
Die geplante Reform der Abgastests von Fahrzeugen in der EU kommt kaum voran – und läuft Gefahr, erheblich durch die Mitgliedsstaaten verwässert zu werden. Die Verhandlungen im Rat der nationalen Regierungen stecken fest. Auch zehn Monate nachdem die EU-Kommission ihre Reformvorschläge vorgelegt hatte, ist eine Einigung nicht in Sicht. EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska forderte die zuständigen Minister am Montag in Brüssel auf, die Blockade schnell zu lösen. „Wenn die EU jetzt nicht handelt, wird die Öffentlichkeit zunehmend misstrauisch werden“, sagte sie.
Für das Misstrauen gibt es offenbar gute Gründe: Eine Reihe von Mitgliedsstaaten versucht im EU-Rat, die von der Kommissarin vorgeschlagene Reform der Abgastests erheblich zu verwässern. Das geht aus einem Papier der slowakischen Ratspräsidentschaft hervor, das dem Handelsblatt vorliegt. Darin werden wesentliche Elemente des von Bieńkowska vorgeschlagenen neuen Kontrollverfahrens abgeschwächt.
So hatte sich die Kommission dafür stark gemacht, auf eigene Initiative hin den Schadstoffausstoß neuer Fahrzeugmodelle untersuchen zu können. Die nationalen Behörden, in Deutschland das Kraftfahrtbundesamt, sollten zwar weiterhin hauptverantwortlich für die Untersuchungen sein. Diese sollten aber durch Fahrtests am EU-eigenen Forschungszentrum, dem Joint Research Center, ergänzt werden, um eine zusätzliche Kontrollebene einzuführen.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Das aber sehen etliche Mitgliedsstaaten kritisch, darunter Italien und Spanien. Im slowakischen Entwurf der Ratsposition ist die generelle Ermächtigung der Kommission zu den Fahrtests gestrichen. Stattdessen soll sie nur noch nach Rücksprache mit den Mitgliedsstaaten selbst messen dürfen. „Die unabhängigen Tests auf der Straße sind das einzig wirklich neue Element in der Reform“, kritisiert Julia Poliscanova, Expertin von Transport & Environment, ein Dachverband umweltorientierter europäischer Verkehrsklubs, zu dem aus Deutschland der VCD gehört.
Auch einen zweiten zentralen Baustein der Reform könnten die nationalen Regierungen kippen. Die Kommission hatte vorgeschlagen, die nationalen Aufsichtsbehörden alle zwei Jahre durch Kollegen aus zwei anderen Ländern kontrollieren und beurteilen zu lassen. Dadurch wollte die Kommission sicherstellen, dass die Tests in der EU auf einheitlich hohem Niveau durchgeführt werden.
Diese Passage wurde aus dem Entwurf des Rates komplett gestrichen. Stattdessen sollen die Mitgliedsstaaten nun nur die eigenen Aufsichtsbehörden kontrollieren und die entsprechenden Berichte in einem gemeinsamen Forum mit Vertretern aus den anderen Ländern diskutieren. „Die Mitgliedsstaaten wollen offenbar jede Vorgabe kippen, die die Qualität ihrer Arbeit bei der Aufsicht misst“, sagt Poliscanova.
Auch im Europaparlament werden die Versuche kritisch gesehen, die Reform aufzuweichen. „Die Kommission sollte bei den Abgastests nicht nur mehr Zuständigkeiten bekommen, sondern auch die Kompetenzen, die nötigen Maßnahmen durchzusetzen“, sagt der CDU-Abgeordnete Jens Gieseke, der Mitglied des Diesel-Untersuchungsausschusses ist. „Sonst werden die Regeln in den Mitgliedsländern weiterhin völlig uneinheitlich angewandt – das kann nicht die Konsequenz aus den Versäumnissen der Vergangenheit sein.“