Christian Rudders Visitenkarte könnte eine der außergewöhnlichsten der Welt sein: Zahlenfreak und Liebesengel müsste dort eigentlich stehen. Denn der Mitgründer der amerikanischen Onlineplattform Okcupid, vergleichbar mit deutschen Partnerbörsen wie Parship oder Friendscout24, hat eigentlich Mathematik an der Eliteuniversität Harvard studiert. Rudder mag Zahlen. Doch noch mehr liebt er es, große Datenmengen zu lesen, auszuwerten und zu verstehen. Vor allem, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht.
Was das Internet über Sie weiß
Warum hat sich das eine Pärchen gefunden und das andere nicht? Wer bekommt die meisten Anfragen kontaktfreudiger Singles? Doch auch wer nicht auf einen solchen digitalen Verkuppler setzt, hinterlässt Spuren im Netz, die v erfasst und ausgewertet werden. Laut einer noch unveröffentlichten Studie des Browser-Herstellers Cliq verfolgt Google zum Beispiel mehr als 60 Prozent aller Seitenaufrufe. Entwickler untersuchten dafür anhand von 200.000 deutschen Nutzern des Browsers Firefox, ob sie Daten mittels spezieller Tracking-Programme nach außen leiten.
Konkrete Big-Data-Beispiele
Im Gesundheitswesen werden wertvolle Informationen über Nebenwirkungen von Medikamenten und die Wirksamkeit neuer Behandlungsmethoden gewonnen, indem Erfahrungsberichte von Patienten und Ärzten im Internet anonym ausgewertet werden.
Die Stadt Stockholm realisiert ein intelligentes Verkehrsmanagement, um Staus und Unfälle zu vermeiden. Grundlage ist die Analyse von Verkehrs- und Wetterdaten.
Einen Beitrag zur Energiewende leistet die Messung und Analyse des Stromverbrauchs mit Smart Metern, um den Bedarf genauer vorherzusagen und den Verbrauch zu reduzieren.
Bei mehr als sechs von zehn Webseiten-Aufrufen in Deutschland wird Google über den Besuch informiert. Facebook ist immerhin bei zwei von zehn Aufrufen dabei. Christian Rudder würde das kaum überraschen. Angereichert mit Daten aus den sozialen Netzwerken, hat er ein Buch darüber geschrieben, das in diesen Tagen auf Deutsch erscheint. Darin zeigt er, was nicht nur seine eigene Plattform, sondern auch Facebook, Twitter oder Google bereits jetzt über unsere Beziehungen, Freundschaften, sexuelle Orientierung, sprich: über unser Leben, wissen.
Ein Auszug aus seinem Buch.
Sie denken, ein Facebook-Like ist harmlos? Hoffentlich werden Sie nicht arbeitslos.
"Im Jahr 2009 führte Facebook den „Gefällt mir“-Button ein und veränderte damit die Art, wie Internetnutzer Inhalte gemeinsam wahrnehmen. Facebook fügte einem bereits sehr robusten sozialen Netzwerk noch das Element der Kuration hinzu – jeder, der etwas auf Facebook postete, konnte sich jetzt ganz einfach eine positive Rückmeldung des Publikums in Form dieses kleinen ikonischen hochgereckten Daumens abholen. Dadurch entstand eine neue, überall akzeptierte Mikrowährung – ich zahle Ihnen vielleicht nichts für Ihren Aufsatz, Ihren Song oder was auch immer, aber ich gebe Ihnen ein winziges Stückchen Anerkennung und teile Ihr Werk mit meinen Freunden. Im Mai 2013 verzeichnete Facebook 4,5 Milliarden „Gefällt mir“ pro Tag und im September desselben Jahres eine Gesamtzahl von 1,1 Billionen. Eine britische Gruppe hat 2012 dokumentiert, dass sie folgende Eigenschaften eines Nutzers nur aus seinem Einsatz des „Gefällt mir“-Buttons ableiten kann:
Eigenschaft des Nutzers | Trefferquote in Prozent |
homo- oder heterosexuell (Männer) | 88 Prozent |
homo- oder heterosexuell (Frauen) | 75 Prozent |
Weiße(r) oder Schwarze(r) | 95 Prozent |
Mann oder Frau | 93 Prozent |
Demokrat oder Republikaner | 85 Prozent |
Drogenkonsument | 65 Prozent |
Scheidungskind | 60 Prozent |
Das Muster der „Gefällt mir“-Klicks taugt sogar als Ersatz für einen Intelligenztest – dieser Algorithmus kann die IQ-Punkte, die man in einem separaten Test erzielen würde, ziemlich zuverlässig voraussagen. So viel kann man schon aus drei Jahren angesammelter Daten von Menschen ableiten, die Facebook -Nutzer geworden sind, nachdem sie zuvor Jahrzehnte ohne dieses Netzwerk ausgekommen waren. Was wird dann erst alles möglich sein, wenn man Daten zur Verfügung hat, die bereits in der Kindheit des Nutzers einsetzen?
