
Hunderttausende wurden an ihr ausgebildet. Tausende haben sie im Einsatz getragen. Im Balkan, am Horn von Afrika und in Afghanistan. Die meisten, ohne jemals auf einen Menschen schießen zu müssen.
Seit 1995 hat die Waffenschmiede Heckler & Koch 178.000 Sturmgewehre des Typs G36 an die Bundeswehr ausgeliefert. Doch die Standardwaffe der Bundeswehr ist in Verruf geraten. Das Verteidigungsministerium weist unter Berufung auf einen Prüfbericht auf offenbar gravierende Mängel hin: Wird das Gewehr durch Sonneneinstrahlung oder Dauerfeuer zu heiß, schießt es daneben. Das passiert bei allen Waffen, doch der Streukreis des G36 soll auf lange Distanz besonders breit, die Hitzeanfälligkeit also besonders hoch sein.
Die Debatte um das G36
Das Sturmgewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr. Der Hersteller, das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, hat nach eigenen Angaben 178.000 Gewehre des Typs G36 an die deutsche Armee verkauft. Der Preis: Mehr als 180 Millionen Euro. Das Gewehr zeichnet sich nach Angabe der Bundeswehr durch „seine einfache Bauweise aus, sämtliche Hauptbaugruppen sind mit nur drei Haltebolzen am Waffengehäuse befestigt.“
Quellen: Bundeswehr, Unternehmen, dpa
Das G36 wiegt 3,63 kg und verfügt über ein Zielfernrohr sowie ein Reflexvisier. Es handelt sich um einen automatischen Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Mit dem Gewehr können sowohl einzelne Schüsse als auch Feuerstöße abgegeben werden.
Das G36 löste das G3 ab, das sich seit 1959 im Einsatz bei der Bundeswehr befindet. Bei dem G3 handelt es sich um eine schwerere Waffe im größeren Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Ende März 2015 hat die Bundeswehr Probleme bei der Treffsicherheit des G36 eingeräumt. „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen aber auch im heißgeschossenen Zustand“, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In den Jahren zuvor hatte es mehrere widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36 gegeben. Unter anderem war die Munition für Ungenauigkeiten verantwortlichgemacht worden. Daraufhin hatte von der Leyen im Frühsommer 2014 eine Expertenkommission mit Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts eingesetzt, um Klarheit zu schaffen. Der Abschlussbericht stand zum Zeitpunkt der Äußerungen noch aus.
Das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch wird nicht nur von der Bundeswehr verwendet, sondern auch von Armeen anderer Staaten. In Lettland, Litauen und Spanien ist die Waffe nach Angaben der Bundeswehr ebenfalls als Standardgewehr der Armee im Einsatz. Verwendet wird das G36 zudem von Spezialeinheiten in Jordanien, Norwegen und Mexiko. Aus Bundeswehr-Beständen sind kürzlich G36-Sturmgewehre an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nord-Irak geliefert worden. Die Kurden sollen damit gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpfen.
Im spanischen La Coruña wurde das G36 in Lizenz von General Dynamics Santa Bárbara Sistemas hergestellt. 2008 erteilte die Bundesregierung außerdem eine Genehmigung zur Ausfuhr von Technologie für die Herstellung des Gewehrs in Saudi-Arabien. Diese Genehmigung sieht allerdings nach Angaben der Regierung nur eine Produktion für den Eigenbedarf der saudischen Sicherheitskräfte vor und keine autonome Fertigung ohne Zulieferung von Schlüsselkomponenten aus Deutschland.
Wie weit die Schüsse vom Ziel abweichen, ist dabei allerdings nicht ganz klar. Auch eine Antwort auf die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Vorgaben die Tests durchgeführt wurden, steht noch aus. Der Abschlussbericht einer monatelangen Untersuchung von Bundeswehr, Bundesrechnungshof und dem Frauenhofer Institut soll erst Mitte April vorliegen.
Das öffentliche Urteil scheint derweil schon festzustehen. Es fällt vernichtend aus. Ein vermeintlich fehlerhaftes G36 passt perfekt in die Reihe der Rüstungsdebakel bei der Bundeswehr. Flugzeuge, die nicht geliefert werden, Drohnen, die nicht fliegen dürfen, Helikopter, die nicht abheben können. Und jetzt eben Gewehre, die nicht treffen.
"Das Ministerium kauft jeden Ramsch"
Ein gefundenes Fressen für alle, die die Bundeswehr für unfähig halten und als Spielball der Rüstungskonzerne sehen. Linken-Chef Bernd Riexinger etwa wettert: „Scheinbar kauft das Verteidigungsministerium der Rüstungsindustrie, deren Geschäft der Tod ist, jeden Ramsch ab.“





Anders als die bisherigen Rüstungspannen stößt die Kritik am Sturmgewehr bei vielen Soldaten jedoch auf Unverständnis. „Das G36 ist unserer geringstes Problem“, sagt ein Offizier des Heeres.
In den Augen vieler geht die G36-Debatte am Thema vorbei. Im Zentrum dürfe nicht die Frage stehen, ob das Gewehr gut oder schlecht sei. Man müsse aber überlegen, ob für neue Aufgaben der Bundeswehr auch andere Waffen nötig seien.
