Dass sich die Probleme in der Bundeswehr häufen, ist kaum zu leugnen. Sie haben sich über Jahre und Jahrzehnte aufgetürmt, beginnen schon bei den Kasernen. Etwa die Hälfte aller Bundeswehr-Unterkünfte hat Mängel, sechs Prozent seien sogar unbewohnbar, heißt es im jüngsten Bericht des Wehrbeauftragten aus dem Januar.
Wie desolat die Lage beim Material der Bundeswehr ist, zeigte sich im Herbst vergangenen Jahres. Ein Bericht der Bundeswehr legte offen, dass große Teile an Fahrzeugen und Fluggeräten nicht einsatzbereit sind und es allerorten an Ersatzteilen mangelt. Geändert hat sich daran bis heute wenig.
Braucht die Bundeswehr mehr Geld?
Die Bundesregierung hat bisher nicht vor, die Finanzmittel für die Bundeswehr wesentlich aufzustocken. Im Haushaltsplan für 2015 gehört der Verteidigungsetat zu den wenigen Posten, bei denen gekürzt wurde - wenn auch nur um 0,5 Prozent. Bis 2018 ist eine leichte Steigerung von 32,3 auf 36,86 Milliarden Euro vorgesehen. Angesichts der Ausrüstungslücken bei der Bundeswehr wird jetzt der Ruf nach einer deutlich stärkeren Erhöhung lauter. Was spricht dafür und was dagegen?
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Deutschland will mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Bei den Verteidigungsausgaben liegt es aber weit hinter den wichtigsten Nato-Partnern zurück. Während der Bundesregierung Armee und Ausrüstung nur 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wert sind, investieren die USA 4,4 Prozent in ihr Militär, Großbritannien 2,4 Prozent und Frankreich 1,9 Prozent. Erklärtes Nato-Ziel ist es, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. Das bekräftigte das Bündnis auch bei seinem Gipfeltreffen in Wales Anfang September - mit dem Einverständnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Zumindest bei der Beschaffung von Ersatzteilen gibt es eine Finanzlücke. Die Mittel dafür wurden 2010 gekürzt. Militärs beklagen, dass die Bundeswehr heute noch darunter zu leiden hat.
Auf die Bundeswehr kommen immer wieder neue Aufgaben hinzu. Die Nato will ihre Reaktionsfähigkeit im Krisenfall verbessern. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus wird möglicherweise noch Jahre dauern. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat den Vereinten Nationen auch ein stärkeres Engagement Deutschlands bei Blauhelmeinsätzen in Aussicht gestellt. Das alles geht nicht ohne modernes, robustes und gut gepflegtes Material.
Die Bundeswehrreform wurde nach dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ entworfen. Das heißt: Die Truppe soll alles können und braucht dafür in jedem Bereich die entsprechende Ausrüstung. Das kostet. Bleibt man bei diesem Prinzip, muss auch Geld dafür zur Verfügung gestellt werden.
Das Rüstungsproblem der Bundeswehr ist nicht in erster Linie ein finanzielles Problem, sondern ein Managementproblem. Das macht sich schon daran bemerkbar, dass im vergangenen Jahr insgesamt 1,5 Milliarden Euro des Verteidigungsetats gar nicht ausgeschöpft wurden.
Das Prinzip „Breite vor Tiefe“ widerspricht den Bestrebungen von Nato und EU, innerhalb der Bündnisse Aufgaben zu teilen. Diese Bemühungen kommen bisher allerdings nur schleppend voran. Man könnte sich stärker dafür einsetzen, um zu einem effizienteren Rüstungssektor zu kommen.
Je mehr verschiedene Militärgeräte es gibt und je geringer die Stückzahlen, desto größer ist auch der Wartungs-, Instandhaltungs- und Ausbildungsaufwand. Deswegen könnte eine stärkere Spezialisierung der Bundeswehr Kosten sparen.
