Bauverband warnt „Trotz hohem Bedarf muss die Baubranche womöglich bald Leute in Kurzarbeit schicken“

Ein Kran ragt über das Gerüst einer Baustelle für Büros. Quelle: imago images

Infolge des Krieges erwartet Strabag-Vorstand und Bauverbands-Präsident Peter Hübner einen massiven Stopp gewerblicher Bauprojekte. Ohne Bitumen aus der Raffinerie in Schwedt liege bald jede dritte Straßenbaustelle brach.

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WirtschaftsWoche: Herr Hübner, Unternehmen wie MAN Energy Solutions und die Flensburger Brauerei stoppen gerade die Planung neuer Logistikzentren, weil deren Kosten sich zu verdoppeln drohten. Auch Kommunen legen Baupläne auf Eis, weil die bereit gestellten Budgets bei weitem nicht mehr ausreichen. Muss sich die Bauwirtschaft auf eine Stornowelle geplanter Gewerbebauprojekte und öffentlicher Bauvorhaben einstellen?
Peter Hübner: Es wird viele weitere solcher Entscheidungen geben. Der Trend ist bereits erkennbar. Eine Welle gestoppter Bauinvestitionen kommt unweigerlich auf uns zu.

In welchem Umfang?
Die Kosten für neue Gewerbebau-Projekte dürften im Schnitt um 20 bis 30 Prozent steigen. Ich gehe davon aus, dass dadurch 30 bis 40 Prozent der vergabefähigen Projekte auf absehbare Zeit nicht realisiert werden.

Merken Sie das schon bei der Strabag?
Stornierungen vereinbarter Aufträge haben wir bei Strabag noch nicht. Aber es gibt Projekte, die on hold gestellt wurden.

Strabag-Vorstand und Bauverbands-Präsident Peter Hübner Quelle: PR, Martin Stockberg

Allein in die zwei Vorhaben in Augsburg und Flensburg wollten die beiden Unternehmen insgesamt 65 Millionen Euro investieren. Wie viel fällt insgesamt weg an Investitionsgeldern, wenn mehr als ein Drittel aller geplanten Vorhaben nicht realisiert werden?
Das summiert sich natürlich zu Milliarden-Summen, die auch zweistellig werden können. Es kommt auf viele Faktoren an, die wir jetzt nicht einschätzen können und die nicht in unserer Hand liegen: Wie lange dauert der Krieg, kommt es zum totalen Abbruch der russischen Energielieferungen? Zum Jahresende werden die Bauunternehmen den Effekt aber sicher in ihren Auftragsbüchern sehen.

Diese Bücher sind heute noch prall gefüllt. Die Strabag-Tochter Züblin etwa – die Nummer drei in der Baubranche – spricht von zwei Jahren Auslastung durch vereinbarte Aufträge. Können die noch einfach abgearbeitet werden, als gäbe es keinen Krieg, keine Energiepreisexplosion, keine Materialprobleme?
Nein. Der hohe Auftragsbestand fällt uns jetzt auf die Füße. Wir haben Verträge mit fest vereinbarten Preisen aus der Vergangenheit. Aber zu diesen Preisen wollen Spediteure nicht mehr fahren und Stahlhändler nicht mehr liefern. Fährt der Spediteur doch, hält er das nicht lange durch – daran haben auch die Bauunternehmen als Auftraggeber kein Interesse. Also wird nachverhandelt, und jeder versucht, die Mehrkosten an die Kunden weiter zu geben. Sonst müssten die Bauunternehmen die Projekte zu den festgelegten Preisen realisieren.

Also droht auch festen Aufträgen das Aus?
Im Extremfall kann das passieren.

Helfen die Preisgleitklauseln, die der Bund jetzt für seine Auftragsvergabe ermöglicht hat?
Der Erlass des Bundes wird einem Unternehmen wie Strabag mit vielen öffentlichen Aufträgen durchaus helfen. Gut ist auch, dass einige Länder und Kommunen die Preisgleitklauseln jetzt ebenfalls anwenden wollen. Im privatwirtschaftlichen Gewerbebau und beim Häuslebauer aber wird das schwieriger sein. Verträge mit offenem Kostenrahmen können etwa daran scheitern, dass Kreditgeber feste Bedingungen für die Finanzierung brauchen.