Die dunkle Seite der Längsschnittdaten
Das ist die dunkle Seite der Längsschnittdaten, die mich ansonsten so begeistern.
Intelligenztests wie der nach Myers-Briggs oder der Stanford-Binet-Test werden schon lange von Arbeitgebern, Schulen und dem Militär eingesetzt, um Bewerber zu beurteilen. Man setzt sich hin, gibt sein Bestes, und wird entsprechend eingeordnet.
Und meistens macht man ja freiwillig mit. Doch immer öfter unterzieht man sich unfreiwillig solchen Tests, indem man seinen Alltag lebt und jedem Interessenten die Ergebnisse zur Verfügung stehen – mit entsprechenden Folgen für den Betroffenen.
Das sind die Typen des Myers-Briggs-Typenindikators
Menschen vom Typ ENFJ haben ein extravertiertes Fühlen, introvertierte Intuition, extravertierte Sensorik und ein introvertiertes Denken.
Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der Myers-Briggs-Typen-Indikator ist umstritten, weil er auf eine Methode des spirituell angehauchten Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung zurückgeht, mit dem dieser seine Patienten in Kategorien einordnete. Zur Personalauswahl ist er nicht geeignet.
Menschen vom Typ ENFP haben eine extravertierte Intuition, introvertiertes Fühlen, extravertiertes Denken und introvertierte Sensorik. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ENTJ zeichnen sich aus durch extravertiertes Denken, introvertierte Intuition, extravertierte Sensorik und introvertiertes Fühlen. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der ENTP-Typ hat eine extravertierte Intuition, introvertiertes Denken, extravertiertes Fühlen und eine introvertierte Sensorik. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der ESFJ-Typ zeichnet sich aus durch extravertiertes Fühlen, introvertierte Sensorik, extravertierte Intuition und introvertiertes Denken. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ESFP haben eine extravertierte Sensorik, ein introvertiertes Fühlen, extravertiertes Denken und eine introvertierte Intuition. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ESTJ haben ein extravertiertes Denken, introvertierte Sensorik, extravertierte Intuition und ein introvertiertes Fühlen. Das komplette Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ESTP haben eine extravertierte Sensorik, ein introvertiertes Denken, extravertiertes Fühlen und eine introvertierte Intuition. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Dieser Typ zeichnet sich durch introvertierte Intuition, extravertiertes Fühlen, introvertiertes Denken und extravertierte Sensorik aus. Ein komplettes Profil finden sie hier.
Der INFP-Typ zeichnet sich durch introvertiertes Fühlen, extravertierte Intuition, introvertierte Sensorik und extravertiertes Denken aus. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Den INTJ-Typ kennzeichnen introvertierte Intuition, extravertiertes Denken, introvertiertes Fühlen und extravertierte Sensorik. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der INTP-Typ zeichnet sich durch introvertiertes Denken, extravertierte Intuition, introvertierte Sensorik und extravertiertes Fühlen aus. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der ISFJ-Typ hat eine introvertierte Sensorik, extravertiertes Fühlen, introvertiertes Denken und extravertierte Intuition. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Der ISFP-Typ zeichnet sich aus durch introvertiertes Fühlen, extravertierte Sensorik, introvertierte Intuition und extravertiertes Denken. Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ISTJ haben eine introvertierte Sensorik, extravertiertes Denken, introvertiertes Fühlen und extravertierte Intuition.
Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Menschen vom Typ ISTP zeichnen sich aus durch introvertiertes Denken, extravertierte Sensorik, introvertierte Intuition und extravertiertes Fühlen.
Ein komplettes Profil finden Sie hier.
Gefährlich wird es, wenn man dem Arbeitgeber schon im Voraus seinen IQ preisgegeben hat, ohne es zu wissen und zu wollen. Wenn potenzielle Arbeitgeber tatsächlich anfangen, mit Algorithmen herauszufinden, wie intelligent Sie sind oder ob Sie Drogen nehmen, bleibt Ihnen nur noch, das System zu manipulieren.
Um die Maschine zu schlagen, müssen Sie also wie eine Maschine handeln, was bedeutet, dass die Maschine Sie geschlagen hat. Und auch das funktioniert ja nur, wenn Sie erraten können, wie Sie sich verhalten müssen, um einen guten Eindruck zu machen.
Was Big Data im Personalwesen kann
Ein Großhandelsunternehmen nutzt für eine interne HR-Analytse Daten und Modelle über Stärken und Schwächen im Management und warum die Leistung der Mitarbeiter in den unterschiedlichen Niederlassungen unterschiedlich ist. Zusammen mit einem Überblick über die Kontrollreichweite der einzelnen Managementeinheiten und den unterschiedlichen Vergütungsvarianten aller Abteilungen und Teams im Unternehmen lässt sich darstellen, wo im Unternehmen sich Talente bewegen. Ob sie das Unternehmen verlassen oder wo die Mobilität der Talente in höhere Positionen gut oder weniger gut ausgeprägt ist. Das gibt der Unternehmensführung Erkenntnisse darüber, wann sie Organisationsprozesse konsolidieren oder erweitern und wann sie neue Führungskräfte fördern oder dort Strukturen reorganisieren sollen.
Quelle: Cornerstone OnDemand
Xerox konnte die eigene Mitarbeiterfluktuationsrate in allen seinen Callcentern um etwa 50 Prozent reduzieren, nachdem es Big Data im Rahmen der Überprüfung der Bewerbungen einsetzte. Das Unternehmen hatte bisher Personen basierend auf deren Praxiserfahrungen eingestellt. Doch die Daten zeigten, dass die Persönlichkeit eine größere Rolle spielt als die Praxiserfahrung. Während kreative Menschen meist für mindestens sechs Monate im Unternehmen bleiben, so dass das Unternehmen wenigstens die Investitionen in deren Ausbildung erwirtschaften kann, verlassen wissbegierige Menschen das Unternehmen.
In einem anderen Unternehmen war das Team der HR Analytiker aus ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Personalplanung, herausgewachsen. Nach mehr als drei Jahren Analysen hatte das Team Rekrutierungs-Modelle entwickelt, die in der Lage waren, Arbeitsmarktdaten, Gehaltsdaten und Informationen über Fähigkeiten externer Personen miteinander zu korrelieren, um auf diese Weise lokale Rekrutierungsstrategien in der ganzen Welt zu entwickeln.
Es heißt zum Beispiel in dem betreffenden Forschungsbericht, eines der stärksten Anzeichen hoher Intelligenz sei, wenn man Curly Fries, also gewellte Pommes frites, mit „Gefällt mir“ anklicke. Wer soll denn auf so was kommen?
Sie denken, Ihre sexuelle Orientierung ist Privatsache? Schade, Google weiß es längst.
Vor ein paar Jahren entwickelten einige Studenten am Massachusetts Institute of Technology als Seminarprojekt für Facebook ein „Gaydar“, also ein „Schwulenradar“. Das Programm lernte schnell zu erkennen, dass ein bestimmtes Verhältnis homo- und heterosexueller Freunde im digitalen Bekanntenkreis ein belastbarer Indikator der sexuellen Orientierung war; über den Betreffenden selbst brauchte man gar nichts weiter zu wissen.
