Angeschlagener Photovoltaikkonzern 2017 ist das Schicksalsjahr für Solarworld

Deutschlands Photovoltaikprimus wankt. Die Schulden bei Solarworld explodieren, das Geld wird knapp und im Finale eines 800-Millionen-Rechtsstreits droht ein Debakel. Für die Bonner geht es im Jahr 2017 um die Existenz.

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Schwere Zeiten für Frank Asbeck. Der Gründer und Chef von Solarworld kämpft um den Fortbestand seines unternehmerischen Lebenswerks. Quelle: dpa

Düsseldorf Schwarzmalerei und Tristesse widerstreben dem rheinischen Naturell von Frank Asbeck. Der Gründer und Chef von Solarworld verschonte seine Aktionäre daher kurz vor Jahresende mit neuen bilanziellen Gruselmeldungen und ließ stattdessen lieber eine heitere Nachricht in der Öffentlichkeit verbreiten. Unter dem Titel „Solarstrom für die Heimat des Weihnachtsmanns“ zeigte sich der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands letztem großem Photovoltaikkonzern verzückt darüber, dass Solarpaneele seiner Firma selbst im polaren Grönland noch dazu in der Lage sind, Sonnenenergie in Elektrizität umzuwandeln.

„Die Anlagen in Grönland sind der wahrscheinlich nördlichste Punkt der Erde, an dem unsere Module Strom produzieren. Sogar in Eiswüsten brillieren unsere Module durch Langlebigkeit und außergewöhnliche Belastbarkeit“, frohlockte Asbeck. Die Botschaft, die der Solarpionier zwischen den Zeilen vermittelt, ist klar: Der Weihnachtsmann mag zwar gut darin sein, Geschenke zu verteilen, aber Sonnenkönig Asbeck bringt selbst die frostigsten Regionen zum Strahlen. So launig sich die Geschäftsaktivitäten von Solarworld in Grönland auch medial verkaufen lassen – wahnsinnig viel Geld spülen sie nicht in die Kasse des Konzerns. Genau das bräuchte Solarworld aber dringender denn je.

Im neuen Jahr geht es für das börsennotierte Bonner Ökounternehmen um nichts weniger als die Existenz. Die Aussichten sind miserabel. Auf Asbeck und seine vier Vorstandskollegen wartet eine kaum lösbare Aufgabe: Das Solarworld-Management muss Zeit gewinnen, Liquidität aufbauen und rasch ein nachhaltiges Geschäftsmodell etablieren, um den Konzern irgendwie am Leben zu halten. Denn Solarworld ist schwer angeschlagen. Der Konzern wird 2016 das sechste Jahr in Folge Verluste schreiben. Schlimmer noch: Das Geld wird zunehmend knapp.  

Solarworld hat zwar bis jetzt für das Gesamtjahr 2016 noch keine endgültigen Geschäftszahlen veröffentlicht. Aber der Bericht zum dritten Quartal offenbart schonungslos die desaströse Finanzlage des Konzerns. Allein von Januar bis Ende September 2016 verbrannte Solarworld mehr als 100 Millionen Euro. Die liquiden Mittel sind auf nur noch 84 Millionen Euro abgeschmolzen. Unter dem Strich steht ein Verlust von rund 62 Millionen Euro.

Alle selbstgesteckten Ziele, wie etwa die angepeilte Umsatzmilliarde, werden 2016 verfehlt. Selbst im Tagesgeschäft gaben die Bonner zuletzt um 40 Millionen Euro mehr aus, als sie einnahmen. Die Eigenkapitalquote sackte um gut sechs Prozent ab und liegt bei mageren 18,4 Prozent. Parallel schoss die Nettoverschuldung zum Ende des dritten Quartals um ein Drittel in die Höhe – auf beinahe 315 Millionen Euro.

Die Gesamtrisikolage von Solarworld schätzt der Vorstand mittlerweile als „sehr hoch“ ein. Zwar geht das Management weiter vom Fortbestand der Gesellschaft aus, aber die wirtschaftliche Lage habe sich „verschärft“, heißt es im Quartalsbericht. Die Ursache für die Misere sieht Solarworld in Verwerfungen auf den internationalen Solarmärkten. Konkret würden chinesische Produzenten aufgrund gekappter Förderungen im Reich der Mitte den Weltmarkt mit ihren Billigmodulen zu Dumpingpreisen fluten. In der Folge sind die Preise insgesamt erodiert.

