Angeschlagener Photovoltaikkonzern Solarworld in der Bredouille

Gerichtsdesaster, Preisverfall, Liquiditätssorgen: Der kriselnde Photovoltaikkonzern gerät weiter unter Druck. Nun entlässt Solarworld 500 Zeitarbeiter und drosselt die Produktion. Besserung ist nicht in Sicht.

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Solarworld-Boss Asbeck: Sein Ökokonzern ist in einer prekären Lage. Quelle: dpa

Düsseldorf Solarworld-Boss Frank Asbeck strahlte über das ganze Gesicht. Der Umsatz seines Konzerns kletterte, die Verluste schrumpften und auch die Aussichten waren besser denn je. „Wir laufen in allen Produktionsstätten auf 105 Prozent – alles brummt“, frohlockte Asbeck noch im März dieses Jahres bei der Präsentation der Geschäftszahlen für das Jahr 2015. Heute, sechs Monate später, sieht die Welt für den Ökopionier ganz anders aus.

Im Juli verdonnerte ein US-Gericht Deutschlands größten Photovoltaikkonzern in einem erstinstanzlichen Urteil dazu, umgerechnet 720 Millionen Euro Schadensersatz an den Siliziumhersteller Hemlock Semiconductor wegen nicht eingehaltener Lieferverträge zu zahlen. Dann kassierte Solarworld seine Gewinnprogose und schloss nicht mehr aus, auch in diesem Jahr wieder Verluste zu schreiben. Und jetzt spitzt sich die Lage weiter zu: Der Bonner Konzern sieht sich gezwungen bis zum Jahresende an seinen beiden deutschen Produktionsstandorten in Sachsen und Thüringen rund 500 Zeitarbeiter zu entlassen. Zudem wird die Produktion im vierten Quartal „maßvoll“ gedrosselt.

Grund für die Maßnahmen sind die enormen Überkapazitäten bei Solarmodulen auf dem Weltmarkt. Nach Berechnungen des Analysehauses IHS betragen die Produktionskapazitäten der globalen Solarmodulhersteller zusammengerechnet etwa 110 Gigawatt pro Jahr. Gleichzeitig dürften dieses Jahr aber nur 72 Gigawatt Kapazität an Solarmodulen neu installiert werden. „Wir haben es hier mit Überkapazitäten von mehr als 50 Prozent zu tun“, sagte Henning Wicht dem Handelsblatt. „Es gibt schlichtweg zu viel Angebot und zu wenig Nachfrage“, erklärte der IHS-Solarexperte. Die Folge: Die Preise für Solarpaneele brechen ein – allein in diesem Jahr um gut 25 Prozent.

Auslöser für den rapiden Preisverfall ist die Politik der chinesischen Staatsregierung. Mit attraktiven Förderungen hat die Führung in Peking den chinesischen Solarmarkt im ersten Halbjahr 2016 derart stark angeheizt, dass die Jahresziele für den Zubau an neuen Solaranlagen schon nach den ersten sechs Monaten beinahe überschritten wurden. Chinesische Modulhersteller werden ihre Paneele seither in ihrer Heimat kaum noch los und fluten stattdessen den Weltmarkt mit Modulen zu Billigpreisen, erklärt Milan Nitzschke. Der Konzernsprecher von Solarworld ortet „massives Dumping“, das die ganze Branche gleichermaßen gefährde. Die chinesische Planwirtschaft würde mit der Marktwirtschaft in Europa und den USA „Pingpong spielen“, so Nitzschke.

Solarworld versucht in dieser schwierigen Lage, alle finanziellen Spielräume auszunutzen. Der Konzern muss auf zwei bestehende Anleihen hohe Zinszahlungen leisten – im ersten Halbjahr 2016 fiel hier ein Betrag von fast 13 Millionen Euro an. Jetzt will der Konzern die Zinszahlungen bis 2019 strecken, dann werden die beiden Bonds endgültig fällig. „Das ist ein übliches Instrument”, erklärte Solarworld-Sprecher Nitzschke. „Unsere Kreditverträge sind mit großer Flexibilität gestaltet worden. So haben wir beispielsweise in diesem Jahr auch eine größere Tilgung vorgezogen”, so Nitzschke. An der Börse kam die Ankündigung dennoch alles andere als gut an. Anleger sorgen sich um die Liquiditätssituation der Bonner. Der Kurs der Solarworld-Aktie sackte binnen einer Woche von fünf auf nur mehr vier Euro ab. Das Unternehmen, das zur Blüte der deutschen Solarindustrie gut 4,6 Milliarden Euro wert war, hat heute nur mehr eine Marktkapitalisierung von knapp 60 Millionen Euro.  


„Das könnte die Situation verschlimmern”

Der für Solarworld existenzbedrohende Rechtsstreit mit dem US-Siliziumhersteller Hemlock Semiconductor droht zudem das operative Geschäft zu gefährden. Zwar ist Solarworld davon überzeugt, dass Hemlock kein Schadensersatz zusteht und ein etwaiges Urteil gegen die deutsche Solartochter wegen Verstößen gegen das EU-Kartellrecht nicht vollstreckbar wäre. Aber Arash Roshan Zamir, Analyst bei Warburg Research, fürchtet, dass Solarworld wegen des Rechtsstreits keine Module mehr aus seiner Fabrik in Freiberg in die USA verschiffen kann, da diese Gefahr laufen, in den USA konfisziert zu werden.

„Das könnte die Situation verschlimmern“, schreibt Roshan Zamir in einer Analyse. Schließlich erwirtschaftet Solarworld gut die Hälfte seines Jahresumsatzes von 763 Millionen Euro in den USA. Solarworld-Sprecher Nitzschke entgegnet: „Das Verfahren in den USA, in dem wir in Berufung gegangen sind, hat auf unser US-Geschäft keinen Einfluss. Das beklagte Tochterunternehmen Solarworld Industries Sachsen unterhält keine Handelsbeziehungen mit den USA.” Aber selbst wenn man den Rechtsstreit mit Hemlock außer Acht lässt, sieht es für Solarworld eher düster aus. Die Eigenkapitalquote der Bonner ist zuletzt auf unter 22 Prozent abgerutscht. Die Nettoverschuldung liegt bei 233 Millionen Euro. Und Solarworld schreibt noch immer Verluste – im ersten Halbjahr 2016 rund 23 Millionen Euro.

Zudem ist Solarworld im Vergleich zur fernöstlichen Konkurrenz kaum wettbewerbsfähig. Die jährliche Fertigungskapazität der Bonner ist fast vier Mal geringer als jene des Solar-Marktführers Trina Solar. Aufgrund dieser Größenvorteile produzieren Chinas Top-Modulhersteller wie Trina im Schnitt um 22 Prozent billiger als westliche Konkurrenten wie Solarworld.  

Während Solarworld davon ausgeht, im kommenden Jahr seine Fertigung ausweiten und die Zahl der Beschäftigen wieder erhöhen zu können, sind Branchenkenner, wie Henning Wicht von IHS, eher skeptisch, ob die Rahmenbedingungen dies zulassen werden. „Wir erwarten nicht, dass die Preise für Solarmodule wieder ansteigen werden“, sagte Wicht. Er geht davon aus, dass die Auslastung in den Fabriken sinken wird und die Hersteller ihre Produktionsstrukturen an die neuen Preise anpassen müssen. „Der Markt wird sich konsolidieren“, erklärt der IHS-Experte. Ob Solarworld einem anhaltenden Preisverfall standhalten kann, scheint jedenfalls fragwürdiger denn je.

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