Aurubis-Chef Harings „Der Atomausstieg kommt zu früh“

Roland Harings ist der Chef des Hamburger Kupferproduzenten Aurubis. Quelle: dpa

Ist der Atom-Ausstieg am 15. April für die energieintensive Industrie ein Problem? Ja, sagt der Chef des Kupferproduzenten Aurubis – und fürs Klima auch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Ausstieg der Deutschen aus der Kernkraft am 15. April ist wohl durch. Der politische Wille für eine weiteren Verlängerung der Laufzeiten der Kraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim ist nicht vorhanden.

Und dennoch gibt es in der Wirtschaft, gerade in der energieintensiven Industrie, weiter Kopfschütteln darüber, dass die Ampel in Berlin trotz Krise auf dem deutschen Sonderweg beharrt. „Der Ausstieg aus der Atomkraft kommt aus meiner Sicht eindeutig zu früh“, sagte Roland Harings, Chef des Hamburger Kupferproduzenten Aurubis, der WirtschaftsWoche.

„Die bestehenden Grundlastkraftwerke mit Strom aus Braunkohle, Steinkohle und Atomkraft sollten erst einmal weiterlaufen und mit Augenmaß schrittweise vom Netz genommen werden. Nämlich dann, wenn mehr Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist. Auf dem Weg zur Dekarbonisierung sollte die Atomkraft als letztes abgeschaltet werden.“ Solange die Grundlast nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werden könne, sei die „Atomkraft ohne Alternative.“

21 Millionen Tonne Kohlendioxid weniger pro Jahr

Es ist eine Einsicht, die derzeit weit verbreitet ist: An sich wäre es schlauer gewesen, zuerst aus der Kohle auszusteigen und die emissionsarme Atomkraft als Brücke zu nutzen anstatt, wie jetzt, zuerst aus der Kernkraft auszusteigen und auf die Gaskraft als Brücke zu hoffen. Denn auch wenn der Gaspreis zuletzt deutlich gesunken ist, bleibt Erdgas eine fossile Energiequelle – und der Umstieg auf den Betrieb mit Wasserstoff liegt noch in weiter Ferne. Zudem ist unklar, ob die Regierung ihre hoch gesteckten Ausbauziele bei den Erneuerbaren erreichen kann.

Lesen Sie auch: Können Atomkraftwerke neuen Typs das Energieproblem lösen?

Als energieintensives Unternehmen sei Aurubis auf eine „stabile Versorgung“ angewiesen, sagte Harings, „denn die meisten Prozesse sind bei uns elektrifiziert.“ Für die weitere Dekarbonisierung werde Strom aus erneuerbaren Energien immer wichtiger, aber der müsse „zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stehen.“

Aurubis hat nach Angaben Harings sogar konkret berechnet, wie das Klima durch eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke geschont werden könnte. Demnach könnten mit den drei noch aktiven Atomkraftwerken gegenüber einem „Mix aus Kohle- und Gaskraftwerken“ jährlich 21 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) eingespart werden.

Vor 62 Jahren nahm das erste Atomkraftwerk in Deutschland seinen kommerziellen Betrieb auf. Mitte April soll nun endgültig Schluss sein mit der nuklearen Stromerzeugung.

Würden die drei Kraftwerke fünf Jahre lang weiterbetrieben, würden laut Aurubis etwa 140 Tonnen radioaktive Abfälle anfallen, etwa 1 Prozent zusätzlich zu dem bestehenden Abfall – für den es allerdings noch kein Endlager gibt.

Vorschlag für einen Industriestrompreis

Die Bundesregierung hat einen anderen Weg gewählt. Sie setzt darauf, dass der Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 ausreichend schnell voranschreitet, gleichzeitig aber die Kapazität der wasserstofffähigen Gaskraftwerke so ausgebaut wird, dass Stromversorgung und Netzstabilität ohne Kern- und Kohlekraft gesichert werden können. Die Unternehmensberatung McKinsey hat kürzlich in der jüngsten Ausgabe ihres Energiewende-Index argumentiert, dass ohne den schnellen Ausbau der Gaskraftwerkskapazität Ende des Jahrzehnts eine Stromlücke von bis zu 30 Gigawatt drohe. Harings sagte, er sehe die Pläne der Ampel „äußerst kritisch. Es gibt auch mit Erneuerbaren noch kein Konzept, wie die Grundlastversorgung sichergestellt werden soll.“

Der Aurubis-Chef sagte, für „unsere Industrie ist die Dekarbonisierung die größte Transformation seit der industriellen Revolution.“ In Zusammenarbeit mit Verbänden habe Aurubis deshalb ein Modell für einen „wettbewerbsfähigen Transformationsstrompreis“ in Höhe von 40 bis 50 Euro pro Megawattstunde entwickelt. Demnach sollten Grundlastkraftwerke die Versorgung der energieintensiven Industrie über einen „separaten Markt rund um die Uhr“ sicherstellen. „Wir haben einen sehr stabilen Energiebedarf – sodass wir auch eine stabile Nachfrage garantieren können“, sagte Harings.

Kaffee und Kram Lässt sich Tchibos Niedergang aufhalten?

75 Jahre nach der Gründung bröckelt die Geschäftsbasis von Tchibo. Konzernpatron Michael Herz stemmt sich gegen den Niedergang des Kaffeehändlers.

Eskalation der Geopolitik China bereitet sich auf künftige Sanktionen des Westens vor

China bereitet sich auf eine Eskalation der geopolitischen Konflikte vor – mit massiven Goldkäufen, neuen Handelsrouten und einer verstärkten Abkehr vom Dollar.

Ab ins Umland Die Stadtflucht erreicht eine neue Stufe

Familien und Ältere verlassen schon länger die Städte, um im Umland eine Immobilie zu erwerben. Doch jetzt greift die Stadtflucht auch auf andere Gruppen über.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die Atomdebatte, so scheint es, wird am 15. April enden – die Debatte über den richtigen Weg hin zu einem Industriestrompreis, der Unternehmen am Standort Deutschland hält, hat dagegen gerade erst richtig begonnen.

Lesen Sie auch: Die Deutschen schalten die AKW ab, während alle Welt auf eine Kernenergie-Renaissance setzt. Ist das kühn, tollkühn – oder fahrlässig?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%