AstraZeneca Deutschland „Wir haben die mediale Aufmerksamkeit unterschätzt“

Klaus Hinterding, Vizepräsident bei Astrazeneca Deutschland. Quelle: Presse

Klaus Hinterding, Mitglied der Geschäftsführung und Medizinischer Direktor von AstraZeneca in Deutschland, hat eine turbulente Woche hinter sich. Im Interview spricht er über die Lehren aus dem vorübergehenden Impfstopp, Thromboserisiken und das verlorene Vertrauen in AstraZeneca.

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WirtschaftsWoche: Herr Hinterding, die europäische Arzneibehörde EMA hält am Impfstoff von AstraZeneca fest, in den Impfzentren darf damit wieder gespritzt werden. Fühlen Sie sich rehabilitiert?
Klaus Hinterding: Ich bin froh und erleichtert über die Entscheidung der EMA, aber nicht überrascht. Die Chance, Millionen Menschen vor Corona zu schützen, überwiegt ganz klar die Risiken. Und die EMA hat keinen allgemeinen Zusammenhang zwischen Thromboembolien, der Verstopfung von Gefäßen durch Blutgerinnsel, und unserem Impfstoff festgestellt.

Die EMA sagt, dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann. Deswegen gibt es ja auch einen Warnhinweis.
Das gilt nur für die sehr seltenen Hirnvenenthrombosen. Die EMA konnte da einen Zusammenhang mit unserem Impfstoff nicht ausschließen, aber auch nicht belegen.

Die EMA will einen möglichen Zusammenhang weiter untersuchen. Was macht AstraZeneca dazu?
Wir nehmen auch weiterhin jede Meldung sehr ernst und überwachen die Impfreaktionen im Rahmen unseres routinemäßigen Prozesses zur Sicherheitsüberwachung, wie wir das auch bei all unseren anderen Medikamenten tun. Wir arbeiten sehr eng mit den regulatorischen Behörden zusammen, um die Hintergründe der selten aufgetretenen Fälle der Sinusvenenthrombose zu untersuchen.

von Sonja Álvarez, Max Haerder, Hannah Krolle, Christian Ramthun, Cordula Tutt

Forscher der Universität Greifswald haben bereits die Ursache für die aufgetretenen Hirnthrombosen gefunden: Danach löst die Impfung durch AstraZeneca bei einigen Patienten einen Abwehrmechanismus aus, der zur Bildung von Blutgerinnseln im Gehirn führt.
Das ist eine spannende, interessante Hypothese, die aber noch nicht belegt ist. Bislang lief die Meldung ja nur über die Medien, eine wissenschaftliche Veröffentlichung steht noch aus.

In Deutschland sind bislang 13 Menschen an Hirnvenenthrombosen erkrankt oder gestorben, in England drei. Auch zwischen anderen europäischen Ländern variiert die Zahl. Wie erklären Sie sich die Unterschiede?
Das kann tatsächlich Zufall sein, bei den geringen Fallzahlen ist das möglich. Eine zweite Erklärung ist, dass in Deutschland und England unterschiedliche Populationen geimpft wurden. In England wurde unser Vakzin vorwiegend an ältere Menschen über 65 Jahre verabreicht, in Deutschland an unter 65-Jährige. Bislang treten Hirnvenenthrombosen vor allem zwischen 20 und 55 Jahren auf. Ältere sind weniger betroffen.

Zur weiteren Verwirrung trägt bei, dass die Arzneibehörden zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut plädierte Anfang der Woche für eine Aussetzung der Impfung, während die europäische EMA die Vorteile ihres Impfstoffs betonte. Lässt sich das nicht besser koordinieren?
Ich verstehe, dass da viele Menschen verwirrt sind. Ein einheitliches Vorgehen der Behörden wäre sicher wünschenswert. Dass die Behörden zu unterschiedlichen Schlüssen gekommen sind, lag wahrscheinlich an den unterschiedlichen Stichproben. Dem Paul-Ehrlich-Institut lagen die Daten für Deutschland vor, der EMA die Daten aus allen EU-Staaten. Positiv ist, dass die Arzneibehörden Fragen der Sicherheit sehr ernst nehmen. Das schafft hoffentlich auch Vertrauen bei den Bürgern.



Gerade AstraZeneca hat allerdings viel Vertrauen verspielt. Es begann schon mit einer Panne bei der Studie – einige Probanden erhielten die halbe Dosis, andere die ganze. Das war wenig vertrauenserweckend. Dann gab es zu wenige Daten über die Wirkung der Impfung bei älteren Menschen. Bis heute kann AstraZeneca die Lieferprobleme in der EU nicht schlüssig erklären. Jetzt die Diskussion um die Thrombosen. Wie wollen Sie verlorenes Vertrauen zurückgewinnen?
Vertrauen muss man sich verdienen, ganz klar. Die gestrige Erklärung der EMA zu unserem Impfstoff war klar und eindeutig. Ich hoffe, das hilft, um die Bevölkerung zu versichern. Bei uns gab es in der Vergangenheit sicher Verwirrungen. Aber entscheidend ist doch, dass wir innerhalb von zehn Monaten einen Impfstoff entwickelt haben, der auf Herz und Nieren geprüft ist. Die Daten aus dem Praxiseinsatz, die wir vor kurzem aus Großbritannien erhalten haben, bestätigen zudem die hohe Wirksamkeit des Impfstoffs – vor allem bezüglich des wichtigen Schutzes vor schweren Verläufen und bezüglich Einweisungen ins Krankenhaus. Rund zwanzig Millionen Menschen in Europa haben unseren Impfstoff bereits erhalten. Unser Vakzin ist gut zu kühlen und zu lagern. Das ist ganz entscheidend für viele Entwicklungsländer, etwa in Afrika. Ohne AstraZeneca lässt sich die Pandemie nicht besiegen. Das Schlimmste wäre, nicht zu impfen. Jeden Tag sterben in Europa einige tausend Menschen an Corona.

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Nochmal: Welche Fehler hat AstraZeneca gemacht?
Wir haben sicher die mediale Aufmerksamkeit unterschätzt. Dass alles, was wir tun unter dem Brennglas der Öffentlichkeit stattfindet, ist eine neue Erfahrung. Bislang ging es in der Öffentlichkeit etwa nie darum, wie effektiv Impfstoffe wirken. Heute weiß fast jeder Bescheid, welches Vakzin zu wieviel Prozent wirkt. Unsere Aufgabe ist es, kompetent und proaktiv zu informieren.

Mehr zum Thema: Der plötzliche Stopp von AstraZeneca hat viele Ärzte überrascht. Impfarzt Pascal Nohl-Deryk über Sorgen, Enttäuschungen und mangelhafte Kommunikation durch Jens Spahn.

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