BHP Billiton mit Rekordverlust Wie Australien seine Kohle verbrannt hat

Der Rohstoffboom in Australien ist endgültig vorbei. Zuletzt musste BHP Billiton einen Rekordverlust verkraften. Die Opfer vom Ende des großen Rauschs sind jene, die ihn möglich gemacht haben: Tausende an Minenarbeiter.

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Der britisch-australische Konzern hat kürzlich einen Rekordverlust verkündet. Quelle: AFP

Canberra Wer sehen will, welche Folgen das Ende des Rohstoffbooms in Australien hat, geht am besten zur Toilette. In den Waschräumen abgelegener Minen-Camps sind die Seifenspender leer. Kumpel, die noch vor kurzem Hunderte von Litern an Flüssigseife mit Rosenduft im Jahr verbraucht haben, müssen wieder mit Billigware aus dem Supermarkt vorliebnehmen.

„Sparen ist angesagt, an allen Ecken und Enden“, erzählt Tom. Der 36 Jahre alte Australier lebt in Perth – und arbeitet als Lastwagenfahrer. „Aber ich will ja nicht klagen. Ich habe immerhin noch einen Job“, winkt er ab. Er ist auf dem Weg zur Arbeit – gut 2500 Kilometer weiter im Norden gelegen. Seinen vollständigen Namen mag Tom nicht nennen. „Wir schließen untereinander Wetten ab, wer als nächstes über die Klinge springt. Fast die Hälfte unserer Kumpel musste schon gehen. Da will ich nicht auffallen.“

Der Niedergang der Rohstoffindustrie in Australien schreitet voran. So hat der weltweite Rohstoffgigant BHP Billiton mit 6,4 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 5,7 Milliarden Euro) den größten Jahresverlust der Unternehmensgeschichte eingefahren. Der Umsatz von 30,1 Milliarden Dollar fiel um 31 Prozent geringer aus als im Vorjahr. Marktbeobachter hatten dieses katastrophale Ergebnis erwartet.

Noch im vergangenen Jahr hatte der Konzern einen Gewinn von 1,9 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Eine lächerlich kleine Summe im Vergleich zum Rekordgewinn von 2010/2011. Damals meldete der Bergbaukonzern, der seine Geschäftsrisiken breit gestreut hat, satte 23,6 Milliarden Dollar Gewinn. Obwohl Sonderabschreibungen und weitere Faktoren maßgeblich zu diesem vernichtenden Ergebnis beigetragen haben, offenbaren die Geschäftszahlen eines: Der Rohstoffboom in Down Under – dem traditionell wichtigsten Produktionsstandort des australisch-britischen Konzerns – ist endgültig vorbei.

Nach 20 Jahren steten Wachstums spürt die Volkswirtschaft seit Monaten schmerzlich das Wegbrechen zwei wichtiger Treiber: die Steuern und die Rekordgehälter aus dem Rohstoffabbau.
Die Niedrigpreise für einen Großteil an Mineralien – darunter die beiden wichtigsten Exportprodukte Eisenerz und Kohle –hohe Lagerbestände, und das Bestreben Pekings, das wirtschaftliche Wachstum Chinas zu drosseln – all diese Faktoren setzen Australien mächtig zu. So muss der Fiskus in diesem Jahr mit deutlich weniger Abgaben zurechtkommen.

Auch die Privatwirtschaft ist betroffen: Alle Rohstoffkonzerne in Down Under müssen sparen. Jene zumindest, die das überhaupt noch können. Denn eine große Zahl an kleinen und mittleren Betriebe ist vorerst stillgelegt. Das Problem: Allein die Förderkosten liegen über dem Preis, den der Markt pro Tonne noch zahlt. Kumpel, die noch vor kurzem mit absurd hohen Gehältern in die Gruben gelockt wurden, sind entweder wieder in ihrem alten Berufen, oder arbeitslos.

