Autosalon in Paris Der Star auf der Automesse ist kein Auto mehr

Futuristische Konzepte und virtuelle Realität: Auf Europas größter Automesse in Paris überspielen die Autobauer mit viel Technologie ihre eigene Ratlosigkeit. Szenen einer Branchenkrise.

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Virtuelle Realität ist in Paris ein Trend, auch auf dem VW-Konzernabend. Quelle: dpa

Paris Berater sagen, dass das modern wirkt. Also setzte sich die VW-Führungsriege beim Messerundgang auf dem Autosalon in Paris kurzerhand eine dieser Brillen auf, mit der sich eine virtuelle Realität simulieren lässt. In einer Reihe saßen sie da, die Brille im Gesicht: Konzernchef Matthias Müller, Aufsichtsrat Hans-Dieter Pötsch und der Sprecher der Inhaberfamilien Wolfgang Porsche – ein für Fotografen sehr undankbares Motiv. Denn was die Männer sahen, war schließlich nicht abzulichten. Wichtiger war ohnehin die Botschaft: Seht her, wir sind offen für neue Technologien. Wir schauen in die Zukunft.

Früher lief die Automesse für VW so ab: Konzernchef Martin Winterkorn schritt mit seinem Gefolge die Messestände seiner Marken ab, streichelte über den Lack, maß hin und wieder einen Spalt nach – und lehrte nebenbei seine Markenverantwortliche das Fürchten. Und jedes Jahr brachte die Konzerntochter Bugatti einen noch stärkeren Sportwagen mit. Es waren Demonstrationen der Ingenieure. Doch nicht nur VW hat sich verändert.

Der Star der Pariser Automesse ist kein Auto mehr, sondern die Virtual-Reality-Brille. Kaum ein Hersteller verzichtet auf die 3D-Welt im Kompaktformat. VW-Tochter Seat hat gleich eine ganze Tribüne aufgebaut, auf der bis zu 40 Zuschauer in eine Simulation versetzt werden. Und auch Peugeot hat eine eigene Ecke am Stand eingerichtet, in der Besucher zwar komisch aus der Wäsche, aber irgendwie auch in die Zukunft sehen können.

Die Flucht in die virtuelle Realität ist auch aus der Not geboren. Eine Messe ist als Präsentationsfläche längst zu statisch, um zu zeigen, was in Zukunft geplant ist. Das meiste, was an Autos Spaß macht, kann man sich hier nur vorstellen: Beschleunigung beispielsweise oder den Motoren-Sound. Noch schwieriger wird es, wenn man keinen Sportwagen zeigen will, sondern ein ganzes Mobilitätskonzept.

Längst wird hinter den Kulissen offen diskutiert, wie sinnvoll ein Auftritt auf einer Automesse noch ist. Ein führender Manager eines großen europäischen Herstellers bringt es auf den Punkt: „Wir investieren hier mehrere Millionen, die an anderer Stelle viel mehr Wirkung zeigen.“ Fahrpräsentationen für Kunden, eigene Events im Netz – die Plattformen sind so zahlreich geworden, dass eine Automesse fast zum Klassentreffen verkommt. Volumenhersteller wie Volvo, Mazda und Ford sind deswegen gar nicht erst nach Paris gekommen.

Andere versuchen, die schönen Versprechen auf eine bessere Zukunft durch futuristische Konzeptfahrzeuge sichtbar zu machen. VW hat den I.D. mitgebracht, Daimler den EQ. Autos, die bislang nur ein Entwurf sind, beleuchtet mit viel LED-Schnickschnack und beschrieben mit allerlei Modeattributen: vollvernetzt, autonom, emissionsfrei. So sieht die schöne neue Autowelt aus, die für den Normalverbraucher allerdings immer schwerer zu verstehen ist.

Das zeigen nicht nur die Zustimmungsraten für die neuen Technologien, sondern auch die schnöde Absatzstatistik. Während die Hersteller immer schönere Utopien entwerfen, greifen die Kunden im Autohaus bislang immer noch vor allem zum SUV mit Verbrennungsmotor. Die Diskrepanz zwischen der Straße und den Vorstellungen der Hersteller war selten so groß wie heute.


„Wir sind Dinosaurier“

Da muss man auch mal Brücken bauen: Dieter Zetsche präsentierte Daimlers Elektromarke EQ im neuen Lieblingsoutfit: dunkelblaues Sakko, helle Skinny Jeans, Turnschuhe. Dass das hinter den Kulissen noch für Diskussionen sorgt, war in Paris unüberhörbar. Einige lobten die neue Modernität, auf andere wirkte der Auftritt, als habe Großvater sich in die Technodisco verirrt.

Die Branche sucht nicht nur einen neuen Kleidungsstil, sie arbeitet an einem neuen Selbstverständnis. Die Autobranche, sagen Unternehmensberater gerne, brauche ein neues „Mindset“. Ein Begriff, der sich mit dem deutschen Wort „Denkweise“ nur begrenzt übersetzen lässt. Es geht darum, die eigenen Vorstellungen von der Zukunft glaubwürdig in die Realität umzusetzen. So glaubwürdig, dass auch die Kunden ein Teil dieser Utopie werden wollen. Das ist, was Tesla derzeit so perfekt gelingt und vielen Autobauern noch nicht.

Die Branche will wieder Träume verkaufen und sie muss es auch: Hinter den Kulissen laufen sich Herausforderer wie Apple, Google und Uber warm, um den Autobauern ihr Milliardengeschäft streitig zu machen. Sie bringen nicht nur Milliarden mit, sondern können Ideen auf dem Reißbrett entwerfen – ohne gewachsene Produktion oder Vertrieb. Die Autobauer müssen schneller werden, das wissen sie selbst.

Nur wenige Manager wie PSA-Chef Carlos Tavares sprechen offen aus, was andere nur zu denken wagen. „Wir wissen, dass wir Dinosaurier sind, aber wir wollen nicht aussterben“, sagt der Portugiese, wenn er über die neue Autowelt spricht. Die Feststellung, dass man sich in den nächsten fünf Jahren stärker verändern werde, als in den vergangenen 50 Jahren ist mittlerweile längst zur Phrase mutiert, die Manager gerne verwenden, wenn sie sich modern geben. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es der Branche gelingt, ihre bislang nur simulierten Zukunftsszenarien auch wirklich umzusetzen. Dann braucht auch niemand eine Brille, um sie zu sehen.

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