Was haben BASF, einer der konservativsten Konzerne des Landes, und die Partei Die Linke gemeinsam? Beide plädieren gegen Russlandsanktionen.
Denn einige Hundert Millionen Euro nimmt der rheinland-pfälzische Industriekonzern dank seiner russischen Öl- und Gasfelder jährlich ein; seit gut 20 Jahren kooperiert die BASF dazu mit dem russischen Staatsriesen Gazprom. Als „vertrauenswürdig, zuverlässig und berechenbar“ charakterisierte Vorstandschef Kurt Bock die Gazprom-Manager noch im vergangenen Jahr.
Geplatzte Russlandverträge
Von wegen. Anfang Dezember sagte Gazprom zunächst den Bau der Gaspipeline South Stream ab – BASF war mit 15 Prozent an der Projektgesellschaft beteiligt.
Wenige Wochen später ließ Gazprom auf Geheiß von Präsident Wladimir Putin einen weiteren Deal platzen: BASF wollte den gemeinsamen Gashandel an Gazprom abgeben und sollte dafür eine Beteiligung an sibirischen Gasfeldern erhalten. Doch seit der Eskalation des Ukrainekonflikts hat sich das Klima zwischen Deutschland und Russland abgekühlt.
Das haben die einzelnen BASF-Sparten 2014 erwirtschaftet
Mit der Chemikalien-Sparte hat der Industriekonzern in den ersten neun Monaten des Jahres 2014 23 % des Gesamtumsatzes von 56,3 Milliarden Euro erzielt. Das macht 28 % des operativen Ergebnisses aus, welches im gleichen Zeitraum bei 8,2 Milliarden Euro lag.
Die folgenden Angaben beziehen sich jeweils auf die ersten drei Quartale 2014.
Katalysatoren, Lacke und andere Industrieprodukte haben 2014 23 % des Umsatzes ausgemacht. Der Anteil am operativen Ergebnis lag allerdings nur bei 16 %.
Durch Performance Products aus der Spezialchemie wurden im vergangenen Jahr 21 % des Gesamtumsatzes erzielt. Der Anteil am operativen Ergebnis lag bei 22 %.
20 % des Umsatzes von BASF gehen auf die Sparte Öl und Gas zurück. Das macht 25 % des operativen Ergebnisses aus.
Immerhin 8 % des Umsatzes des Industrieriesen gehen auf die Sparte Pflanzenschutz zurück. Der Anteil am operativen Ergebnis liegt damit bei 14 %.
Sonstige Sparten von BASF erzielten 5 % des Gesamtumsatzes für das Unternehmen. Daduruch ging das operative Ergebnis 2014 um 5 % zurück.
Die geplatzten Russlandverträge sind nicht Bocks einziges Problem. Ausgerechnet im 150. Jubiläumsjahr offenbart der größte Chemiekonzern der Welt ungewohnt viele Schwächen und Probleme. So sorgt im Öl- und Gasgeschäft der fallende Ölpreis für Rückgänge bei Umsatz und Gewinn. Beim Pflanzenschutz verlieren die Ludwigshafener gegenüber dem Erzrivalen Bayer Boden, und in vielen Chemiegeschäften drücken Überkapazitäten auf die Gewinnmargen. Wie konnte die sonst so solide BASF an so vielen Fronten in die Defensive geraten? Und wie steuert Bock gegen?
BASF kappt Gewinnprognose
Den Ernst der Lage werden die Zahlen für 2014 widerspiegeln, die der BASF-Chef am Freitag präsentiert. 2013 konnte der Konzern noch den Umsatz um drei Prozent auf 74 Milliarden Euro steigern und den Betriebsgewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um vier Prozent auf zehn Milliarden Euro.
Für das abgelaufene Jahr jedoch rechnen Analysten mit einem Umsatzminus von einem Prozent und einem sogar um etwa zwei Prozent gesunkenen Ebitda. Die Probleme liegen vor allem in den Bereichen Öl und Gas sowie Pflanzenschutz, in der Spezialchemie (Performance Products) muss Bock noch jede Menge Aufräumarbeiten erledigen. Nur bei Chemikalien und Industrieprodukten läuft es einigermaßen rund.
Wegen der trüberen Konjunkturaussichten insbesondere in Europa hat Bock seine mittelfristige Gewinnprognose gekappt: 2015 sollen statt einem geplanten Betriebsgewinn (Ebitda) von 14 Milliarden Euro nun zehn bis zwölf Milliarden anfallen.
