Betäubung von Schlachtschweinen Robert Tönnies will die Schlachthof-Revolution – doch bislang scheiterte sie immer

Mastschweine im Stall Quelle: dpa

Seit mehr als einem Jahrzehnt suchen Forscher und Unternehmen nach neuen Methoden zur sanften und effizienten Betäubung von Schlachtschweinen. Zig Millionen Euro wurden investiert – bislang erfolglos. Nimmt die Debatte nun wieder Fahrt auf?

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Der Befund der Tierschutzorganisation Peta ist eindeutig - und nichts für zart besaitete Meschen. „In Deutschland werden in der Fleischindustrie jährlich 60 Millionen Schweine getötet – die Mehrzahl der Tiere, knapp 40 Millionen, wird zuvor mit Kohlenstoffdioxid betäubt“, schreibt Peta auf ihrer Homepage. „Für viele Schweine stellt diese Methode eine wahre Tortur dar: In der Betäubungsanlage erleiden sie Erstickungsängste und geraten in Panik. Die sensiblen Tiere schreien ohrenbetäubend, hyperventilieren, recken die Köpfe hoch, springen und trampeln wild übereinander, um dem reizenden Gas zu entkommen.“.  

Des Weiteren verweisen die Tierschützer auf ihrer Seite auf diverse Forschungsergebnisse – aufgegriffen ebenso im Tierschutzbericht der Bundesregierung –, dass die CO2-Betäubung aufgrund dieser massiven Abwehrreaktionen der Schweine als tierschutzwidrig angesehen werde. Daher habe Peta wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz Strafanzeige gegen einen Schlachtbetrieb in Rheinland-Pfalz erstattet – und deutschlandweit gegen insgesamt 25 Höfe in neun Bundesländern.

Der Text und die Strafanzeigen sind über fünf Jahre alt. Die Diskussion um eine tiergerechte Betäubung ist sogar noch älter. Verbände, Tierschutzorganisationen und Politiker fordern seit fast einem Jahrzehnt ein Verbot der CO2-Betäubung von Schweinen. Denn was früher nur vereinzelt in Schlachthöfen praktiziert wurde, ist seit der EU Schlachtverordnung von 2009 gang und gäbe, egal ob in den Fabriken von Tönnies, Vion, Westfleisch oder eben in kleinen städtischen Schlachthöfen wie dem in Kulmbach.

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von Mario Brück

Geändert hat sich an der Tierwohl-Situation in Mastbetrieben bis heute nichts. Nun wollen einzelnen Politiker den Druck erhöhen. Und auch die Wirtschaft selbst startet Initiativen. Gleichwohl zeigt ein Blick in die Historie: Alternativen zur CO2-Betäubung sind schwer zu finden. Sie sind zu aufwendig, zu selten, zu teuer. 

Nach wie vor bleibt CO2 das Betäubungsmittel der Wahl. Das Politmagazin „Report Mainz“ hatte erst vor zwei Wochen wieder schockierende Aufnahmen aus zwei deutschen Schlachthöfen veröffentlicht, in denen Schweine in einer Gondel in einen Schacht hinuntergelassen werden und dort während der Betäubung mit CO2 regelrecht in Panik verfallen und Erstickungsanfälle bekommen.

Bereits am 12. Mai hatten die Grünen eine Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag gestartet. Thema: „Tierschutz ernstnehmen – Co2-Betäubung bei Schlachtschweinen endlich beenden!“. Die Partei forderte die Landesregierung auf, ein Verbot des Betäubungsverfahrens gemäß EU-Tierschlacht-Verordnung zu prüfen, denn es sei äußerst fraglich, ob das Gebot der größtmöglichen Schmerz-, Leidens- und Stressvermeidung nach Artikel 3 Absatz 1 mit der CO2-Betäubung erfüllt werde. „Sollte sich bestätigen, dass die CO2-Betäubung nicht tierschutzkonform ist, könnte die Landesregierung die Bundesregierung bitten, auf EU-Ebene entsprechend tätig zu werden“, heißt es in dem Antrag der Partei. Ein Abschlussprotokoll liegt noch nicht vor.

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Nach Alternativen zum CO2 wird in der Branche schon lange geforscht. Doch alle Versuche und Tests mit Gasen und Gasgemischen wurden wieder eingestellt: Helium galt als zu teuer und knapp, es ist zudem leichter als Luft. Damit hätte jede Betäubungsanlage in den Schlachthöfen von Grund auf umgebaut werden müssen. Beim Edelgas Argon hingegen seien nach der Betäubung Flecken und rote Punkte im Schweinefleisch nachgewiesen worden. Auch diese Versuche, ebenso wie die mit Stickstoffschaum, wurden beendet.