Nachdem die Studenten das Programm anhand der Profile von Facebook-Nutzern mit bekannter sexueller Orientierung trainiert hatten, konnte es in 78 Prozent der Fälle zutreffend voraussagen, ob ein Nutzer homosexuell war, einfach anhand seines sozialen Graphen. Das ist eine sehr hohe Quote gegenüber derjenigen, die zu erwarten wäre, wenn das Programm nur blind herumriete. Die läge bei ... hmmm also, vielleicht ... zehn Prozent? Zwei Prozent? Acht?
Und darum geht es auch im Grunde – teilweise wurde dieses Programm auch deswegen geschrieben, weil niemand weiß, wie viele Schwule es da draußen eigentlich gibt. Inzwischen können wir auf anderem Weg einen genaueren Wert bekommen, und das ist durchaus wichtig, denn, wie es in einer Studie geradeheraus heißt, „diese Arbeit kann als politische Richtlinie dienen“.
Sämtliche Präsidentschaftswahlen seit 1952 bis auf vier Stück hätten dem Unterlegenen den Sieg beschert, wenn sich nur fünf Prozent der Wähler anders entschieden hätten, also ist die Frage, ob eine bestimmte Gruppe ein, fünf oder zehn Prozent der Bevölkerung stellt, äußerst wichtig für die Politik.
Nun ist es für die Rechte der Homosexuellen unerheblich, wie viele sie sind – selbst wenn es nur einen Schwulen oder eine Lesbe im ganzen Land gäbe, verdiente er oder sie die gleichen Rechte wie alle anderen –, aber für die Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen ist die zahlenmäßige Stärke einer Interessengruppe, das ist politische Realität, sehr wohl wichtig. Bei einer historisch so stigmatisierten Gruppe ist eine große Anzahl auch eine Unterstützung für den Einzelnen, dessen Stimme nicht gehört wird. Die Zahl sagt: Ich bin hier.
Eine Welt der Schreibenden
Homosexuelle sind eine ungewöhnliche Minderheit in der Hinsicht, dass sie zumindest oberflächlich heterosexuell wirken können, wenn sie möchten. Das ist natürlich eine schmerzliche Entscheidung zwischen Selbstschutz und Selbstverwirklichung, wie sie wenige andere Menschen treffen müssen. Aber „the closet“, wie man in den USA sagt, der „Wandschrank“ als symbolisches Versteck, kostet nicht nur den Einzelnen, sondern auch unsere Gesellschaft einen hohen Preis, weil die Heimlichtuerei überkommene Einstellungen am Leben erhält – und Vorurteile, die man nicht herausfordert, bleiben immer am Leben.
Intoleranz zwingt die Betroffenen zu diesem Versteckspiel und schafft ihre eigene zynische Logik: Wenn ein großer Anteil einer Gruppe sich tarnt, werden die restlichen umso eher an den Rand gedrängt. Sichtbarkeit dagegen schafft Akzeptanz.
Was die Daten angeht, so zeigt Google Trends seine Fähigkeit, das herauszuholen, was die Menschen lieber verschweigen. Laut des ehemaligen Google-Analytikers Stephens-Davidowitz zielen fünf Prozent aller Google-Suchanfragen nach Nacktfotos in den USA auf „Abbildungen männlicher Homosexueller“ – damit meint er direkte Suchen nach Schwulenpornos und indirekte wie Suchen nach „rockettube“, einem beliebten Internetportal für Homosexuelle. Dieses Verhältnis von eins zu 20 ist in allen Bundesstaaten konstant, was bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Neigungen unabhängig vom politischen und religiösen Milieu eines Mannes sind.
Twitter macht uns alle zu 140-Zeichen-Sprachkrüppeln? Das Gegenteil ist der Fall
Trotz allen Händeringens über die Zerstörung unserer Kultur durch die Technik glaube ich, dass sogar der schreibfaulste Teenager im Jahr 2014 schon mehr geschrieben hat als ich oder meine Klassenkameraden in den frühen 1990er-Jahren. Die einzigen schriftlichen Mitteilungen von mir waren ein paar steife Grußkarten und vielleicht ein wirklicher persönlicher Brief pro Jahr. Ein Oberschüler von heute haut jeden Vormittag mehr raus.
