Andreas Barner Das fromme Doppelleben des Boehringer-Chefs

Andreas Barner, Chef von Boehringer Ingelheim, will Gott und der Pharmaindustrie dienen. Als Präsident des Evangelischen Kirchentages möchte er Kirche und Kapitalismus einander näherbringen.

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Andreas Barner ist Pharma-Chef und Kirchentagspräsident. Wie passt das zusammen? Quelle: Angelika Zinzow für WirtschaftsWoche

Der grauhaarige Prediger in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard mahnt die Gemeinde: „Wir haben nicht unendlich viel Zeit!“ Das Gleichnis der törichten Jungfrauen, die den Bräutigam verpassen (Matthäus 25,1-13), zeige, dass es ein „zu spät“ gebe. Mehr Tempo beim Klimaschutz und bei der Armutsbekämpfung, fordert der Bibelexeget. Am Ende bekennt der Mann auf der Kanzel: „Auch in der Pharmaforschung kommen wir in 99 Prozent der Fälle zu spät, entscheidend ist das eine Prozent.“

Boehringer Ingelheim - Der Konzern in Zahlen

Glauben und Geschäft finden hier zusammen, und angesichts des Redners ist vielleicht klar, dass die Predigt so enden muss. Denn auf der Stuttgarter Kanzel steht Andreas Barner, im Hauptberuf Chef des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, im Nebenberuf Präsident des Evangelischen Kirchentages, der am Sonntag in Stuttgart zu Ende ging. Barner will Kapitalismus und Kirche zusammenbringen. Zwei Dinge, die in diesen Tagen kaum zusammenzupassen scheinen; Manager hielten sich vom grünen- und kapitalismuskritisch geprägten Kirchentag genauso fern, wie die meisten Gläubigen die Wirtschaftselite distanziert sehen. Ein Widerspruch, der sich auch in Barner selbst spiegelt: So nachhaltig und menschenfreundlich er als Kirchentagspräsident auftritt, so sehr hat er im eigenen Unternehmen derzeit zu kämpfen; Kostendruck, Stellenabbau und mutmaßliche, unschöne Medikamenten-Nebenwirkungen prägen dort den Alltag.

Wie gestaltet der 62-Jährige also den Versuch, Kapital und Kirche zu vereinen?

Die Lücke zwischen Kanzel und Büro

Der passionierte Klavierspieler ist ein leiser, zurückhaltender Kirchentagspräsident, keine Frage. Das Wort überlässt er gern schon mal seiner Generalsekretärin. Er ist nicht der Typ Menschenfänger, mischt sich kaum unter das Kirchentagsvolk; vor Veranstaltungen steht er meist am Rande und redet mit den anderen Podiumsteilnehmern. Seine Reden sind knapp, klar und engagiert. Er preist die „wichtigen Impulse“ von Waldorf-Schulen für die Erziehung und gedenkt der verfolgten Homosexuellen in NS- und Nachkriegszeit.

Barner trägt bei allen Auftritten an diesem langen Kirchentagswochenende den roten Mottoschal, der zum Kirchentag gehört wie Gebärdendolmetscher und die Papphocker in den Veranstaltungshallen. Die Losung entstammt Psalm 90, Vers 12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.“ Barners Interpretation: Der Manager an sich solle seine Zeit sinnvoll nutzen und nachhaltig handeln. „Ich bete zum Beispiel dafür, dass ich mit der richtigen Geisteshaltung an meine Arbeit gehe“, bekennt Barner, „dass ich Dinge sorgsam mache.“

Ethischer als die Pharmakonkurrenz?

Und tatsächlich scheint es bei Boehringer ethischer zuzugehen als als bei der Pharmakonkurrenz: „Nicht kurzfristige Renditeorientierung, sondern zielorientierte Forschung steht im Vordergrund“, sagt Norbert Hültenschmidt, Partner bei der Beratung Bain.

Doch anders als in der schönen Kirchentagswelt mehren sich in der Boehringer-Realität die Probleme. Das Schlaganfallmittel Pradaxa des Konzerns etwa steht wegen Blutungen in der Kritik, ein Mittel gegen die Nebenwirkungen (Antidot) ist zwar beantragt, aber noch nicht auf dem Markt. Barner freilich ist überzeugt, dass Pradaxa über hunderttausend Schlaganfälle verhindert hat, der Nutzen also überwiege. „Wir haben sehr früh mit der Entwicklung eines Antidots begonnen“, sagt er, doch „nachdem wir mit der Entwicklung von Pradaxa früher fertig waren, konnten wir das Mittel aus ethischen Gründen nicht zurückhalten“.

Der Boehringer-Umsatz sinkt, in der Produktion mehrten sich Qualitätsprobleme; nach jahrelangem Erfolg herrschte dort Schlendrian. Barner selbst etwa strich zudem 500 Stellen in Deutschland. Er sagt: „Es ist nie gut, wenn Menschen ihre Arbeitsstelle aufgeben müssen.“ Immerhin gab es keine Entlassungen. Altersteilzeit, Frühpensionierungen und natürliche Fluktuation reichten aus. Nach jahrelangem Wachstum überraschte das manchen Mitarbeiter kalt.

Kritische Zeit bei Boehringer

Etliche Forscher und Manager kreiden ihrem Chef an, dass er in dieser kritischen Zeit seltener in der Ingelheimer Unternehmenszentrale gewesen sei, sondern häufig in Stuttgart bei der Vorbereitung des Kirchentages, wo er sogar beim Verschicken der Programmhefte aushalf. Barner hält dagegen, dass er noch nie so viel in den Laboren und auf den Fluren von Boehringer unterwegs war wie in den vergangenen zwei Jahren. Sieben Tage die Woche schuftete er für Kirche und Konzern; Sonn- und Feiertage waren ihm nicht heilig. Seine Mitarbeiter beim Kirchentag verblüffte Barner damit, dass er vor der Lagebesprechung um sieben Uhr morgens schon zehn Kilometer gelaufen war und bereits gefrühstückt hatte.

Neben der Ökonomie ist ihm besonders die Ökumene wichtig. Ehefrau Susanne ist katholisch; Seite an Seite tritt Barner etwa in der Suttgarter Domkirche mit Karl Kardinal Lehmann auf. Eine Umgebung, die ihm sichtlich zusagt. In Stuttgart wirkt er gelöster, als wenn er am Unternehmenssitz im rheinland-pfälzischen Ingelheim die Bilanz erläutert. Den Namen Boehringer erwähnt er von sich aus nicht.

Seit Montag widmet er sich nun wieder seinem Hauptberuf. Womöglich wäre er gern in Stuttgart geblieben: „Das ist ein Gefühl, wie wenn Sie aus dem Urlaub kommen und erst mal jede Menge E-Mails abarbeiten müssen“, beschreibt er seine Rückkehr.

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