Autobauer VW will drohende US-Milliardenstrafen von Supreme Court klären lassen

Für den Skandal verbuchte der Konzern bereits Kosten von rund 32 Milliarden Euro – größtenteils für Strafen in den USA. Quelle: dpa

Rollt in Amerika die nächste Milliarden-Klagewelle auf Volkswagen zu? Eigentlich dachte man, die Folgen des Abgasbetrugs dort eingedämmt zu haben – nun stellen sich Richter in Ohio quer.

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Der in den USA teils schon abgeräumt geglaubte Dieselskandal könnte für Volkswagen ein langwieriges und potenziell teures Nachspiel haben. In einem weiteren Rechtsstreit über mögliche hohe Bußgelder erlitt der Autobauer vorläufig eine empfindliche Niederlage. Das Oberste Gericht von Ohio entschied am Dienstag (Ortszeit), dass der Bundesstaat wegen systematischer Abgasmanipulation Sanktionen gegen den Konzern verfolgen kann, die über die bereits auf US-Bundesebene vereinbarten Strafen hinausgehen.

Für VW sind regionale Verfahren wie dieses brisant, den Wolfsburgern drohen möglicherweise zusätzliche enorme Rechtskosten. Bisher hat das Unternehmen über 32 Milliarden Euro dafür ausgegeben oder zurückgelegt. Der Mittelabfluss hatte sich zuletzt schon verringert – und eigentlich nahm man an, dass durch die Vergleiche mit Behörden, Kunden und Händlern sowie ein strafrechtliches Schuldanerkenntnis gegenüber dem Justizministerium die größten Brocken bewältigt wären. Jetzt könnten die Karten noch einmal neu gemischt werden, zumal es auch in anderen US-Staaten und -Counties weitere Verfahren gibt.

Volkswagen strebt eine ergänzende grundsätzliche Klärung an, um sich abzusichern. Man wolle den Fall aus Ohio vor den US Supreme Court - den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten – bringen, hieß es auf Nachfrage. Der Konzern ist der Auffassung, dass die Ansprüche einzelner Bundesstaaten durch Strafen und Entschädigungen abgegolten sind, die er bereits wegen Verstößen gegen das Luftreinhaltegesetz „Clean Air Act“ hatte zahlen müssen. Zu dieser Einschätzung seien überdies mehrere andere US-Gerichte in ähnlichen Fällen gekommen. So sei etwa auch in Kalifornien ein erfolgreicher Vergleich gelungen.



Aber selbst wenn am Ende zugunsten von VW entschieden werden sollte, dürfte der Richterspruch aus Ohio die Unsicherheit hoch halten. Denn ein Verfahren auf allerhöchster Ebene könnte sich länger hinziehen. Der Aktienkurs des größten europäischen Autobauers sackte am Mittwoch nach Börsenbeginn in Deutschland zeitweise um mehr als 4 Prozent ab.

VW argumentiert: „Die Forderungen des Bundesstaates Ohio sind durch Bundesrecht ausgeschlossen.“ Würde das von den führenden US-Richtern nach weiteren Prüfungen trotzdem anders beurteilt, könne das Ergebnis kaum im Interesse der Behörden und Kunden sein: Ein juristischer Flickenteppich wäre demnach wohl die Folge, mit unterschiedlichen Auslegungen vielleicht bis auf die Ebene einzelner Landkreise.

Dies würde letztlich auch die Fähigkeit der US-Umweltbehörde EPA „ernsthaft beeinträchtigen, Fahrzeug-Emissionen zu regulieren, indem sie den staatlichen und lokalen Regierungen überlappende Befugnisse einräumt“. Software-Updates etwa seien in solchem „regulatorischen Chaos“ nicht einheitlich möglich – so jedenfalls die Sicht von VW.

Ohios Generalstaatsanwalt Dave Yost interpretiert die Situation anders. „Dies ist eine bedeutende Entscheidung, die dafür sorgen wird, dass Volkswagen für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann“, erklärte er. Es sei zwar noch nicht entschieden, wie der Bundesstaat nun weiter vorgehe. Doch das Oberste Gericht von Ohio habe angeordnet, dass die Türen für ein Verfahren geöffnet werden. „Wir werden Gerechtigkeit suchen“, kündigte Yost an.

Das Richterkollegium in der Hauptstadt Columbus sprach sich mit 6 zu 1 Stimmen dafür aus, dass weitere Strafen ermöglicht werden sollten. Michael Donnelly, der als einziger dagegen war, bezifferte die theoretisch denkbaren Geldbußen auf „mehr als eine Billion Dollar“.

VW hatte im September 2015 auf Druck der US-Umweltbehörden zugegeben, mit einer speziellen Software („Defeat Device“) jahrelang Abgaswerte von Dieselautos manipuliert zu haben. Die bisher dadurch entstandenen Kosten fielen zu großen Teilen in den USA an. Es gibt aber auch in Europa und andernorts außergerichtliche Deals sowie Gerichtsurteile.

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Die Krise ist allerdings noch nicht vorbei. Ex-VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, gegen den in Amerika ein Haftbefehl vorliegt, steht ab Mitte September in einem Betrugsprozess vor dem Landgericht Braunschweig. In den Vereinigten Staaten wiederum entschied ein Berufungsgericht vor gut einem Jahr, dass trotz bereits geschlossener Vergleiche zusätzliche Strafen auf regionaler Ebene zulässig seien.

Dabei ging es um Klagen von zwei Bezirken der Bundesstaaten Florida und Utah, die auch landesweit richtungsweisend sein könnten. Die Richter hatten erklärt, sie seien sich im Klaren darüber, dass ihre Entscheidung zu „atemberaubenden Belastungen“ für VW führen könne. Allein auf Basis regionaler Bußgeldkataloge könnten sich die Strafen potenziell auf bis zu 11,2 Milliarden Dollar belaufen – pro Jahr.

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