Das wäre zwar immer noch ansehnlich. Doch die Aussichten verdüstern sich zusehends. Die Rahmenbedingungen waren für den Globalisierungsgiganten schon mal deutlich besser: Wichtige Länder wie China und Brasilien wachsen nicht mehr so stark. Russland und Nordafrika, wo BASF ebenfalls stark engagiert ist, sind politisch schwierig zu kalkulieren.
Das sind die Fehler von BASF
Die widrigen globalen Umstände sind jedoch nicht die einzige Ursache für die aktuellen Schwierigkeiten. Viele Fehler haben sich die BASF-Top-Manager auch selbst zuzuschreiben.
Fehler Nr. 1: Pharmageschäft komplett verkauft
Die BASF-Aktie schwächelt seit Anfang 2014 nicht nur im Vergleich zum Deutschen Aktienindex, sondern auch gegenüber dem Rivalen Bayer (siehe Grafik Seite 50). Während Bayer-Chef Marijn Dekkers mit immer neuen Erfolgen im Medikamentengeschäft seine Aktionäre begeistert, muss sein BASF-Pendant Bock hier passen. Denn BASF hat das Pharmageschäft, weil angeblich zu klein, schon vor mehr als zehn Jahren an den US-Konzern Abbvie verkauft. Der feiert inzwischen mit dem von BASF entwickelten Rheumamedikament Humira großartige Erfolge: Der Kassenschlager erzielt mittlerweile einen Jahresumsatz von rund zehn Milliarden Dollar – und einen Gewinn von drei Milliarden Dollar.
Fehler Nr. 2: Zu stark in Risikoreiche Regionen investiert
Rund 80 Prozent ihrer Öl- und Gasexplorationen unternimmt BASF in politisch und wirtschaftlich instabilen Ländern: Neben Russland sind dies vor allem Libyen und Argentinien.
„BASF hat sich trotz des Schiefergasbooms in den USA in den vergangenen Jahren zu sehr auf Russland konzentriert“, kritisiert Karl Martin Schellerer, Chemieexperte bei der Beratung Dr. Wieselhuber & Partner in München. 53 Prozent des Fördervolumens entfallen auf Russland.
Im vom Bürgerkrieg zerstörten Libyen hat die BASF erst vor wenigen Monaten die Ölförderung wieder aufgenommen. Der Ausstoß liegt bei nur etwa 35 000 Barrel pro Tag – vor dem Sturz Gaddafis waren es 100 000. Seitdem nun auch noch die islamistische Terrormiliz „IS“ in das nordafrikanische Land vorgedrungen ist und von ägyptischen und libyschen Fliegern bombardiert wird, hat sich die Bedrohung verschärft.
Auch in Argentinien verschlechtern sich die Bedingungen. Die Öl- und Gastochter Wintershall ist dort der viertgrößte Gasproduzent. Allerdings kann Wintershall aus dem chronisch überschuldeten Land mit seinen Kapitalverkehrskontrollen und Importverboten nur sehr beschränkt Gewinne nach Ludwigshafen überweisen.
Die Präsenz in Argentinien, wo wichtige Gasreserven lagern, will die BASF dennoch „verstärken“ – auch wenn es, wie Bock mit feiner Ironie anmerkt, „in der letzten Zeit dort eine gewisse Volatilität gegeben hat, um es vorsichtig auszudrücken“.
Zu den wenigen Ländern mit geringem Förderrisiko zählt Norwegen. Entsprechend hat die BASF im vergangenen Herbst 1,3 Milliarden Dollar an den norwegischen Statoil-Konzern gezahlt, um sich auf dessen Öl- und Gasfeldern einzukaufen und so die Abhängigkeit von Russland und Libyen zu reduzieren.
Fehler Nr. 3: Zu starke Abhängigkeit vom Ölpreis
Eigentlich will die BASF ihr Geschäft mit konjunkturanfälligen Standardprodukten reduzieren. Doch den Bereich Öl und Gas haben die Ludwigshafener in den vergangenen Jahren stark ausgebaut – und sind damit anfälliger für Schwankungen des Ölpreises geworden.