Diese Geschichte seiner Kollegen kennt auch Lastwagenfahrer Tom. „Der Wind hat sich gedreht“, sagt er. Vor neun Jahren ist er in die Region Pilbara im einsamen Norden von Westaustralien gezogen. Er brachte genau das mit, was die Minen-Betreiber damals dringend suchten: Er konnte „Dump Trucks“ fahren. Diese Lastwagen fassen bis zu 400 Tonnen auf der Ladefläche – die Fahrzeuge sind je nach Modell größer als ein Einfamilienhaus.

Tom steuert die Riesenlastwagen je nach Schicht am Tag und in der Nacht. Er transportiert das Eisenerz aus der Mine zu einem Fließband. 100.000 Euro verdient er damit im Jahr. Viel Geld, dafür, dass er in „einer klimatisierten Kabine sitzt und Musik der Rolling Stones über fünf Lautsprecher hört“, wie er scherzt. Die Lokomotivführer unter seinen Kollegen, die bis zu zwei Kilometer lange, mit Eisenerz beladene Züge an die Küste fahren, können sogar mit 200.000 Euro rechnen.

Tom gehört zur Gruppe der Fifo-Arbeiter. Die Abkürzung steht für „fly-in-fly-out“. Tom darf alle drei Wochen auf Kosten der Firma für 14 Tage nach Hause fliegen. An der Ostküste ist er daheim. „Aber das Leben im Camp war auch nicht schlecht. Bis vor kurzem zumindest“. Einzelkabinen, Hollywood-Filme auf Abruf, Breitband-Internet und Essen wie im Fünf-Sterne-Hotel. „Gelegentlich gab’s Hummer“, erinnert er sich an die Annehmlichkeiten, die sein Job mit sich brachte. Und das mitten in der Wüste.
Diese Glanzzeit ist vorbei. Jede Firma kürzt Ausgaben: Gehälter werden eingefroren, Materialkosten reduziert, Pakete gestrichen. „Wir sind zwar noch nicht soweit, dass die Leute in den Camps ihr eigenes Gemüse anpflanzen müssen“, sagt Geologe Kevin Kartun. Doch wenn Firmen – seien sie auch noch so klein – keine Sparprogramme auflegen, sehe das gegenüber Aktionären „nicht gut aus“, erklärt der Chef einer Bergbau-Dienstleistungsfirma. So werden nicht nur Seifenspender stillgelegt.


Eine Miete in der Mienenstadt von 2.000 Euro – pro Woche

Der drittgrößte Goldproduzent Australiens, Fortescue Metals, hat etwa Wegwerf-Essensbehältern aus der Mine verbannt. Das ist nur einer von insgesamt rund 4.000 Sparvorschlägen. Die Unternehmensleitung hatte einen Aufruf an die Belegschaft gerichtet. Der Spareffekt war groß. Allein dass die Firma von Plastik auf wiederverwertbare Verpackungen umstieg, sparte Fortescue rund 100.000 Euro.

Auch die Marktführer der Rohstoffbranche fangen im Kleinen an: BHP Billiton zum Beispiel stellte im Büroturm in Perth die kostenlose Ausgabe von Wasserflaschen ein, was „zu enormen Einsparungen“ geführt habe. „Alleine betrachtet sind solche Maßnahmen vielleicht wenig signifikant“, sagt Peter O’Connor, Analyst bei der Investmentfirma Shaw & Partners. „Aber Rohstoffproduzenten bewegen sich in einem kostenbewussten Klima. Sie müssen immer mehr erreichen, mit immer geringeren Mitteln“.

Analysten rechnen zwar damit, dass sich verschiedene Rohstoffmärkte langfristig wieder erholen – und mit ihnen die Bilanz von Firmen wie BHP Billiton. Doch eine Rückkehr zu den „Goldenen Zeiten“ unbegrenzten Wachstums schließen mittlerweile alle Experten aus. Zu fundamental ist der Rückwärtstrend bei vielen Mineralien. Zwischen den Geschäftsjahren 2013/2014 und 2015/2016 brach der Preis pro Tonne Eisenerz von durchschnittlich 122.80 US-Dollar pro Tonne auf 50.90 Dollar ein.

