Auf den langen Reisen über den Atlantik haben die beiden Männer viel Zeit, sich auszutauschen. Noch einmal können sie die sorgfältig präparierten Zahlen durchgehen, noch einmal rechnen, noch einmal überlegen, mit welchen Argumenten sie den widerborstigen Verhandlungspartner in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri unter Druck setzen und trotzdem bei Laune halten können. Es geht um viel für die beiden Herren von Bayer in diesen Wochen, doch wie fast immer sind sich beide einig. „Zwischen beide passt kein Blatt Papier“, sagt einer, der beide gut kennt.
Der Saatgutkonzern Monsanto
Der US-amerikanische Konzern Monsanto ist einer der weltgrößten Hersteller von – oft auch gentechnisch verändertem – Saatgut sowie Unkrautbekämpfungsmitteln.
Das Unternehmen mit Hauptsitz in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri gehört zu den 500 größten börsennotierten in den USA und setzte zuletzt rund 15 Milliarden US-Dollar (gut 13 Mrd. Euro) um. Dabei erzielte Monsanto einen Überschuss von 2,3 Milliarden Dollar.
Weltweit beschäftigt das Unternehmen nach eigenen Angaben knapp 21.200 Menschen, fast die Hälfte davon in den USA. Der Saatgutkonzern ist in 66 Ländern vertreten – auch in Deutschland.
Monsanto bezeichnet eine nachhaltige Landwirtschaft als „Kernanliegen“, wird jedoch weltweit von Umweltschutzorganisationen unter anderem für die Herstellung von gentechnisch veränderten Saatgut heftig kritisiert.
Quelle: dpa
Der eine Mann ist Werner Wenning. Der 69-Jährige steht seit 2012 an der Spitze des Aufsichtsrats von Bayer, er sitzt zudem in den Kontrollgremien von Henkel und Siemens, das macht ihn zu einem der mächtigsten Strippenzieher der deutschen Industrie. Der andere ist Werner Baumann, er ist 16 Jahre jünger und seit Anfang Mai Vorstandschef des Leverkusener Konzerns. Seit mehr als 20 Jahren sind beide enge, viele sagen engste Vertraute. Gemeinsam haben sie seit Monaten an der Übernahme von Monsanto gearbeitet, jener Transaktion, die den Traditionskonzern aus Leverkusen so stark verändern wird wie kein anderes Ereignis in der 153-jährigen Unternehmensgeschichte.
Beide wollten den Deal, und das unbedingt. Beide waren sie dafür bereit, bis an die finanziellen Grenzen des Konzerns zu gehen. Und beide haben sie nun Mitte dieser Woche die größte Übernahme in der deutschen Unternehmensgeschichte abgeschlossen. Für 128 Dollar je Aktie kauft Bayer den US-Konzern. Macht 66 Milliarden Dollar insgesamt. Am Ende lag der Preis niedriger als von vielen Analysten erwartet, die mit mehr als 130 Dollar je Aktie gerechnet hatten.
Wer bei Bayer für Gewinn sorgt
Umsatz 2014: 42,2 Mrd. Euro
Gewinn* 2014: 8,4 Mrd. Euro
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 19,834 Mrd. Euro (47 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 5,124 Mrd. Euro (61 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 11,816 Mrd. Euro (28 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 1,092 Mrd. Euro (13 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 9,284 Mrd. Euro (22 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 2,184 Mrd. Euro (26 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 1,266 Mrd. Euro (3 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Es entsteht der größte Agrarkonzern der Welt. Eine „Innovationsmaschine“, wie Bayer-Chef Baumann sagt. Lange hat Wenning, der Stratege, die Übernahme von Monsanto durchdacht; immer wieder brachte er sich in die Verhandlungen ein. Mit seiner Erfahrung und seinem ausgleichenden Temperament sorgte der erfahrene Industriekapitän dafür, dass die Verhandlungen auch in schwierigen Phasen nicht ganz ins Stocken gerieten. Intern verteidigte er Baumann gegen aufkeimende Kritik. „Wenning hat an diesem Deal mindestens genauso viel Anteil wie Baumann“, sagt ein Bayer-Insider. Der Bayer-Chefaufseher gilt als bodenständig und unprätentiös, er formuliert klare Ziele, lässt Untergebenen aber auch Raum zur Entfaltung.
Der Monsanto-Coup ist für Wenning der krönende Schlusspunkt eines Weges, den der heute 69-Jährige vor fast 15 Jahren einschlug und seitdem konsequent verfolgt.
Dabei hat er von Anfang an auf Baumann gesetzt; der amtierende Bayer-Vorstandschef gilt als Zögling von Wenning. Die beiden lernten sich in den Neunzigerjahren in Barcelona kennen. Baumann absolviert dort seine erste Auslandsstation, Wenning war damals Landeschef in Spanien. 1995 machte er Baumann zu seinem Assistenten – und fördert ihn seither. Beide sind Rheinländer, beide stammen aus einfachen Verhältnissen. Statt markiger Worte lassen beide lieber Zahlen und Analysen für sich sprechen.
Unabhängiger von Pharma
Als Wenning 2002 Vorstandschef wurde, stand sein Start im Schatten des größten Schocks der jüngeren Bayer-Geschichte. Beim Cholesterinsenker Lipobay traten fatale Nebenwirkungen auf. Bayer sah sich einer Klagewelle in den USA ausgesetzt, Schadensersatzklagen drohten das Unternehmen in Existenznot zu bringen. Letztlich kam Bayer relativ glimpflich davon. Doch für Wenning bleibt der Skandal ein Trauma. Seitdem, so heißt es in seinem Umfeld, achte er darauf, Bayer nicht allzu abhängig von der Pharmasparte zu machen.