Das schlägt auf die Zahlen durch. Ursprünglich hatten die BASF-Manager für 2014 mit einem durchschnittlichen Preis von 110 US-Dollar je Fass (Barrel) kalkuliert. Vor allem im vierten Quartal rauschte der Ölpreis in die Tiefe, aktuell liegt er bei 60 Dollar. Für die Bilanz heißt das: Fällt der Ölpreis um einen Dollar pro Barrel, bedeutet dies 40 Millionen Euro weniger Umsatz und 15 Millionen Euro weniger Gewinn vor Zinsen und Steuern.
Schon in der Bilanz 2014 dürften erste Bremsspuren erkennbar sein, die Auswirkungen auf das laufende Geschäftsjahr hängen logischerweise davon ab, ob der Ölpreis niedrig bleibt.
Zwar hilft dies der BASF anderswo: Bei vielen Chemieprodukten muss der Konzern weniger fürs Öl bezahlen – und kann entsprechend seine Marge steigern. Doch insgesamt hat sich die Freude am Geschäft mit Öl und Gas im Konzern spürbar vermindert. Inzwischen ist es sogar denkbar, die Sparte zum Verkauf zu stellen – etwa, um einen großen Zukauf zu finanzieren.
Die Geschichte von BASF
Friedrich Engelhorn gründet die Badische Anilin- & Soda-Fabrik, Kapital: 1400 Aktien zu je 1000 Gulden. 1886 notiert die Aktie in Frankfurt bei 2380,25.
BASF fusioniert mit Hoechst, Bayer und anderen zur Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG (IG Farben).
Wegen der Kriegsverbrechen der Nazis wird IG Farben zwangsverwaltet, die Aktie gibt es nur schwarz für 200 DM.
IG Farben kommt zu 122 DM an die Börse , fällt auf 97. Die BASF-Aktie entsteht neu, als die IG Farben entflochten wird, und schließt Ende 1953 bei 125 DM.
BASF notiert, bereinigt und umgerechnet, sodass sie mit dem heutigen Kurs vergleichbar ist, bei 3,90 Euro. Bis Ende 1999 steigt der Kurs auf 26 Euro.
Im Krisenjahr fällt die BASF-Aktie von 50 auf unter 20 Euro. Im Juni 2014 notiert sie ihr Allzeithoch bei 87 Euro.
Fehler Nr. 4: Zu wenig Innovation beim Pflanzenschutz
In den ersten neun Monaten 2014 sank der operative Gewinn des BASF-Landwirtschaftgeschäfts um zwölf Prozent auf 1,1 Milliarden Euro – bei stagnierenden Erlösen in Höhe von 4,3 Milliarden Euro. Derweil eilt Bayer im Pflanzenschutzgeschäft von Rekord zu Rekord: Umsatz und Gewinn stiegen in den ersten neun Monaten 2014 um sechs beziehungsweise fünf Prozent.
„Beim Pflanzenschutz ist BASF gegenüber Bayer zurückgefallen“, bestätigt Lutz Grüten, Analyst bei der Commerzbank. „Im Pflanzenschutz hat Bayer in jüngster Zeit einfach vieles richtig gemacht, gute Produkte, etwa gegen Pilzinfektionen bei Obst- und Gemüsesorten, entwickelt und die Führungsmannschaft runderneuert.“ Dagegen hapere es bei BASF bislang bei Innovationen, sagen Branchenbeobachter.
„Bayer profitiert – anders als BASF – zusätzlich vom Saatgutgeschäft“, nennt Warburg-Analyst Oliver Schwarz einen weiteren Vorteil der Leverkusener. „Wer, wie BASF, fast nur Pflanzenschutzmittel verkauft, hängt stärker vom Wetter ab. Das Saatgutgeschäft ist dagegen weniger schwankungsanfällig.“
Um beim Saatgut aufzuholen, hat BASF bereits vor Jahren eine Entwicklungskooperation mit dem amerikanischen Unternehmen Monsanto gestartet. Bislang ist dabei allerdings nur ein konkretes Produkt zustande gekommen – ein dürreresistenter Mais, der auch bislang nur in den USA erhältlich ist.
Wo BASF noch Probleme hat
Fehler Nr. 5: Zu viele Fehlkäufe bei der Spezialchemie
Unter dem Label Performance Products hat die BASF etliche Spezialchemikalien zusammengefasst: Substanzen für die Lebensmittel- und Futtermittelbranche, Inhaltsstoffe für Medikamente und Kosmetik, Pigmente, Aromen, Duftstoffe sowie Chemikalien für den Bergbau und zur Papierverarbeitung.
