung aber etwas unter Druck gekommen sein. Quelle: Reuters
Schwäche 1: Die Medizintechnik ist kein Selbstläufer mehr. Siemens ist weltweit einer der größten Anbieter von medizinischer Bildgebung und Labordiagnostik. Zuletzt hat die Medizintechniksparte bei Umsätzen von 12,5 Milliarden Euro eine operative Marge von über zehn Prozent erzielt. Der Markt wird aber schwieriger. Öffentliche Gesundheitssysteme stehen unter Kostendruck. Die Regierungen in den USA und in Europa müssen ihre Staatsschulden unter Kontrolle bringen. Quelle: dapd
Hinzu kommt, dass Siemens in der Vergangenheit kein glückliches Händchen bei Akquisitionen hatte. Mit dem Zukauf der US-Firma Dade Behring wollte sich der Münchener Konzern eine stärkere Position im Diagnostikmarkt sichern. Nur war die Übernahme überteuert, das Geschäft bleibt hinter den Erwartungen zurück. Siemens musste schon im Geschäftsjahr 2009/10 Abschreibungen über 1,2 Milliarden Euro vornehmen, denn der Preisdruck in der Diagnostik ist weiterhin hoch. Quelle: dpa
Herausforderungen gab es 2011 auch in der Partikeltherapie: Da diese noch nicht reif für die kommerzielle Umsetzung ist, nahm Siemens Wertberichtigungen in Höhe von 381 Millionen Euro vor. Um die Sparte wieder flottzumachen, kündigte der Konzern kürzlich Restrukturierungen an. Neben höheren Investitionen in Produktentwicklung und Vertrieb will Siemens die Strahlentherapie neu ausrichten und die Kostenposition in der Diagnostik verbessern. Der Umbau wird das Ergebnis 2012 belasten. Quelle: dapd
Schwäche 2: Telekommunikation - der ewige Sanierungsfall. Die Wurzeln von Siemens lagen einst in der Telekommunikation. Von der Handysparte sowie vom Geschäft mit Schnurlostelefonen und Telefonanlagen für Firmen hat sich der Konzern inzwischen verabschiedet. Übrig blieb das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN). Im November 2011 gab das Joint Venture bekannt, sich künftig auf das mobile Breitband und zugehörige Dienste zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang will NSN weltweit rund 17.000 Arbeitsplätze streichen. Quelle: Reuters
Siemens ist an NSN zu 50 Prozent beteiligt. Die operative Führung liegt bei dem finnischen Konzern. Beide Partner mussten zuletzt frisches Eigenkapital nachschießen, die Beteiligungsquoten haben sich dadurch nicht verändert. Die Kapitalerhöhung diente der Stärkung der angekratzten Finanzlage. Denn NSN schreibt seit Jahren Verluste. Bei Siemens tauchen diese im Beteiligungsergebnis auf. Quelle: Reuters
Immerhin: Im abgelaufenen Geschäftsjahr reduzierte sich der Beteiligungsverlust aus NSN von 533 Millionen auf 280 Millionen Euro. Im Geschäftsjahr zuvor waren wegen hoher Wertberichtigungen sogar noch Belastungen von 2,2 Milliarden Euro entstanden. Im laufenden Geschäftsjahr rechnet Siemens wegen der Kosten für die Neuausrichtung wieder mit einem erheblich höheren Beteiligungsverlust als 2011. Quelle: ap
Schwäche 3: Abschied von Osram - den richtigen Zeitpunkt verpasst. Den geplanten Börsengang musste die Siemens-Tochter Osram im Herbst wegen des schlechten Kapitalmarktumfelds verschieben. Eigentlich sollte die Emission einen Milliardenerlös in die Siemens-Kasse spülen. Der Konzern wollte die Investitionen, die in dem Geschäft notwendig sind, nicht mehr aus eigenen Mitteln stemmen. Quelle: dpa
Doch Siemens zögerte zu lange und verpasste damit den zyklisch idealen Zeitpunkt für den Börsengang. Nun spürt die Lichtbranche deutlich den Konjunkturabschwung. Siemens-Finanzchef Joe Kaeser sagte bereits, dass man vor diesem Hintergrund „nicht wild darauf“ sei, den Börsengang rasch nachzuholen. Die Chancen für 2012 stehen also eher schlecht. Bis zum nächsten Jahr sollte Siemens aber schon eine Lösung finden, denn eigentlich darf Osram nur 24 Monate als „nicht fortzuführendes Geschäft“ bilanziert werden. Das bedeutet konkret: Osram wird aus dem Zahlenwerk des Konzerns herausgerechnet. Quelle: dpa
Osram streicht derweil mehr als 1.000 Stellen in Deutschland – das wird zu erheblichem Sanierungsaufwand führen. Damit reagiert der Licht-Konzern auch auf den Technologiewandel von der Glühbirne hin zu LED-Lösungen. Zwar dürften die Osram-Umsätze laut Expertenschätzungen im abgelaufenen Quartal noch gestiegen sein, die Renditen kommen aber unter Druck. Quelle: dapd
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