Wenning hat den Konzern durch Dutzende Zu- und Verkäufe radikal umgebaut. Als Helfer und Vollstrecker dabei an seiner Seite: Baumann, den er dafür eigens aus den USA zurück in die Zentrale holte. Als Wenning 2010 als Vorstandschef aufhörte, war seine Bilanz eindeutig: Seit den trüben Lipobay-Tagen hatte sich der Aktienkurs wieder verdoppelt.
Als es Anfang 2016 darum geht, einen Nachfolger für seinen eigenen Nachfolger Marijn Dekkers an der Bayer-Spitze zu bestimmen, setzt Aufsichtsratschef Wenning seinen Zögling Baumann auch gegen interne Widerstände durch. Dekkers selbst hätte das Schicksal des Konzerns wohl lieber Agrarvorstand Liam Condon anvertraut. Doch Wenning hat sich entschieden und kürt Baumann zum Chef.
Stationen des Bayer-Konzerns
Bayer übernimmt vom Schweizer Pharmakonzern Roche das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln.
Trennung von der Chemie, Teil eins: Die Leverkusener spalten das Kautschukgeschäft und weitere Teile ab und bringen das Unternehmen als Lanxess an die Börse.
Bayer kauft das Berliner Pharmaunternehmen Schering für 17 Milliarden Euro.
Übernahme des deutschen Medikamentenherstellers Steigerwald, bekannt für das Magenmittel Iberogast.
Bayer zahlt umgerechnet 10 Milliarden Euro für das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln des US-Pharmakonzerns Merck & Co. Zwei Milliarden Euro ist Bayer das norwegische Pharmaunternehmen Algeta wert, ein Spezialist für Krebserkrankungen.
Trennung von der Chemie, Teil zwei: Bayer gibt die Abspaltung der Kunststoffsparte (Bayer Material Science) bekannt.
Der Börsengang von Covestro, ehemals Bayer Material Science, im Oktober 2015 war einer der größten in Deutschland seit dem Boomjahr 2000.
Der Kauf von Monsanto macht Bayer nun unabhängiger von der erfolgreichen, aber für Rückschläge anfälligen Pharmasparte. Durch die Übernahme des US-Saatgutriesen wird das Agrargeschäft nun zum gleichwertigen Bestandteil des Konzerns. Die niedrigen Zinsen erleichtern die Finanzierung, die Monsanto-Aktie ist im Vergleich zu den Vorjahren günstig. So eine Chance kommt nicht wieder. Jetzt oder nie.
So sieht Wenning die Bayer-Welt. Seine Einschätzung aber teilen nicht alle. Der US-Konzern hat einen zweifelhaften Ruf, für Gegner der Gentechnik ist er das Feindbild Nummer eins. Zudem strapaziert der Deal die Finanzkraft von Bayer bis an die Grenzen. Wenning hat dennoch für diesen Deal gekämpft, mit hohem persönlichem Einsatz. Im Frühjahr etwa musste er persönlich schlichten, als der damalige Vorstandschef Dekkers und der damalige Finanzvorstand Baumann uneins über die Übernahme waren.
Schwache Agrargeschäfte
BASF
Umsatz: 3,2 Milliarden € (-9% zum Vorjahr)
Ebit: 0,9 Milliarden € (-6% zum Vorjahr)
Quelle: Thomson Reuters
Bayer
Umsatz: 5,5 Milliarden € ( -3% zum Vorjahr)
Ebit: 1,5 Milliarden € ( +4% zum Vorjahr)
Quelle: Thomson Reuters
DuPont
Umsatz: 6,3 Milliarden € ( -2% zum Vorjahr)
Ebit: 1,8 Milliarden € ( +3% zum Vorjahr)
Quelle: Thomson Reuters
Syngenta
Umsatz: 6,4 Milliarden € ( -7% zum Vorjahr)
Ebit: 1,2 Milliarden € ( -14% zum Vorjahr)
Quelle: Thomson Reuters
Monsanto:
Umsatz: 7,8 Milliarden € ( -11% zum Vorjahr)
Ebit: 2,6 Milliarden € ( -21% zum Vorjahr)
Quelle: Thomson Reuters
Neuchef Baumann schreitet seitdem auf dem Weg voran, den sein Mentor vorgezeichnet hat. Auch die Kritik von Investoren lässt ihn nicht einhalten oder gar umkehren. „Dem Unternehmen bleiben hohe Schulden, und der Aufwand für das Management, die Geschäfte zu integrieren, könnte leicht dazu führen, dass das Pharmageschäft vernachlässigt wird“, sagt Greg Herbert vom britischen Fondsmanager Jupiter, der mit 0,3 Prozent an Bayer beteiligt ist.
Zudem ist der Deal eine große Wette auf ein Comeback der Agrarmärkte. Derzeit stehen die Erträge nahezu aller Konzerne unter Druck. Die Bauern erzielen derzeit nur niedrige Preise für Weizen, Soja oder Mais; es fehlt ihnen an Geld für Pflanzenschutzmittel und Saatgut. Ab Mitte 2017, so hofft etwa Bayer-Agrarvorstand Condon, soll die Agrarkonjunktur anziehen. Dann sollen Bayer und Monsanto nach erfolgter Kartellprüfung startklar sein – und im Konjunkturschub durchstarten. Sicher ist das nicht – wie sich Ernten entwickeln, ist schwer im Voraus zu kalkulieren. Gemeinsam sollen Bayer und Monsanto nun aufblühen. Den Abschluss verkündete Baumann gemeinsam mit Monsanto-Boss Hugh Grant in New York. Konzernarchitekt Wenning genoss den Coup still.