ARD-Dokumentation Die fünf Probleme des Recyclings

Quelle: a&o buero

Kann uns Recycling aus der Plastikkrise führen? Für die ARD-Dokumentation „Die Recyclinglüge“ mischen sich Reporter undercover in die Branche – und decken dabei die größten Probleme der Plastikindustrie auf.

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Die menschengroße Metalltrommel dreht sich in Zeitlupe, Folien, Mülltüten und Gemüsenetze und fliegen hin und her. Durch Löcher in den Trommelwänden verschwinden die kleinen Teile, nach und nach, großer und schwerer Plastikmüll bleibt zurück. Der Müll fährt weiter, über ein Gewirr von Förderbändern in der großen Sortierhalle, er läuft über Sensoren, wird von Druckluft durchwirbelt, insgesamt zwanzig verschiedene Stationen. Sogar per Hand sortieren Mitarbeiter nach. Mit viel Aufwand betreibt das Unternehmen GAR nahe Bremen eine Sortieranlage, um aus Verpackungsabfällen aus dem gelben Sack und gelber Tonne etwas zu machen, das vielleicht einen Wert hat. Das man vielleicht verkaufen und verwerten kann.

Es gelingt nicht für alle Plastikreste, die hier ankommen, sagt GAR-Betriebseiter Jens Blume. Ein Großteil wird niemals wieder eine Verpackung, vielleicht nicht mal ein Blumentopf, sondern höchstens Brennmaterial für Verbrennungsanlagen oder Zementwerke. Dabei handelt es sich um Verpackungen, die laut Industrie und Handel eigentlich ein wertvoller Rohstoff sein müssten.

Seit über 30 Jahren sammeln und trennen die Deutschen ihren Plastikmüll, damit er recycelt werden kann. Die Deutschen gelten als Weltmeister darin. Gesetzgeber haben Müllgebühren und Recyclingquoten erlassen, um das Müllproblem in den Griff zu bekommen. Und auch in anderen Ländern Europas gibt es längst solche Vorschriften.

Nur: Ist das Recycling der Ausweg aus der Plastikkrise?

Für die Dokumentation „Die Recyclinglüge“ haben Reporter der Wirtschaftswoche und der Produktionsfirma a&o buero über ein Jahr gemeinsam recherchiert. Das Team hat die Wege des Plastikmülls rund um den Globus nachverfolgt, es hat eine Tarnfirma aufgebaut und sich so verdeckt Zugang zur Industrie und zu Müllhändlern verschafft. Die 75-minütige Dokumentation wird am 20. Juni um 22.50 in der ARD ausgestrahlt und ist ab dem 15. Juni in der ARD Mediathek abrufbar. Die ARD-Dokumentation zeigt fünf Probleme des Recyclings auf – und wer die großen Profiteure der Plastikflut sind.

1. Downcycling: Kein Kreislauf, sondern eine Abwärtsspirale

Die Idee der Kreislaufwirtschaft verspricht, dass aus einem Produkt wieder ein Produkt wird, am besten in ewigen, wiederkehrenden Kreisläufen. Das ist nur möglich, wenn die Produkte tatsächlich dieselben – oder zumindest gleichwertig sind. Das geschieht bisher nur mit Ausnahmen: Allenfalls aus einigen Plastikflaschen werden neue Plastikflaschen.

Etwa 20 Millionen Tonnen produzierten deutsche Fabriken im Jahr 2019. Dazu zählen nicht nur Verpackungen, sondern auch Autoarmaturen, Möbel, sogar Bodenbeläge. Aber nur in für knapp zehn Prozent der Menge setzte die Branche Rezyklate aus Altplastik ein, so das Ergebnis der Auswertung.

Sortenreiner Kunststoff wie Polypropylen, der etwa für Verschlusskappen verwendet wird, kann immerhin zu Abwasserrohren verarbeitet werden und zählt somit zur sinnvollen Kreislaufwirtschaft.

Sie verstecken Dreck zwischen Folien, fälschen Dokumente und verschleiern ihre Spuren: Dubiose Händler und Müllpaten schaffen unbrauchbare Plastikabfälle aus Deutschland ins Ausland. Eine Recherche enthüllt die Tricks.
von Jacqueline Goebel

Aber Lebensmittelverpackungen? Beinahe unmöglich, sogar verboten. In den meisten Verpackungen für Lebensmittel etwa darf kein recyceltes Plastik eingesetzt werden, weil das Rezyklat zu minderwertig, zu dreckig und damit als zu gefährlich gilt.

Zudem ist ein großer Teil aus der gelben Tonne Mischplastik: Für Wurstverpackungen etwa werden verschiedene Schichten von Kunststoff verbunden und verklebt, die sich mechanisch nicht mehr trennen lassen. Für diesen Mix bleibt nur das „Downcycling“ übrig: In aufwendigen und teuren Prozessen wird Mischplastik zu Bauzäunen, Standfüßen, Sitzgelegenheiten und Bahnschwellen eingeschmolzen, wie ein Unternehmer in der Dokumentation zeigt.

