
Der grauhaarige Prediger in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard mahnt die Gemeinde: „Wir haben nicht unendlich viel Zeit!“ Das Gleichnis der törichten Jungfrauen, die den Bräutigam verpassen (Matthäus 25,1-13), zeige, dass es ein „zu spät“ gebe. Mehr Tempo beim Klimaschutz und bei der Armutsbekämpfung, fordert der Bibelexeget. Am Ende bekennt der Mann auf der Kanzel: „Auch in der Pharmaforschung kommen wir in 99 Prozent der Fälle zu spät, entscheidend ist das eine Prozent.“
Boehringer Ingelheim - Der Konzern in Zahlen
13,3 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2014.
2,1 Milliarden Euro.
47.000 Mitarbeiter.
Spiriva: Das Arzneimittel zur Entspannung der Bronchialmuskeln bei Asthma-Erkrankungen wurde 1991 von Boehringer Ingelheim entwickelt. 2005 erhielt es den Robert Koch Award, eine Auszeichnung für eine herausragende Medikamentenentwicklung.
Pradaxa: Wiederholt stand der Pharmakonzern wegen seines Blutgerinnungshemmers Pradaxa in der öffentlichen Kritik. 2011 war bekannt geworden, dass das Medikament zur Schlaganfallprävention mit Hunderten Todesfällen in Verbindung gebracht wurde.
Thomapyrin: Thomapyrin ist ein schmerzstillendes und fiebersenkendes, rezeptfreies Medikament mit den Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Koffein und Paracetamol.
Glauben und Geschäft finden hier zusammen, und angesichts des Redners ist vielleicht klar, dass die Predigt so enden muss. Denn auf der Stuttgarter Kanzel steht Andreas Barner, im Hauptberuf Chef des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, im Nebenberuf Präsident des Evangelischen Kirchentages, der am Sonntag in Stuttgart zu Ende ging. Barner will Kapitalismus und Kirche zusammenbringen. Zwei Dinge, die in diesen Tagen kaum zusammenzupassen scheinen; Manager hielten sich vom grünen- und kapitalismuskritisch geprägten Kirchentag genauso fern, wie die meisten Gläubigen die Wirtschaftselite distanziert sehen. Ein Widerspruch, der sich auch in Barner selbst spiegelt: So nachhaltig und menschenfreundlich er als Kirchentagspräsident auftritt, so sehr hat er im eigenen Unternehmen derzeit zu kämpfen; Kostendruck, Stellenabbau und mutmaßliche, unschöne Medikamenten-Nebenwirkungen prägen dort den Alltag.
Wie gestaltet der 62-Jährige also den Versuch, Kapital und Kirche zu vereinen?
Die Lücke zwischen Kanzel und Büro
Der passionierte Klavierspieler ist ein leiser, zurückhaltender Kirchentagspräsident, keine Frage. Das Wort überlässt er gern schon mal seiner Generalsekretärin. Er ist nicht der Typ Menschenfänger, mischt sich kaum unter das Kirchentagsvolk; vor Veranstaltungen steht er meist am Rande und redet mit den anderen Podiumsteilnehmern. Seine Reden sind knapp, klar und engagiert. Er preist die „wichtigen Impulse“ von Waldorf-Schulen für die Erziehung und gedenkt der verfolgten Homosexuellen in NS- und Nachkriegszeit.
Barner trägt bei allen Auftritten an diesem langen Kirchentagswochenende den roten Mottoschal, der zum Kirchentag gehört wie Gebärdendolmetscher und die Papphocker in den Veranstaltungshallen. Die Losung entstammt Psalm 90, Vers 12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.“ Barners Interpretation: Der Manager an sich solle seine Zeit sinnvoll nutzen und nachhaltig handeln. „Ich bete zum Beispiel dafür, dass ich mit der richtigen Geisteshaltung an meine Arbeit gehe“, bekennt Barner, „dass ich Dinge sorgsam mache.“