In einem Brandbrief an die Bundesregierung haben Sie geschrieben: „Eine Triage auf dem Bau und von Projekten hat bereits begonnen“. Was meinen Sie konkret damit?
Die Rechnung ist sehr einfach: Wenn zu wenig Baumaterial vorhanden ist, muss man schauen, was mit dem vorhandenen Material noch gebaut werden kann – eine Priorisierung von Projekten sozusagen. An welcher Baustelle muss unbedingt weitergearbeitet werden? Wo tut es weniger weh, wenn diese Baustelle erstmal nicht beliefert wird? Es ist eine paradoxe Situation: Trotz des hohen Bau- und Sanierungsbedarfs muss die Baubranche womöglich bald Leute in die Kurzarbeit schicken.

Was bedeutet die Kostensteigerung für den Sanierungsstau an Autobahnen und Brücken in Deutschland? Wird es nun länger dauern, diesen Stau abzubauen?
Wenn es bei den zur Verfügung stehenden Mitteln bleibt, wird das natürlich länger dauern. Laut Haushaltsentwurf investiert der Bund 2022 knapp 20 Milliarden Euro im weitesten Sinn in die Verkehrsinfrastruktur. Das Geld kann angesichts der Preisentwicklung nicht reichen, um alle geplanten Vorhaben zu realisieren.

Was fordern Sie? Eine Aufstockung um 20 bis 30 Prozent?
Mittelfristig ist das mit Sicherheit notwendig. Wahrscheinlich wird ein Großteil der aktuellen Preiserhöhungen im Material- und im Energiebereich dauerhaft bestehen bleiben. Dann werden die aktuellen Budgets für die geplante Beseitigung des Sanierungsstaus in der öffentlichen Infrastruktur nicht mehr ausreichen. Aber insbesondere im Straßenbau könnte es sehr schnell ein anderes Problem geben, wenn die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt womöglich bald von russischem Öl abgeschnitten ist.

Warum ist das so gravierend?
Schwedt produziert ein Drittel des in Deutschland für den Straßenbau benötigten Bitumens, nämlich 1,3 von 4 Millionen Tonnen. Fällt das weg, weil Schwedt keinen Ersatz für das russische Öl bekommt, liegt ein Drittel der laufenden Straßenbauprojekte sehr schnell brach. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befasst sich zwar intensiv mit Schwedt. Aber die Relevanz der Bitumen-Produktion dort kommt in seinen Statements nicht vor.

Anders als es beim Bitumen dann droht, hat es wirkliche Knappheit von Baumaterialien bisher kaum gegeben. Beim Stahl spüren die Unternehmen erst seit gut vier Wochen, dass Lieferungen deutlich verspätet kommen? War die Preiswelle vor allem spekulativ?
Vieles an diesen Preiseruptionen ist in der Tat Spekulation und nicht real. Bei Öl und Holz gab es keine echten Lieferschwierigkeiten. Beim Stahl ist die Preisentwicklung noch einigermaßen nachvollziehbar.

Wenn es zum erwarteten Investitionseinbruch kommt, werden sich die Machtverhältnisse im Markt dann bald wieder umkehren? Wird es dann plötzlich Materialangebote ohne Abnehmer geben, und die Preise werden rapide sinken?
Das kann so kommen. Aber ob und wann die Entwicklung so sein wird, wissen wir heute nicht.

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Aber wer seine Bauinvestition jetzt verschieben kann und auf bessere Preise wartet, ist also eigentlich gut beraten.
Was die richtige Strategie ist, hängt natürlich von individuellen Situationen ab. Mein Rat an Bauherren ist, für die geplante Bauinvestition die Kostenschätzung aktualisieren zu lassen und im Fall einer gegebenen Wirtschaftlichkeit in jedem Fall zeitnah mit der Investition zu beginnen. Ich würde eher nicht darauf vertrauen, dass wir mittel- bis langfristig wieder ein sehr viel günstigeres Investitionsumfeld bekommen.

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