Über europaweite Zulassungen wie bei Pradaxa entscheidet die europäische Arzneimittelagentur EMA in London. Wie viel Einfluss hat Ihre nationale Behörde noch?
Deutschland ist das größte EU-Land, wir sind die größte Arzneimittelbehörde in Europa und haben einigen Einfluss. Unsere Experten sind in wissenschaftlichen Ausschüssen und Gremien vertreten.
Anfang dieses Jahres hat die EMA das neue Hepatitis-C-Mittel Sovaldi des US-Konzerns Gilead zugelassen. Eine dreimonatige Behandlung kostet um die 100.000 Euro. Das ist doch nur noch dreist, oder?
Für die Preisfestsetzung sind nicht die Zulassungsbehörden zuständig. Meine persönliche Meinung ist, dass der Preis für ein Arzneimittel wie zum Beispiel Sovaldi völlig überzogen ist, selbst wenn dieses neue Arzneimittel einen großen medizinischen Fortschritt mit sich bringen würde.
Die EMA will für mehr Transparenz sorgen, da die Pharmakonzerne negative Aspekte klinischer Studien gegenüber der Öffentlichkeit gern unter Verschluss halten. Eine entsprechende Transparenz-Regelung ist gerade verschoben worden. Setzt sich da die Pharma-Lobby durch?
Hier steht das berechtigte Informationsinteresse von Wissenschaftlern und Patienten im Widerstreit mit dem ebenso berechtigten Interesse der Unternehmen, ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren. Ich finde: Informationen über den Ablauf von klinischen Studien müssen offengelegt werden, aber nicht alle Details.
Der Schweizer Konzern Roche hat gegenüber dem Forschernetzwerk Cochrane jahrelang Studien zu seinem umstrittenen Grippemittel Tamiflu zurückgehalten.
Das habe ich auch nicht verstanden. Die Konzerne legen den Begriff Geschäftsgeheimnis weit aus und geben nichts heraus, was nicht zwingend vorgeschrieben ist.
Also brauchen wir striktere Vorschriften?
Daran arbeitet die EMA ja gerade.
Ist es nachvollziehbar, dass Bayer die Akten zu einem Hormonpräparat aus den Siebzigerjahren nicht herausrückt, das etliche Patienten geschädigt haben soll?
Es dürfte für Bayer schwer werden, die Akten dauerhaft zurückzuhalten. Grundsätzlich müssen die Unternehmen anerkennen, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch auf solche Daten hat.
Vor Jahren klagte sich der Witwer Lothar Schröder ins BfArM-Archiv. Dort fand er einen Hinweis, dass der Selbstmord seiner Frau durch ein Pfizer-Mittel ausgelöst worden sein könnte. Warum öffnet das BfArM nicht häufiger seine Türen?
Auch Behörden haben Beharrungsvermögen. Es ist gut, dass er den Hinweis zutage gefördert hat. Aber es gibt auf einen gerechtfertigten Verdacht Hunderte, an denen nichts dran ist. Wenn jeder unsere Bibliothek und Datenspeicher nutzen könnte, würde das unsere Arbeit lahmlegen. Die finanzielle Ausstattung ist jetzt schon knapp. Wir bekommen etwa neue Stellen grundsätzlich nur, wenn sie sich durch Gebühreneinnahmen refinanzieren. Es gibt Anfragen von Journalisten, Forschern und Unternehmen. Neulich hat eine Kollegin für eine Anfrage drei Tage lang kopiert. Dafür dürfen wir maximal 500 Euro nehmen.
Können Sie garantieren, dass in den Arzneien für deutsche Apotheken und Kliniken immer genau das drin ist, was draufsteht?
Es gibt ein gewisses Risiko, dass Arzneimittel gefälscht sind, also keinen oder einen falschen, womöglich schädlichen Wirkstoff enthalten. Der Anteil liegt aber meines Erachtens immer noch unter einem Prozent.
Das ist noch zu viel. Wer kontrolliert das?
Die Zoll- und Polizeibehörden und die Überwachungsbehörden der Länder, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
Für Kriminelle ist das ein lukratives Feld. Kürzlich sind in Italien Krebsmittel gestohlen worden. Wie groß ist die Gefahr?
Die italienischen Behörden haben uns gesagt, dass sie für die Sicherheit von Medikamenten aus ihrem Land nicht garantieren können. Derzeit wird etwa anhand der Lieferscheine der Importeure die Legalität der Lieferwege überprüft. Wir wissen aber nicht, wie lange der Betrug schon lief, bevor er aufflog. Wir müssen davon ausgehen, dass ein gewisser Anteil Patienten und Krankenhäuser erreicht hat.
Wie können Patienten sich schützen?
Fälschungen fallen oft nicht auf, zumal sie mit deutschen Beipackzetteln ausgestattet werden. Es gibt Forderungen, bestimmte Importwege von Arzneimitteln generell abzuschaffen. Aber das hilft nicht wirklich. Kriminelle Energie findet immer Wege.