Bauteile von Atomkraftwerken möglicherweise defekt Skandal um gefälschte Unterlagen erschüttert Areva

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Radioaktives Wasser könnte entweichen


Doch mittlerweile hat sich viel verändert. Areva hat im letzten Jahr zwei Milliarden Euro Verlust ausweisen müssen, unter anderem eine Folge der völlig verfehlten Uranminen-Käufe durch die frühere Chefin Anne Lauvergeon. Um das Unternehmen zu retten, bestand der Staat darauf, dass die gesamten Reaktoraktivitäten vom staatlichen Versorger EDF übernommen werden. Der wehrte sich zwar dagegen, weil er zwei Milliarden Euro aus eigener Kasse zahlen muss, hat aber keine Chance gegen den Willen des Wirtschaftsministers Emmanuel Macron. EDF zögert nun jedoch die Entscheidung über den Neubau in Hinkley Point hinaus: Nach der Übernahme von Areva müsste das Risiko von 17 Milliarden Euro voll auf die eigene Bilanz genommen werden.

Die Unregelmäßigkeiten im Schmiedewerk sind durch eine Überprüfung bekannt geworden, die Areva in Auftrag gegeben hatte. Es wird von internen Kräften und von der britischen Firma Lloyds Register Apave durchgeführt. Llloyds soll vor allem die Prozesse für die Qualitätskontrolle innerhalb von Areva untersuchen. Ausgangspunkt des Audits sind Fehler am Boden und am Dom des Reaktordruckgefäßes, das im neuen Druckwasserreaktor in Flamanville an der Kanalküste eingebaut ist. Die Fertigstellung des Reaktors ist bereits seit Jahren überfällig.

Im vergangenen Jahr war dort festgestellt worden, dass der Stahl von Boden und Dom eine fehlerhafte Zusammensetzung aufweist. Ein Druckbehälter ist der Kern jedes Reaktors und von essenzieller Bedeutung für seine Sicherheit, da er die Brennstäbe enthält. Die Herstellung der Teile für den EPR in Flamanville hat mehrere Jahre gedauert. Ein Austausch ist entweder unrealistisch oder hätte zur Folge, dass das AKW erst Jahre später ans Netz gehen kann. Frankreichs Behörde für Nuklearsicherheit ASN hat von Areva zusätzliche Tests verlangt, bevor sie grünes Licht für die Befüllung und spätere Verwendung des fraglichen Druckgefäßes gibt. Diese Versuche laufen noch.

Areva teilte mit, dass man bis ins Jahr 1960 zurück die Unterlagen durchforsche. Jedes Dossier enthält eine exakte Beschreibung der Herstellung, von der chemischen Zusammensetzung des Stahls über jede thermische Behandlung bis zum Schmiedevorgang. Betroffen seien in mehr als der Hälfte der Fälle Bauteile für Atomreaktoren, der Rest entfalle auf Komponenten für konventionelle Kraftwerke. „Bei den nuklearen Teilen geht es um Druckbehälter, Pumpengehäuse, Pumpenringe und anderes“, sagte die Sprecherin. Atomkraftwerke weisen gewaltige, mehr als 10 Meter hohe Pumpen für den Primärkreislauf auf. Die müssen unter allen Umständen funktionieren, weil der Reaktor andernfalls nicht mehr gekühlt werden kann. Auch radioaktiv verseuchtes Wasser könnte dann austreten.

Derzeit werde noch untersucht, ob es sich bei den fehlerhaften Dossiers um Schlampereien oder um bewusste Fälschungen handele, sagt das Unternehmen. Die Untersuchungen erstreckten sich insgesamt über 10.000 einzelne Dossiers. Die Sicherheitsbehörde ASN hat noch nicht zum neuen Skandal bei Areva Stellung genommen. Der neuen Unternehmensleitung unter Philippe Varin und Philippe Knoche muss man zu Gute halten, dass sie nach Jahren des Vertuschens und der Bilanzkosmetik versucht, reinen Tisch zu machen. Die Frage ist, ob das noch rechtzeitig geschieht, um den erschütterten Nuklearriesen zu retten.

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