„Bald hat es sich ausgedieselt“ Gehört dem Wasserstoffzug die Zukunft?

Mireo plus H: der Wasserstoffzug aus dem Hause Siemens. Quelle: imago images

Ein Großteil des Schienennetzes ist nicht elektrifiziert. Wasserstoffzüge sollen die dreckigen Dieselfahrzeuge ersetzen. Siemens sieht sich als Technologieführer – doch Konkurrent Alstom hat die besseren Argumente.

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Es war Roland Busch ein großes Anliegen, nach Wegberg-Wildenrath zu kommen. In dem nordrhein-westfälischen Städtchen hat der Zughersteller Siemens Mobility sein Prüfzentrum zur finalen Abnahme von Zügen errichtet, bevor sie an Kunden ausgeliefert werden. An einem Tag Anfang September präsentiert Siemens dort den Wasserstoffzug „Mireo plus H“. Der Zug sei ihm „persönlich ganz ganz wichtig“, sagt der Siemens-Konzernchef. 40 Prozent des deutschen Schienennetzes seien nicht elektrifiziert. In anderen Ländern seien die Strecken, wo der Einsatz von Dieselfahrzeugen nötig ist, gar noch höher. Dann kommt Bush in seiner Rede regelrecht ins Schwärmen: Für den Ersatz von Dieselzügen könne Siemens nun „Spitzentechnologie“ anbieten: Wasserstoffzüge mit bis zu 800 Kilometer Reichweite, einer Beschleunigung „wie bei einer U-Bahn“ und eingesparte Tonnen CO2.

Zusammen mit der Deutschen Bahn stellt Siemens an diesem Tag den ersten Wasserstoffzug vor. Ein Prototyp soll bei DB Regio in Baden-Württemberg nach dem Technikcheck in Wegberg-Wildenrath zum Einsatz kommen, später dann in Bayern. Die Bahn hat dafür eigens eine mobile Wasserstofftankstelle bauen lassen. In nur 15 Minuten könne der H2-Tank des Mireo vollgetankt werden. „Ich habe schon vier Minuten gesprochen“, sagt Busch. „Der Tank wäre schon zu einem Drittel voll.“

Busch präsentiert sein Unternehmen Anfang September als Technologieführer. Pünktlich zur Bahnmesse Innotrans, die an diesem Dienstag in Berlin startet, zeigt sich der Münchener Konzern von seiner innovativsten Seite. Bestens gerüstet für das nächste Kapitel klimafreundliche Bahn: die Elektrifizierung der Schiene ohne Oberleitungen. Wasserstoff gilt als perfekter Kraftstoff-Ersatz für Diesel – das Thema bestimmt die diesjährige Leitmesse der Bahnindustrie. Doch Siemens ist längst nicht der einzige Anbieter von Wasserstoffzügen und möglicherweise nicht einmal der führende. Alstom aus Frankreich, Stadler aus der Schweiz und CAF aus Spanien bieten ebenfalls H2-Züge an – in einigen Kategorien sogar bessere.

Blaue Konkurrenz für Siemens: der Wasserstoffzug Coradia iLint von Alstom. Quelle: imago images

Der Wettbewerb um die nächste Schienen-Ära ist eröffnet. Weltweit erlebt die Eisenbahn eine Renaissance. Oder wie es Bundesverkehrsminister am Vorabend der Innotrans in Berlin sagte: „Die Schiene ist der Verkehrsträger der Zukunft.“ Deshalb investiere die Bundesregierung mehr Geld in Gleise und Weichen als in die Straße. Doch längst nicht jede Zugstrecke ist elektrifiziert, geschweige denn klimafreundlich. Diese Lücke zur Klimaneutralität glaubt die Branche, mit den Wasserstoffzügen füllen zu können. Allerdings haben die einen Haken.

Auf dem Testgelände in NRW fährt Siemens Mobility den Zug das erste Mal für die Öffentlichkeit probe. In dem Zug ist es genauso leise wie in herkömmlichen Elektrozügen. Der „Mireo plus H“ beschleunigt auf bis zu 160 Kilometer pro Stunde. Ab 2024 soll der Zug in Baden-Württemberg zum Einsatz kommen. Stolz ist man bei Siemens vor allem auf die hohe Leistungsfähigkeit des Elektromotors in Kombination mit der Brennstoffzelle. Bei Bremsvorgängen werde die Batterie wieder aufgeladen. Bei der Energieeffizienz schaffe Siemens „einen fantastischen Wert“, sagt Markus Bertrams, Standort-Leiter des Prüfzentrums. Wahrscheinlich sei sogar eine Reichweite von 1000 Kilometern möglich. Im Hintergrund heißt es bei den Münchenern: Konkurrent Alstom sei zwar früher dran gewesen. Aber Siemens baue die Wasserstoffzüge „der zweiten Generation“ in Serie, sprich: die besseren Züge.