Wirtschaftlich rechnet sich das nicht – das Downcycling wird durch die Verpackungsgebühren der Hersteller gefördert. Und, wenn nach Jahrzehnten die Züge über die Bahnschwellen gerollt sind, sind auch die Plastikschwellen nicht mehr gut zu recyceln.

2. Plastik brennt gut

Andere aber können aus den verklebten Kunststoffschichten sehr wohl Geld machen. Der Großteil unseres nicht zu recycelnden Plastikmülls bleibt deshalb in Deutschland – und wird energetisch verwertet, wie es im Fachjargon heißt. Übersetzt heißt das: verbrannt. Weil Kunststoffe ähnliche Heizwerte haben wie Rohöl, hat die Zementindustrie Chipstüten, Obstschalen und Wurstverpackungen als Brennstoff für ihre Öfen entdeckt. Zementkonzerne schweigen gern über ihr Geschäft mit dem Müll, denn sie lassen sich die Annahme aus der gelben Tonne gut bezahlen.

Den Reportern ist es für den Dokumentarfilm gelungen, den Weg aus Sortieranlagen wie von der GAR hin zu Aufbereitern wie der BT-Umwelt zu verfolgen, einem Betrieb, der Sortierreste in Brennstoff umwandelt, dafür giftige Störstoffe eliminiert und Chipstüten oder Käseschalen zusammen mit Textilresten oder Teppichen zu kleinen Fetzen vermengt. Diese landen über ein Förderband direkt im Zementwerk nebenan.

Eigentlich keine schlechte Idee, nicht recyclingfähigen Müll so zu verwerten – nach deutscher Ingenieurskunst, sicher und effizient. Die Krux an der Sache: Kreislaufwirtschaft ist das nicht. Was in den Zementöfen landet, kann nie wieder verwertet werden.

Fakt ist: Verbraucher subventionieren mit ihrem Plastikmüll die Kosten des Energieverbrauchs in der Schwerindustrie. Durch den Grünen Punkt zahlen sie an der Kasse für jedes Produkt Gebühren – auch für diejenigen, die in Müllverbrennung und Zementwerk landen.

Müllkolonialismus und die Macht der Konzerne

3. Globaler Abfallhandel: Der Müllkolonialismus

Ein wichtiger Teil der sogenannten Kreislaufwirtschaft findet nicht in Deutschland statt, sondern im Ausland. Etwa im Süden der Türkei, in Adana. Der Mikrobiologe Sedat Gündoğdu lebt und arbeitet hier. Doch ein Großteil seiner Zeit nimmt mittlerweile eine andere Aufgabe ein: Er sucht und kartografiert illegale Mülldeponien. In der Dokumentation führt er Reporter zu solchen Abladestellen. Aus Haufen aus Erde und Müll zieht er Verpackungen heraus – auch aus Deutschland.

Über Jahrzehnte war China der wichtigste Recycler der Welt, kaufte Müll aus ganz Europa und auch den USA auf. Nur: Was in den chinesischen Häfen ankam, war häufig dreckiges Material, selbst für Downcycling kaum zu gebrauchen. 2018 entschlossen sich die Chinesen, den Plastikmüll aus dem Ausland nicht mehr anzunehmen – und ein über Jahre gewachsenes Handelssystem brach zusammen.

Es kamen andere, die versuchten, das Geschäft aufzunehmen. Deutschland exportierte seine Plastikabfälle nach Malaysia oder andere südostasiatische Länder – bis auch diese Länder ihre Grenzen dicht machten. Die exportierten Mengen sind dadurch geschrumpft, mittlerweile hat auch die EU ihre Exportregeln verschärft. Trotzdem gingen im vergangen Jahr fast 700.000 Tonnen Plastikmüll aus Industrie und Haushalten Ausland. Im vergangenen Jahr war die Türkei nach den Niederlanden das wichtigste Exportziel für die deutschen Plastikabfälle.

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Dort wiederholte sich das Muster: Erst kamen die Plastikballen an den Häfen an, dann tauchten mehr und mehr Recyclingfabriken in den Industriegebieten auf. Kurz danach stieß Sedat Gündogdu auf die ersten Müllhalden. Sie sind das Werk von kriminellen Akteuren, die im Müllhandel das große Geschäft wittern.

Über eine Tarnfirma nehmen die Reporter direkt Kontakt zu Müllhändlern auf. Und schon nach wenigen Gesprächen stellen sie fest: Die Händler sind schnell bereit, auch schlecht verwertbare Abfälle anzunehmen. Ein Händler in der Türkei rät, sie im Container hinter gutem Material zu verstecken. In Bulgarien trifft das Team auf einen Abfallmakler, der verspricht, er habe beste Kontakte zu Behörden – und könne Bescheid sagen, bevor eine Kontrolle ansteht.