Nirgendwo sonst hatte dieser Preissturz größere Konsequenzen als in den Pilbara, einem Gebiet, in dessen Boden noch Eisenerzreserven von gigantischem Ausmaß schlummern. Doch die Zahl jener, die das orange Pulver fördern und es auf gewaltige Frachter verladen, wird immer kleiner. Die Bergbaustadt Karratha hat einen Großteil der 26.000 Einwohner eingebüßt.

Der Niedergang wirkt sich auch auf den Immobilienmarkt aus. Jahrelang hatten Käufer absurde Preise für Wohnraum gezahlt, der nicht nur knapp, sondern oft auch minderwertig war. Die Miete eines Hauses in Karratha oder der Hafenstadt Port Hedland lag im Schnitt bei 3000 australischen Dollar (umgerechnet 2042 Euro) – pro Woche. Ein einzelnes Zimmer ließ sich ohne Probleme für 1000 australische Dollar vermieten.

Wer Glück hatte, fand ein Gartenhäuschen – ohne Klo und Dusche zwar, für 500 australische Dollar pro Woche, aber ein Schnäppchen. Heute stehen viele dieser Unterkünfte leer. In 60 Prozent der 293 Bungalows einer Retortensiedlung am Rande von Port Hedland lebten nur Fliegen, heißt es.

Die Anlage wurde erst im Jahr 2012 gebaut – zu spät für den „Boom“. Mit diesem Problem haben im weiteren Sinne auch die Bergbaukumpel zu kämpfen: Kurzfristiges Denken, zu knappe Planung. Regierungen jeder politischen Couleur sind zwar sehr rasch zur Stelle, wenn es um das Kassieren von Tantiemen aus dem Bergbau geht. Aber an für die Zeit nach dem großen Rausch haben sie nicht vorgesorgt. Sie haben weder in Infrastruktur noch in Ausbildung oder Innovationen investiert, um damit Arbeitsplätze fern der Mine zu schaffen.


„Sein Job, mit dem er fest gerechnet hatte, gab es nicht mehr“

Während andere rohstoffreiche Staaten Geld aus der Hausse zurücklegt haben – etwa in Form eines Staatsfonds – wollten Politiker in Australien davon nichts wissen. „Bei uns sparen die Leute direkt, in dem sie Aktien kaufen, sich so am Wohlstand beteiligen und für die Zukunft sorgen“, sagte der damalige sozialdemokratische Finanzminister Wayne Swan 2010 dem Handelsblatt. Auch sein konservativer Nachfolger wollte nichts von staatlicher Intervention beim Sparen wissen.

Nicht jeder aber hat das Kapital oder die Selbstdisziplin, eigenständig für die schlechten Zeiten vorzusorgen. Karitative Organisationen klagen über einen Ansturm von einst gut bezahlten Bergbaukumpeln, die ihr Gehalt in Bier und Urlaubsreisen nach Bali verprasst haben, und jetzt mittellos sind, weil sie ihre Arbeit verloren haben.

„Die jungen Kollegen ohne Berufsausbildung sind am Übelsten dran“, sagt Tom. Er erzählt von einem Kumpel, der direkt nach der Schule in der Mine angefangen hat. 65.000 Euro pro Jahr – ein Vermögen für einen Ungelernten. Nach drei Jahren sei er ein Jahr in Urlaub gefahren, „und hat seine ganze Kohle verbrannt“. Als er wieder zurückkam, sei der Rohstoffboom vorbei gewesen. „Sein Job, mit dem er fest gerechnet hatte, gab es nicht mehr“. Jetzt lebe der Kumpel auf der Straße, „wenn er überhaupt noch lebt.“

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