„Ein schwieriges Jahr geht für Solarworld zu Ende und 2017 wird nicht leichter“, sagte Roland Klose dem Handelsblatt. Der Aktionärsschützer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hofft, dass durch den enormen Wettbewerbsdruck die Nachfrage nach Solarmodulen im kommenden Jahr anzieht und Solarworld wieder deutlich mehr Paneele gewinnbringend verkaufen kann als zuletzt. Die Voraussetzung dafür ist Klose klar: „Solarworld muss mit den Kosten dramatisch runter.“


„Geschäftsmodell steht in Frage”

Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltmarkpreisniveaus für Solarmodule hält Arash Roshan Zamir Solarworld für „nicht wettbewerbsfähig“. Der Analyst von Warburg Research hat dafür anschauliche Zahlen parat: Nach seinen Berechnungen liegen die Produktionskosten von Solarworld bei etwa 0,46 Euro pro Watt. Der Weltmarktpreis für polykristalline Solarmodule beträgt laut der Marktforschungsfirma PV Insight derzeit aber 0,34 Euro pro Watt.

Solarworld kann zwar aufgrund der längeren Lebensdauer und Belastbarkeit seiner Module am Weltmarkt etwas höhere Preise verlangen. Aber dieser Premiumaufschlag beträgt laut Roshan Zamir „maximal 15 Prozent“. Bezogen auf den aktuellen Weltmarktpreis würde das bedeuten, dass Solarworld für seine Module etwa 0,39 Euro pro Watt verlangen kann. Demnach müsste Solarworld seine Produktionskosten zunächst um mehr als 15 Prozent senken, um überhaupt kostendeckend fertigen zu können.

Das Problem für Solarworld: Der Konzern ist mit einer jährlichen Fertigungskapazität von 1500 Megawatt eigentlich zu klein, denn die Preisschlacht im Solarmarkt wird über die produzierte Masse gewonnen. Wer mehr produziert, hat aufgrund von Skaleneffekten geringere Stückkosten und kann günstigere Module anbieten. In diesem Spiel gerät Solarworld zunehmend ins Hintertreffen. Allein der chinesische Weltmarktführer Trina Solar kann beispielsweise in seinen Werken pro Jahr fast vier Mal so viele Module fertigen wie Solarworld.

„Die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells von Solarworld steht derzeit in Frage“, sagte Roshan Zamir dem Handelsblatt. Aus Sicht des Analysten wird das kommende Jahr „in vielerlei Hinsicht wegweisend“ für Solarworld. Er sieht Firmenchef Asbeck in der Pflicht, 2017 eine klare Aufgabenfolge abzuarbeiten. „Die erste Priorität muss nun sein, die hohen Lagerbestände abzubauen, um Cash zu generieren. Die zweite Priorität ist die generelle Stärkung der Liquiditätssituation, zum Beispiel über eine Kapitalspritze“, erklärt Roshan Zamir. Denn auch im neuen Jahr müsse Solarworld Auszahlungen vornehmen, etwa für Zinsen oder Investitionen. „Eine komfortablere Ausstattung mit finanziellen Mitteln wäre da begrüßenswert“, sagte Roshan Zamir.

Zumindest in puncto Kostenreduktion hat das Solarworld-Management bereits im vierten Quartal 2016 reagiert. Seit September hat sich der Konzern von rund 470 Zeitarbeitskräften getrennt. Zudem wurde die Produktion gedrosselt. In der kleinsten der drei Solarworld-Fabriken in Arnstadt in Thüringen wurde die Fertigung von Solarmodulen kurzzeitig sogar gänzlich eingestellt. „Seit Oktober findet in Arnstadt keine Modulproduktion mehr statt“, sagte Kirsten Joachim Breuer von der Gewerkschafter IG-Metall dem Handelsblatt. In Arnstadt konzentriere sich die Belegschaft stattdessen auf die Fertigung von Vorprodukten für Module, also beispielsweise Solarzellen.

„Nachdem wir in den Monaten zuvor unter maximaler Auslastung produziert hatten, mussten wir wie angekündigt aufgrund der veränderten Marktlage im vierten Quartal einen Teil unserer Produktion drosseln. Gemessen an unserer Jahresproduktion machte dies weniger als zehn Prozent aus“, schrieb Solarworld-Sprecher Milan Nitzschke auf Anfrage per E-Mail. Laut Nitzschke ist aktuell keine Kurzarbeit bei Solarworld geplant. Auf die Frage, ob es infolge der Sparbemühungen bei Solarworld zu Kündigungen beim Bestandspersonal kommen wird, schrieb Nitzschke: „Wir sind kontinuierlich bestrebt, unsere Kosten zu senken. Darüber hinaus kann ich Ihnen keine Auskünfte geben.“