Kai Braunmiller, Leitender Veterinärdirektor bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz in Bayreuth, bestätigt die Nachteile von CO2 als Sachverständiger bei der Anhörung im NRW-Landtag. „Es muss festgestellt werden, dass jedem dieser Tiere mit diesem Betäubungssystem in Kenntnis des Mangels erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt werden.“ Der Experte weist jedoch auch daraufhin, dass es nicht gelungen sei, nach „nun über 20 Jahren eine praktikable alternative Methode zu finden, die eine schonende Einleitungsphase bei der Gasbetäubung mit CO2 sicherstellt.“

Für den Veterinärmediziner ist die Schlussfolgerung klar: Die CO2-Betäubung sei niemandem mehr zu vermitteln, werde auch dem Staatsziel Tierschutz nicht gerecht und finde ganz sicher auch keine gesellschaftliche und ethische Zustimmung mehr, sagt Braunmiller. „Aus unserer Sicht besteht deshalb seit vielen Jahren ein sich deutlich verschärfter Handlungsbedarf, nachdem die Entwicklung von alternativen Methoden zeitlich verschleppt wurde.“ Außerdem merkt Braunmiller an, dass das  wirtschaftliche Interesse der Branche dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht über dem Tierschutzrecht stehe.

Die Wirtschaft sieht das anders. Auf der Peta-Liste der angezeigten Schlachthöfe stand auch Marktführer Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Der hatte seinerzeit erklärt, dass der Vorwurf  über mangelhaft betäubte Tiere auf Tönnies-Schlachtbetriebe nicht zutreffe. „Wir betreiben unsere CO2-Anlagen zur Betäubung mit der sogenannten Tiefenbetäubung“, hieß es in einer Stellungnahme. Dies bedeute, dass die Tiere in einer 92-prozentigen CO2-Atmosphäre betäubt würden, obwohl rechtlich allenfalls 80 Prozent vorgegeben seien. „Die so durchgeführte Tiefenbetäubung gewährleistet einen hundertprozentigen Betäubungserfolg vor und bei der Entblutung.“

Dennoch forschte Professor Klaus Troeger vom Max-Rubner-Institut in Kulmbach rund ein Jahr lang nach Alternativen mit Helium und Argon – auch mit Unterstützung des Tönnies-Konzerns. 2012 kam er in seinem Abschlussbericht zu dem Ergebnis: „Für eine gesetzlich geregelte schrittweise  Einstellung des Einsatzes von CO2 zur Betäubung von  Mastschweinen fehlten bislang ökonomisch vertretbare Alternativen. Nach Abschluss des Forschungsvorhabens  stellt die Helium-Betäubung eine tierschonende Methode  ohne nachteilige Beeinflussung der Fleischqualität dar, weitere ökonomische Aspekte gilt es zu prüfen.“

Damals waren die ökonomischen Beweggründe für die Schlachter offenbar ausschlaggebend. Bei Tönnies hieß es seinerzeit: „Die Alternativen Helium und Argon erwiesen sich für uns als nicht praktikabel.“ Man suche nach anderen Möglichkeiten. Gefunden wurden sie bis heute nicht.

Inzwischen scheint es beim Schlachtkonzern Tönnies aber einen Sinneswandel gegeben zu haben – zumindest bei Mitgesellschafter Robert Tönnies, dem 50 Prozent des Konzerns gehören. Zusammen mit Wissenschaftler Troeger arbeitet er seit Monaten wieder an einer Alternative zur CO2-Betäubung: Helium. Man wolle eine Pilotanlage erstellen, die den Anforderungen der Praxis gerecht wird. Die gewonnenen Erkenntnisse, Schutzrechte und Patente werde die Stiftung der Branche zu kostendeckenden Gebühren zur Verfügung stellen, um das Tierwohl bei Betäubung und Schlachtung nachhaltig zu verbessern

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Die neue Betäubungsanlage soll schon im Herbst im Praxisbetrieb getestet werden. Was zunächst vielversprechend anmutet, hat aber ebenfalls einen Haken, so wie bereits so manche Alternative in der Vergangenenheit: Helium würde die Produktion von Billig-Schnitzeln und Bratwürsten deutlich verteuern. Ersten Schätzungen zufolge lägen die Kosten für die Betäubung mit Helium pro Schwein bei rund einem Euro, bei CO2 seien dies hingegen nur ein paar Cent. Darüber hinaus kämen erhebliche Investitionen auf die Schlachtkonzerne zu, denn die alten Anlagen könnten nicht auf Helium umgerüstet werden, komplett neue Anlagen müssten gebaut werden. Somit ist fraglich, ob Robert Tönnies und Klaus Troeger mit ihrem Konzept tatsächlich überzeugen können.

Die Strafanzeigen von Peta verliefen übrigens im Sand. „Die Verfahren wurden eingestellt, teils mit umfangreichen Begründungen und langen Ermittlungen“, teilte Peta mit.

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