Doch so selbstbewusst sich die Siemensianer geben, so verzerrt wirkt ihr Blick beim Abgleich mit der Realität. Gut eine Woche, nachdem Siemens seinen ersten Wasserstoffzug präsentierte, schickt der französische Konkurrent Alstom seinen Wasserstoffzug Coradia iLint auf Weltrekordreise. Das Ziel: mindestens 1000 Kilometer Reichweite. Nach 19 Stunden Fahrt bleibt der Reichweitenmesser bei 1175 gefahrenen Kilometern stehen. Und tatsächlich waren noch gut 20 bar Druck im Wasserstofftank. Es hätten also „gut und gerne noch 250 weitere Kilometer mehr werden können“, sagt ein Alstom-Manager.

Die Deutsche Bahn baut 137.000 Betonschwellen aus – mit Verspätungsfolgen im Nah- under Fernverkehr. Schuld sei wohl der Hersteller. Doch der wehrt sich – und sieht die Verantwortung womöglich sogar bei der Bahn.
von Christian Schlesiger

Siemens versus Alstom – zu Beginn der Innotrans wollen sich die Hersteller mit Superlativen übertrumpfen. Aber wer tatsächlich technologisch führend ist, ist nur schwer auszumachen. Tatsache ist: Alstom hat bereits wasserstofftaugliche Züge im Betrieb, auch in Deutschland. Zwischen Bremerhaven und Buxtehude wird der iLint mit Wasserstoff angetrieben. Außerdem ist der Reichweitenrekord eine nachprüfbare Leistung. Siemens steckt noch in der Prototypen-Phase. Auf der Innotrans präsentiert auch Stadler mit dem Flirt H2 seinen ersten Wasserstoffzug: „Er wird 2024 als erster Wasserstoffzug im amerikanischen Personenverkehr den Betrieb in Kalifornien aufnehmen“, heißt es. Damit sind die Schweizer etwa so weit wie die Münchener.

Tatsächlich könnte der H2-Technik insgesamt aber die Zukunft gehören. Immer noch fahren 3000 Züge allein durch Deutschland und verbrennen dabei Diesel. Siemens-Chef Busch frohlockt schon mal freudig: Das Marktpotenzial sei gigantisch. „Wenn H2 genügend zur Verfügung steht, hat es sich ausgedieselt.“ Siemens setzt dabei auf die existierende Mireo-Plattform, die heute vor allem Elektrotriebwagen mit Stromabnehmer für Oberleitungen produziert. Inzwischen hat Siemens die Plattform mit Batteriezügen und eben den Wasserstoff-Zügen ergänzt. Die Kunden wie etwa Verkehrsverbünde haben die Wahl zwischen dem gleichen Zugtyp, aber verschiedenen Antrieben.

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Alstom hat sich 2016 für das H2-Thema entschieden. Angetrieben wurde das Thema aus dem deutschen Alstom-Werk in Salzgitter heraus. Mitarbeiter der Alstom-Tochter wollten alternative Antriebe zu den Dieselzügen entwickeln – und wurden mit einem üppigen Forschungsetat aus Paris bedacht. Inzwischen gelten die H2-Züge als praxistauglich und betriebswirtschaftlich sogar vorteilhaft. „Über die Lebenszeit von 30 Jahren ist ein H2-Zug billiger“, sagt ein hochrangiger Alstom-Manager. Es gebe weniger mechanische Elemente, die verschleißen könnten und ersetzt werden müssten. Innerhalb des Alstom-Netzwerks, das inzwischen auch die ehemaligen Bombardier-Standorte beinhaltet, zählt Salzgitter zum „Nukleus“ des Wasserstoff-Zugbaus.

Ein Problem haben aber alle Hersteller der Wasserstoffzüge nicht gelöst. Klimafreundlich sind die Züge nur, wenn sie mit grünem Wasserstoff angetrieben werden, der aus Erneuerbaren Energien produziert wird. Der ist in ausreichender Menge gar nicht vorhanden. Beim Mireo-Projekt von Siemens in Baden-Württemberg kommt der grüne Wasserstoff von der Deutschen Bahn – entwickelt in kleinen Mengen von der Bahn-Tochter DB Energie.

Lesen Sie auch: Die Deutsche Bahn präsentiert den neuen ICE L von Hersteller Talgo aus Spanien - und düpiert damit Hauslieferant Siemens Mobility. Die Münchener müssen bei den ICE-Zügen der nächsten Generation neu denken.

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