Das größte Problem im internationalen Müllhandel aber liegt woanders: Auf der Welt gibt es viel Plastikmüll – und nur wenige, die es sammeln, sortieren oder verarbeiten. Wenn die Recyclingfabriken im Ausland das sortierte Material aus Deutschland einkaufen, dann tun sie das, weil es lohnenswerter ist als den Hausmüll in der eigenen Stadt zu verarbeiten. Auch in der Türkei sank die Recyclingquote des eigenen Mülls.

4. Die Macht haben die Konsumkonzerne

Am Ende entscheiden nicht die Müllhändler, nicht Recycler oder Zementwerke, und nicht mal Verpackungsforscher darüber, wie gut und wie viel Plastikabfälle wieder verwertet werden können – sondern die Konzerne und Supermärkte, die Produkte mit diesen Verpackungen verkaufen. Für jeden Schokoriegel, für jedes Shampoo und jeden Kugelschreiber entscheiden sie, wie viel Verpackungsmaterial dafür eingesetzt wird – und wie dieses aussieht. Sie entscheiden auch, ob sie selbst Recyclingmaterial in diesen Verpackungen einsetzen, und wie viel sie dafür bezahlen.

Erst in den vergangen Jahren haben die Hersteller angefangen, sich damit zu beschäftigen, wie Recycling eigentlich funktioniert. Sie könnten Produkte so designen, dass sie einfach wieder zu verwerten sind – etwa in dem sie auf dunkle Farben oder Additive, die Qualitäten von Rezyklaten verderben können, möglichst verzichten. Oder eben auch auf jenes unheilvolle, weil nicht recyclingfähige Mischplastik.

Allerdings setzt selbst das voraus, dass es genügend Abfallsortierer und Recyclinganlagen gibt, die diese Produkte verwerten können und wollen. In vielen Ländern der Welt gibt es nicht mal ausreichend Müllsammlung.

Etwa in Indonesien, auf der Insel Java, wo Nina wohnt. Die 14-jährige Aktivistin sammelt Plastikmüll am Strand und zeigt damit in der Dokumentation, was der Müll in ihrem Land anrichtet. Die Verpackungen, die Nina aufsammelt, stammen von Nestlé, von Unilever, von PepsiCo, Konzerne, die sich alle selbst Recyclingziele gegeben haben. Um die Probleme in Ländern wie Indonesien anzugehen, schließen sich Konsumgüterunternehmen und auch Öl- und Chemiekonzerne nun auch zu Organisationen wie der „Alliance to End Plastic Waste“ zusammen.

Quelle: a&o buero

Diese sollen nun Projekte unterstützen, die vor Ort Abfälle einsammeln. Doch bisher machen die Mengen nur ein Bruchteil von dem aus, was die Konzerne gleichzeitig jedes Jahr an die Menschen in Indonesien und anderen Ländern verkaufen. In der Dokumentation konfrontieren die Reporter die Manager der „Alliance to End Plastic Waste“.

5. Das nächste Recyclingversprechen

Ist das die Zukunft? Daran scheinen selbst die Plastikproduzenten nicht zu glauben. Sie wollen nun eine neue Technologie zur Reife bringen und als Lösungsansatz etablieren: Das sogenannte chemische Recycling.

Unter Ausschluss von Sauerstoff soll Plastikmüll mit hohen Temperaturen in seine Einzelteile zersetzt werden. Die langen Kohlenstoffketten im Plastik sollen so aufgebrochen werden, zurück bleiben kleinere Moleküle – eine Art Öl aus Altplastik, das Chemie- und Plastikindustrie als neuem Ausgangsstoff in der Produktion einsetzen wollen.

Das Problem: Die Technologie ist teuer, CO2-intensiv und ein Großteil des Materials geht im Prozess verloren. Zudem hat sich die sogenannte Pyrolyse und auch Verfahren mit Lösemitteln bei Plastikmüll bisher nicht bewähren können – Pilotprojekte scheitern, andere recyceln nur marginale Mengen. In Indonesien etwa wollte der Lebensmittelgigant Unilever mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung eine Anlage aufbauen, die kurz danach brannte. Das Projekt ist mittlerweile gestoppt.

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Recycling allein ist keine Lösung. Dabei gibt es eigentlich längst ein politisches Konzept, wie mit der Plastikkrise umzugehen ist: Die Abfallhierarchie. Oberste Priorität hat demnach nicht das Recycling, sondern die Vermeidung von Müll. Wenn Abfälle gar nicht erst entstehen, können sie auch die Umwelt nicht gefährden, verbrauchen sie auch keine weitere Energie, Wasser oder Ressourcen, um daraus neue Produkte zu erstellen. Als nächst bessere Möglichkeiten gelten deshalb Mehrweglösungen, die immer wieder genutzt werden können, um Ware zu verpacken und zu transportieren. Erst danach folgen Recycling, Verbrennung oder Beseitigung.

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