Kirsten Joachim Breuer von der IG-Metall in Erfurt fürchtet, dass es „an allen Standorten Einschnitte geben wird“. Der Gewerkschafter hält deshalb schon einmal vorsorglich fest: „Die Beschäftigten sind kampfbereit.“


Hemlock macht in Rechtsstreit Druck

Solarworld geht unterdessen davon aus, dass es im kommenden Jahr zu einer Stabilisierung kommen wird – vielleicht sogar zu einer leichten Erholung der Modulpreise. Als Begründung für diese Entwicklung nannte Konzernsprecher Nitzschke einerseits, dass chinesische Hersteller Anfang 2017 von ihrer Regierung wieder die Möglichkeit erhalten, im eigenen Land Module auszuliefern und somit der Druck auf den Weltmarkt nachlassen dürfte. Andererseits geht er davon aus, dass die EU weiterhin auf die Einhaltung internationaler Handelsregeln drängt. Konkret hat die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten jüngst empfohlen, die bestehenden Antidumping-Zölle auf chinesische Solarimporte um weitere zwei Jahr zu verlängern.

Doch selbst wenn sich der Photovoltaikmarkt wieder etwas erholen und Solarworld seine operativen Probleme langsam in den Griff bekommen sollte, schwebt über dem Konzern noch immer das Damoklesschwert eines existenzbedrohenden Rechtsstreits.

Im Sommer 2016 verdonnerte ein US-Gericht Solarworld in einem erstinstanzlichen Urteil dazu, umgerechnet 720 Millionen Euro Schadensersatz an den Siliziumhersteller Hemlock Semiconductor wegen nicht eingehaltener Lieferverträge zu zahlen. Solarworld hat dagegen Berufung eingelegt. 2017 dürfte nun das entscheidende Urteil in zweiter Instanz gefällt werden. Sollte dieser Richterspruch abermals negativ für Solarworld ausfallen, drohen dem Konzern negative Auswirkungen „bis hin zur Bestandsgefährdung“, wie es im Geschäftsbericht des Unternehmens dazu heißt.

Aktionärsschützer Roland Klose hofft ob des Pleiterisikos für Solarworld auf einen Vergleich in letzter Minute. Danach sieht es aber im Moment nicht aus. Im Gegenteil: Hemlock macht weiter Druck. Der amerikanische Hersteller von Silizium – dem Ausgangsmaterial für die Fertigung von Solarmodulen – hat vor Gericht beantragt, dass Solarworld umfangreiche Informationen zum Vermögensstand der Gesellschaft offenlegen soll. Hemlock will offenbar wissen, welche Assets sich im Falle der Fälle in Deutschland pfänden ließen. Am 15. Dezember hat ein US-Bezirksgericht dem Antrag von Hemlock stattgegeben. Die Gerichtsentscheidung liegt dem Handelsblatt vor. Solarworld hat demnach bis zum 13. Januar Zeit, seine Vermögensverhältnisse gegenüber Hemlock offenzulegen.

Frank Asbeck hält das ganze Gerichtsverfahren für eine Farce. Er geht davon aus, dass sich seine Firma selbst im Falle einer Verurteilung in zweiter Instanz schadlos halten kann. Der Grund: Die Verträge mit Hemlock würden gegen europäisches Kartellrecht verstoßen. Nach der Rechtsauffassung von Solarworld dürfte Hemlock in Europa daher gar kein Vollstreckungstitel gewährt werden. Gut möglich, dass sich ein deutsches Gericht bald damit auseinandersetzt, wie stichhaltig diese Begründung ist. Unwidersprochen ist Solarworlds Argumentation nämlich keineswegs.

Ein Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei White & Case im Auftrag des Solarworld-Aktionärs und Corporate-Governance-Experten Christian Strenger kommt etwa zu dem Schluss, dass es „äußerst zweifelhaft“ ist, ob Solarworld die Vollstreckung eines US-Urteils „verhindern kann“. Zumal laut diesem Gutachten die Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen EU-Kartellrecht in Bezug auf die Lieferverträge mit Hemlock gar nicht vorliegen würden.

Ökopionier Asbeck schwört auf seine eigenen Rechtsgutachten. Er will sich trotz der Vielzahl an Herausforderungen nicht unterkriegen lassen. Trotzig wie eh und je sprach er zuletzt seinen Mitarbeitern und Aktionären Mut zu: „Mehr als einmal haben wir bewiesen, dass wir erfolgreich kämpfen können“. 2017 dürfte für ihn und seine Firma jedenfalls zum Schicksalsjahr werden – so viel steht jetzt schon fest.

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