Treffen Feuchtigkeit und Sauerstoff über einen langen Zeitraum auf Stahl, entsteht Rost. Zu besichtigen ist das an jeder Fahrradkette, besonders eindrucksvoll aber an einem Industrieareal direkt am Rhein in Ludwigshafen. Bereits seit 1865 produziert der Chemiekonzern BASF hier, einige Anlagen gibt es bereit seit dieser Zeit. Und so dominiert auf dem Areal eine Farbe: Rostrot. Eine Anlage aber glänzt noch silbern in der Sonne: Die Fabrik zur Herstellung der Chemikalie TDI, aus der vor allem Weichschäume zur Produktion von Matratzen entstehen. BASF nahm die Anlage im Jahr 2015 in Betrieb – in Chemiefabrik-Jahren ist sie also nagelneu.
Und doch steht ihr Ende nun kurz bevor. Man werde die Anlage schließen, zu gering sei die Nachfrage in Europa, dem Nahen Osten und in Afrika. „Das wird sich auch nicht ändern“, verkündete Martin Brudermüller im Februar bei der Bilanzpressekonferenz. Zudem wirke sich das aktuelle und zu erwartende Kostenumfeld in Europa nachteilig auf die TDI-Produktion aus. Es ist eine teure Kurskorrektur. Mit einer Investitionssumme von über eine Milliarde Euro handelte es sich bei der Anlage um die bisher größte Einzelinvestition am Standort.
Damit bleiben nur noch zwei europäische TDI-Produzenten übrig: Der ungarische Hersteller Borsodchem und der deutsche BASF-Konkurrent Covestro. Der gilt als weltweit größter Anbieter auf dem Gebiet. Über eine geringe Nachfrage klagt zwar auch Covestro-Chef Markus Steilemann. In seiner Prognose aber unterscheidet er sich deutlich von BASF-Chef Brudermüller: „Die Historie zeigt, dass nach einer tiefen Krise immer ein sehr starkes und steiles Wachstum stattfindet“. Eine Erholung der Nachfrage hält Steilemann deshalb für wahrscheinlich, die Frage sei nur, wann diese einsetze.
Bis es so weit ist, will der Manager an der TDI-Produktion in Dormagen festhalten – und fährt somit die gegenteilige Strategie von BASF. Trotz hoher Energiepreise sei das Geschäft im letzten Jahr bis auf einige wenige Ausnahmen wettbewerbsfähig gegenüber Anbietern aus Asien und den USA geblieben – dank hoher Energieeffizienz durch patentgeschützte Technologie.
Offen bleibt die Frage, wer hier richtig handelt. Experten sind sich zumindest bei einem einig: Die Entscheidung der BASF ist für das Unternehmen alternativlos – aufgrund eigener Fehler in der Vergangenheit. Das könnte neue Chancen für Covestro bieten.
Ein Ende mit Schrecken
Die von BASF genannte Begründung für die Schließung halten Branchenkenner für eine Ausrede. Zu ihnen zählt auch Markus Mayer, Analyst bei der Baader Bank: „Die BASF handelt nach dem Muster: Lasse keine Krise ungenutzt.“ Die BASF nutze die aktuelle Situation, um die Anlage zu schließen, bei der „wie soll ich das freundlich formulieren? Von Anfang an der Wurm drin war“, sagt Mayer.
Dem stimmt auch Fondsmanager Arne Rautenberg von Union Investment zu: „Die TDI-Anlage ist wahrscheinlich das schlechteste, was die BASF jemals in ihrer Firmengeschichte gemacht hat.“ Dass die TDI-Anlage nicht funktioniert habe, liege nicht an der fehlenden Nachfrage, sondern an der BASF selbst. „Dem wurde ein Ende mit Schrecken gesetzt, um zu verhindern, dass daraus ein Schrecken ohne Ende wird“, urteilt Rautenberg.
Die BASF nämlich hat beim Bau ihrer TDI-Anlage stark auf externe Firmen und weniger auf eigene Ingenieure gesetzt. Das scheint dem Konzern zum Verhängnis geworden zu sein. Die Anlage wurde mit mehreren Jahren Verzögerungen in Betrieb genommen und kämpft seither immer wieder mit technischen Problemen. Zwischenzeitlich musste die Fabrik deshalb ganz abgestellt werden.
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Auch wenn die TDI-Fabrik wohl nur selten ausgelastet war: Kapazitäten von grundsätzlich 300.000 Tonnen TDI im Jahr fallen jetzt endgültig weg. Die BASF will die europäischen Kunden künftig statt aus Ludwigshafen aus Amerika, China und Korea beliefern. Dort will der Konzern weiter TDI produzieren und die Anlagenauslastung verbessern. Hierfür könne man auf eine „bewährte Logistikstruktur“ zurückgreifen, teilte das Unternehmen mit. Doch auch daran zweifeln die Experten: „Um ihre TDI-Kunden vollständig weiter zu beliefern, fehlen dem Unternehmen die logistischen Möglichkeiten“, sagt Analyst Mayer. Zudem verliere TDI bei einer längeren Lagerung an Qualität. Vielen Kunden dürften angesichts dessen zur Konkurrenz wechseln.
Wie sich die veränderte Angebotssituation auf den Markt auswirken könnte, lässt sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit herleiten: Während sich der Bau der TDI-Anlage der BASF verzögerte, erlebte der TDI-Markt einen ungewöhnlichen Boom mit rund 60 Prozent Preissteigerung innerhalb weniger Monate. Die konkurrierenden Hersteller konnten damals Margen von bis zu 50 Prozent erzielen. Sofern Steilemanns Wette auf die sich erholende Nachfrage nach der Krise aufgeht, könnte sich dieses Szenario wiederholen. Wenn dann noch Probleme bei einer anderen Anlage dazu kämen, „dann dürften die Margen der Covestro so richtig nach oben schießen“, sagt Mayer. „Die Covestro wird von der Entscheidung der BASF ganz sicher profitieren, nur wann, das weiß man noch nicht.“
Risiken für Covestro gibt es dennoch. Marktchancen im Geschäft mit der Chemikalie für die Herstellung von Matratzen scheint derzeit nämlich auch der chinesische Konkurrent zu wittern. Vor einigen Wochen erst übernahm der chinesische TDI-Hersteller Wanhua seinen Wettbewerber Yantai Juli. Mit dem Deal steigt der Weltmarktanteil des chinesischen Chemiekonzerns im Geschäft mit TDI massiv an. Noch dazu hat die chinesische Regierung den Deal an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Eine davon ist, dass Wanhua sein TDI in den kommenden Jahren zu einem gedeckelten Preis verkaufen muss. Bei hoher Nachfrage könnten internationale Wettbewerber wie Covestro von dieser Regelung profitieren. Noch gibt es für eine solche keine Anzeichen: Solange werden die Konkurrenten bei dem Unterbietungswettlauf wohl oder übel mitgehen müssen.
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