„Diejenigen, die wirklich in den Kampf müssen, brauchen vielleicht einen anderen Mix an Waffen“, glaubt auch Heinz Schulte, Chefredakteur des Branchendienstes Griephan. Für die Mehrzahl der Soldaten aber sei das G36 ein absolut adäquates Gewehr.
Finanziell wäre die Anschaffung neuer Sturmgewehre vermutlich stemmbar: Für alle 178.000 G36 zusammen hat die Bundeswehr rund 180 Millionen Euro an Heckler & Koch gezahlt. Die Anschaffung neuer Waffen zu einem ähnlichen Stückpreis wäre damit gemessen an den Ausgaben für andere Rüstungsprojekte gering.
Plastik statt Metall
Unumstritten ist das Sturmgewehr in der Truppe dabei längst nicht. Konzipiert wurde es für den Einsatz in gemäßigtem Klima. Nach Darstellung der Bundeswehr zeichnet es sich durch seine einfache Bauweise und die leichte Handhabung aus. Um das Gewicht zu reduzieren, wurde – auf Wunsch - viel Plastik statt Metall verbaut.
Das Kaliber des G36 ist kleiner als beim Vorgänger G3. Der Waffe fehlt deshalb die nötige Durchschlagskraft, klagten manche Soldaten in Afghanistan – und griffen bei Kampfeinsätzen auf die alte Bewaffnung zurück. Dafür kann das G36 aber nichts, sagt Schulte. „Wenn man einen Maserati kauft, darf man sich doch nicht wundern, dass man damit kein Klavier transportieren kann.“
Die heißen Eisen unter den Rüstungsprojekten der Bundeswehr
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich zum Ziel gesetzt, im Rüstungssektor der Bundeswehr aufzuräumen. Jahrelange Verzögerungen und Kostensteigerungen im mehrstelligen Millionenbereich soll es künftig nicht mehr geben. An diesem Donnerstag lässt sich die Ministerin bei einer Sitzung des Rüstungsboards über den aktuellen Stand bei einigen Großprojekten informieren. Hier fünf der heißesten Eisen unter den 1200 Rüstungsprojekten der Bundeswehr.
Die in absehbarer Zeit wichtigste, teuerste und heikelste Entscheidung will von der Leyen bis Mitte des Jahres treffen. Die Bundeswehr soll ein neues Raketenabwehrsystem erhalten. Zur Auswahl stehen „Meads“ – eine internationale Entwicklung unter Beteiligung der deutschen Raketenschmiede MBDA – und eine neue „Patriot“-Version des US-Herstellers Raytheon. In die Entwicklung von Meads floss bereits eine Milliarde Euro deutscher Steuergelder. Die Anschaffung würde mehrere weitere Milliarden kosten.
Die Aufklärungsdrohne hätte von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) fast das Amt gekostet. Wegen massiver Probleme bei der Zulassung des unbemannten Fliegers für den deutschen Luftraum und einer drohenden Kostenexplosion wurde die Entwicklung im Frühjahr 2013 gestoppt. Seitdem wird nach einem anderen Flugzeug gesucht, in das die von Airbus stammende Aufklärungstechnik eingebaut werden kann. Derzeitiger Favorit: Eine Schwester-Drohne des „Euro Hawk“ namens „Triton“.
Von der Leyen will die Bundeswehr mit bewaffnungsfähigen Drohnen ausrüsten. Zur Auswahl stehen eine US-Drohne, die „Reaper“ (Sensenmann) oder „Predator B“ (Raubtier) genannt wird, und „Heron TP“ (Reiher) aus Israel. Die Entscheidung wird noch vor Ende des Jahres erwartet.
Mit vier Jahren Verspätung lieferte Airbus Mitte Dezember das erste Transportflugzeug vom Typ A400M an die Bundeswehr aus. Das bedeutet aber noch nicht das Ende der Verzögerungen. Wieviele der fünf für dieses Jahr versprochenen Maschinen tatsächlich am niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf landen werden, ist noch völlig unklar. Der A400M bleibt ein Problemfall.
Auch mit kleineren Waffen gibt es große Probleme. Seit vielen Monaten wird über die Treffsicherheit des Standardgewehrs der Bundeswehr G36 diskutiert. Große Hitze verträgt die Waffe nicht besonders gut. Ein neuer Prüfbericht soll in den nächsten Wochen Klarheit darüber bringen, wie gravierend das Problem ist.
Auf deutschen Truppenübungsplätzen etwa funktioniert das Gewehr einwandfrei, auch nach dem Einsatz in der Balkanregion gab es keine Beschwerden der Soldaten. Daran, dass es einmal im heißen, staubigen Afghanistan dauerschießen muss, hat bei der Bestellung niemand gedacht. Bis heute ist das auch nicht die zentrale Aufgabe des Gewehres. „Die Szenarien, in denen das G36 eingesetzt werden soll, sehen ununterbrochenes Dauerfeuer eigentlich nicht vor“, sagt einer, der Truppenmitglieder auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet. Einzelschüsse und kurze Feuerstöße, häufig auf Ziele in mittlerer Entfernung – dafür werden die Soldaten weitgehend ausgebildet.