Insgesamt steht die Sparte gut da – Performance Products tragen jeweils gut 20 Prozent zum Konzernumsatz und -gewinn bei. Doch haben sich bei dem schnellen, bisweilen unkoordinierten Wachstum neben Umsatzbringern wie Nahrungsmittelzusätzen oder Pharmaingredienzien auch etliche Problemfälle angesammelt.
Seit Jahren gelten etwa die Papierchemikalien mit ihren hohen Produktions- und Verwaltungskosten als Sorgenkind im Konzern. Ein Großteil des Geschäfts kam 2008 durch die Akquisition des Schweizer Chemieunternehmens Ciba hinzu. Der Zukauf für 3,8 Milliarden Euro gilt BASF-intern mittlerweile als zu teurer Fehlkauf.
Des Weiteren steht das Vitamingeschäft unter erheblichem Margendruck, weil vor allem asiatische Wettbewerber den Markt aufmischen.
Insgesamt gleicht der Bereich einer chaotischen Großbaustelle: Ständig werden bei Performance Products irgendwo Anlagen geschlossen, Jobs gestrichen und Geschäftsteile abgegeben. Die Textilchemikalien sind bereits an die Schweizer Archroma verkauft. Seit Anfang 2015 fallen einige Hundert Stellen bei Papierchemikalien weg, bis Mitte des Jahres sollen auch die Umbauarbeiten bei den Wasch- und Reinigungsmittelchemikalien abgeschlossen sein. Das Umbauprogramm – mit entsprechend verbesserter Profitabilität – soll erst 2017 abgeschlossen sein.
Fehler Nr. 6: Wo bleibt die Strategie?
Hinter vorgehaltener Hand lästern Führungskräfte darüber, dass der BASF unter Bock die Richtung abhandengekommen sei. Bei Strategiemeetings interessiere sich der Vormann vor allem für Details, nicht für die große Linie. Auch bei Zukäufen wünschen sich manche mehr Entschlossenheit. „Doch wenn der Controller der CEO ist, wird das schon mal zum Problem“, spottet ein BASF-Insider. Vor seinem Aufstieg an die Spitze amtierte Bock als BASF-Finanzvorstand.
Das Verhältnis zwischen Bock und seinem Vorgänger und jetzigem Aufsichtsratschef Jürgen Hambrecht gilt als eher unterkühlt; beide verlieren jedoch kein böses Wort übereinander. „Man arrangiert sich, das Interesse des Unternehmens steht über allem“, sagt ein Kenner der Ludwigshafener Verhältnisse.
Erfahrungen wie der überteuerte Kauf von Ciba dürften Konzernlenker Bock bislang bewogen haben, vor allem auf organisches Wachstum zu setzen. Im Gegensatz zu Hambrecht, der neben der zu teuren Ciba auch die erfolgreichen Käufe des US-Katalysatorenherstellers Engelhard und des deutschen Spezialchemiekonzerns Cognis verantwortete, zeigte sich Bock bislang als wenig akquisitionsfreudig.
Mittlerweile soll jedoch auch bei Bock die Zukaufneigung gewachsen sein, heißt es im Unternehmen. Schließlich wird es für BASF immer schwieriger, aus dem organischen Wachstum ein ordentliches Gewinnplus abzuleiten.
„Verstärkungen sind vor allem im Bereich Öl und Gas und im Spezialchemiegeschäft denkbar, da kann BASF noch zulegen“, sagt Warburg-Analyst Schwarz. „Im Bereich Pflanzenschutz dürften große Übernahmen eher schwierig werden, da es dort nur wenige große Wettbewerber gibt.“
„Gut zu BASF passen würde die holländische DSM“, sagt ein Fusionsberater. Die Niederländer haben bei Vitaminen und Nahrungsmittelzusätzen eine starke Marktposition und könnten damit das schwache BASF-Vitamingeschäft gut ergänzen. Auch der britische Chemiespezialist Croda sowie der deutsche Aromenhersteller Symrise aus Holzminden im Weserbergland dürften – aufgrund ihrer margenstarken Spezialchemiegeschäfte – auf der Beobachtungsliste stehen.
An der Finanzierung dürfte keines der Projekte scheitern. Analyst Schwarz: „Die Zinsen sind niedrig, BASF verfügt über ein hervorragendes Rating und könnte locker zehn Milliarden Euro aufbringen.“