Bei der Beschaffung neuer Rüstungsgüter kommt es regelmäßig zu Verzögerungen und Kostensteigerungen, denen man durch ein besseres Vertragsmanagement entgegenwirken kann. Nur einige Beispiele: Der Kampfhubschrauber „Tiger“ sollte im Dezember 2002 ausgeliefert werden. Daraus wurde Juli 2010. Auf den Transporthubschrauber NH90 musste die Bundeswehr sogar neun Jahre länger warten als ursprünglich vorgesehen. Die Kosten für die Fregatte 125 haben sich im Laufe der Entwicklung von 656 Millionen auf 758 Millionen Euro erhöht. Der Preis für ein Transportflugzeug A400M stieg wegen einer nachträglichen Reduzierung der Stückzahl von 124,79 auf 175,31 Millionen Euro.
Nach eingehender Prüfung haben externe Experten der Bundeswehr ein miserables Zeugnis beim Umgang mit ihren großen Rüstungsprojekten wie dem Transportflieger A400M ausgestellt. Sie kosten Milliarden mehr als geplant und werden dennoch nicht fristgerecht ausgeliefert.
Anekdoten wie ein Nato-Manöver im Februar, bei dem Bundeswehr-Soldaten offenbar mit schwarz angestrichenen Besenstielen statt Waffenrohren auf ihren gepanzerten Fahrzeuge ins Scheingefecht zogen, leisten ihr übrigens, um am Ruf der Truppe zu kratzen.
Zugleich zeichnet sich ein gravierendes Personal-Problem für die Bundeswehr ab. Den Kampf um die besten und klügsten Köpfe verliert die Armee gegen die freie Wirtschaft. Das hat gravierende Folgen: Gerade einmal zwei der vier U-Boote der Marine sind derzeit einsatzbereit, weil für die übrigen die nötigen Fachkräfte fehlen. Die Abschaffung der Wehrpflicht hat die Situation noch verschärft. Deutschlands Armee verliert zunehmend den Kontakt zur Zivilbevölkerung.
Weißbuch der Bundeswehr
Auf all diese Probleme reagierte das Verteidigungsministerium im vergangenen Jahr mit einem Paket an Maßnahmen: Solderhöhungen, Bundeswehr-Kitas und Flachbildschirme auf den Stuben sollen die Bundeswehr attraktiver machen, Untersuchungen und Prüfberichte die Versäumnisse der Vergangenheit aufdecken. Auf die Mängel an den Kasernen reagierte von der Leyen mit dem Versprechen, Millionen für die Renovierung bereitzustellen.
Doch wieder seien es vor allem Maßnahmen, die die Verteidigungsministerin kurzfristig in einem guten Licht erscheinen lassen, aber in Wahrheit wenig Einfluss darauf haben, wie die Bundeswehr in Zukunft aufgestellt ist, sagen Kritiker. Es werde nur verwaltet. Eine energische Entscheidung fehle.
Wie wichtig die richtige Strategie und Ausrichtung der deutschen Armee ist, zeigt der Fall G36 im Kleinen. Neue Aufgaben erfordern eine angepasste Ausrüstung genauso wie eine neu ausgerichtete Armee.
Immerhin: Die Grundlage für die künftige Ausrichtung der Armee soll ein neues Bundeswehr-Weißbuch legen, das das zehn Jahre alte aktuelle strategische Grundlagendokument der deutschen Sicherheitspolitik ablösen wird. Es soll die Rolle der Bundeswehr in Zeiten von Ebola-Einsatz, der Bedrohung durch den Islamischen Staat und der Russland-Ukraine-Krise neu verorten.
An der Entwicklung der strategischen Grundlagen arbeitet das Verteidigungsministerium nicht allein, sondern in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt, anderen Ministerien und externen Experten und Instituten.
Für Befürworter ist das der richtige Weg, gemeinsam eine Debatte anzustoßen. Skeptiker befürchten, dass durch die Beteiligung nur ein lauwarmer Konsens herauskommt. 2016 soll das neue Weißbuch vorgestellt werden. Pünktlich zum Auftakt des Wahlkampfes für die Bundestagswahl 2017.