Arbeitskampf bei Thyssen-Krupp „Advent, Advent, die Hütte brennt”

Eine Menschenkette quer durchs Ruhrgebiet und demonstrierende Stahlkocher – 1987 sorgte der Arbeitskampf bei Thyssen-Krupp für Aufsehen. Heute protestieren wieder tausende Stahlarbeiter. Ist die Lage vergleichbar?

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Dass der monatelange Kampf um den Erhalt des Hüttenwerks schließlich vergeblich war, hat der Popularität des Themas in den vergangenen Jahrzehnten kaum Abbruch getan. Quelle: picture alliance / Klaus Rose

Duisburg Vor 30 Jahren saß der Schock tief im Duisburger Stadtteil Rheinhausen: Kurz vor Beginn der Weihnachtszeit wurde am 26. November 1987 bekannt, dass das traditionsreiche Krupp-Stahlwerk mit damals 5300 Arbeitsplätzen geschlossen werden sollte. Fast jede Familie in Vorort war betroffen oder kannte jemanden, der betroffen war. Schnell breiteten sich Empörung und Solidarität mit den Stahlkochern im ganzen Stadtteil aus. „Advent, Advent, die Hütte brennt“, reimte eine Duisburger Hausfrau. Unter dem Namen Angelika Schydlowski werden die Verse heute noch von Historikern zitiert.

Dass der monatelange Kampf um den Erhalt des Hüttenwerks schließlich vergeblich war, hat der Popularität des Themas in den vergangenen Jahrzehnten kaum Abbruch getan. Nach 160 Tagen endete der Arbeitskampf immerhin mit einem Kompromiss. Das Werk wurde noch eine Weile weiter betrieben, Sozialpläne federten die Stellenstreichungen ab. Bei Demonstrationen gegen die geplante Stahlfusion von Thyssen-Krupp und Tata in diesen Tagen fällt aber immer wieder das Stichwort „Rheinhausen“. Doch unter den Akteuren von heute ist umstritten, inwieweit es tatsächlich Parallelen gibt.

„Die Mobilisierung beschränkt sich heute weitgehend auf die Unternehmen selbst“, stellt etwa der Dortmunder Historiker Karl Lauschke fest. Dabei sei es gleichgültig, ob es sich um Proteste gegen den Stellenabbau bei Siemens oder gegen die geplante Thyssen-Krupp-Stahlfusion handele. Vielfach dominiere zudem eher die Überzeugung, dass man bestimmten Unternehmensentscheidungen nichts entgegensetzen könne, meint er.

Obwohl die Dimension der geplanten Stellenstreichungen bei einer Fusion der Stahlsparten von Thyssen-Krupp und Tata laut Betriebsrat größer sein könnte als damals beim Fall Rheinhausen, sei die Betroffenheit am Standort geringer, sagt der aktuelle Betriebsratsvorsitzende der Thyssen-Krupp-Stahlsparte, Günter Back. Nach mehreren Runden des Personalabbaus pendelten die Beschäftigten am Stahlstandort Duisburg heute täglich bis zu 120 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz. Mehr als die Hälfte der Belegschaft wohne mittlerweile gar nicht mehr in der Stadt.

Für den Historiker Stefan Berger vom Institut für soziale Bewegungen der Bochumer Ruhr-Universität ging es seinerzeit in dem Arbeitskampf um mehr als nur um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Es sei um „das Leben im Pott allgemein“ gegangen, sagt er. In seinen Augen hat der Arbeitskampf immer noch Bedeutung als „Symbol eines Versprechens auf aktive Gestaltung von sozialer, solidarischer und gerechter Zukunft“. Damals habe auch die Gestaltung eines sozial verantwortlichen Wandels in der von Strukturkrisen geprägten Region auf dem Spiel gestanden.

„Wir waren damals in einer ähnlichen Drucksituation“, erinnert sich Theo Steegmann, der 1987 als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Stahlwerks zu einem der Hauptakteure im Ringen wurde. Heute gehe es bei den Plänen des Thyssen-Krupp-Konzerns für einen Zusammenschluss der Stahlsparten um ein globales Problem, seinerzeit sei es nur um ein einzelnes Werk gegangen.

Entscheidend sei das Gefühl gewesen, dass das Ruhrgebiet zusammenstand, sagt Steegmann. Pfarrer Jürgen Thiesbonenkamp erinnert sich an eine breite Solidarität in dem Stadtteil, an die Arbeit eines eigens gegründeten Bürgerkomitees und einen rappelvollen Weihnachtsgottesdienst am Stahlwerk. Mit spektakulären Aktionen wie einer Menschenkette quer durchs Ruhrgebiet hatten die Stahlkocher nicht nur bundesweites Aufsehen erregt, sondern waren auch mit Original-Transparenten als Requisiten in dem Schimanski-Tatort „Der Pott“ mit Götz George im ARD-Programm vertreten.

Drei Jahrzehnte nach dem Beginn des Arbeitskampfes ist Rheinhausen Standort eines florierenden Logistikterminals auf dem direkt am Rhein gelegenen ehemaligen Hüttenwerksgelände. Sorgen bereite den Anwohnern nun der ständig zunehmende Lastwagen-Verkehr in der Wohngegend, berichtet Thiesbonenkamp. „Die damalige Übermalung des Straßenschilds Rheinhausen mit Tothausen ist nicht eingetreten“, sagt er.

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