Zahlen und Fakten zu Twitter
Twitter war zunächst nicht mehr als ein Nebenprodukt der Firma Odeo, die eine (allerdings wenig erfolgreiche) Podcasting-Plattform entwickelte. Die Macher suchten 2006 nach Alternativen – und entwickelten den Dienst mit seinen 140 Zeichen kurzen Texthäppchen. In den ersten Monaten gewann er zwar kaum Nutzer, doch nach einem erfolgreichen Auftritt auf der Technologiekonferenz SXSW hob Twitter ab.
Anfangs standen vier Freunde hinter Twitter: Evan Williams, der dank des Verkaufs seiner Plattform Blogger.com an Google auch Geldgeber war; außerdem Jack Dorsey, Biz Stone sowie Noah Glass. Letzterer wurde allerdings wegen seiner schwierigen Art schon bald aus der Firma gedrängt.
Die kurze Geschichte der Firma ist geprägt von Machtkämpfen zwischen den einstigen Freunden. Der erste Chef Jack Dorsey musste auf Veranlassung des Mitgründers Evan Williams sowie des Verwaltungsrates seinen Posten verlassen. Williams selbst hielt sich auch nicht dauerhaft an der Spitze – bei seiner Entmachtung im Oktober 2010 hatte Dorsey seine Finger im Spiel. Seitdem lenkte Dick Costolo, zuvor bei Google tätig, die Firma. Nach der Warnung des Unternehmens im ersten Quartal 2015, dass die angepeilten Umsätze nicht erreicht würden, und die Aktie weit unter den Ausgabekurs rutschte, war die Luft für ihn dünn geworden. Nach Monaten der Kritik von der Wall Street, Anteilseignern, Mitarbeitern und Kunden wurde Costolo am 1. Juli 2015 durch Twitter-Mitgründer Jack Dorsey ersetzt.
Twitter hat noch nie Gewinn gemacht. Im zweiten Quartal 2015 lag der Verlust bei unterm Strich 137 Millionen Dollar - immerhin 8 Millionen weniger als im Vorjahr. Vor allem Vergütungen für Mitarbeiter in Form von Aktienpaketen und Optionen machen sich bemerkbar.
Twitter hatte bis vor drei Jahren noch kein Werbegeschäft. Die Gründer verzichteten in der Anfangszeit bewusst auf Anzeigen, um die Nutzer nicht zu verschrecken. Im Frühjahr 2010 starteten erste Versuche mit Werbung zwischen den Tweets. Inzwischen ist das Geschäft beträchtlich angewachsen. Im zweiten Quartal 2015 stammten von den 502 Millionen Dollar Umsatz fast 90 Prozent aus dem Geschäft mit mobilen Anzeigen auf Smartphones oder Tablets. Die Werbeeinnahmen nahmen im vergleich zum Vorjahr um 63 Prozent auf 452 Millionen Dollar zu.
Twitter ist für die mobile Ära gerüstet. Ein Großteil der Werbeerlöse wird auf Smartphones und Tablet-Computern erwirtschaftet. Insgesamt hat Twitter mehr als 316 Millionen Nutzer pro Monat.
Twitter versucht nicht, den Einfluss der Gründer durch eine Aktienstruktur mit zwei Klassen zu sichern. Andere Internet-Unternehmen wie Google oder Facebook haben bei ihren Börsengängen den Investoren Papiere angeboten, die weniger Stimmrechte haben als die Aktien von Gründern und Spitzen-Managern. Bei Twitter sind alle Anteilseigner gleich, die Ausgabe von Vorzugsaktien ist nur als Möglichkeit für die Zukunft vorgesehen.
Man kann am Internet vieles bedauerlich finden, aber etwas macht es mir lieb und teuer: Es ist eine Welt der Schreibenden. Schon einfache Analysen zeigen, dass die in Twitter-Nachrichten aufgekommene Sprachform keineswegs verarmt ist. Ich habe die gebräuchlichsten Wörter auf Twitter mit den häufigsten des Oxford English Corpus (OEC) verglichen, einer fast 2,5 Milliarden Wörter umfassenden Textsammlung des modernen Sprachgebrauchs auf allen Gebieten – Reportage, Romane, Blogs, Zeitungen, alles eben. Das OEC ist die kanonische Bestandsaufnahme des Wortschatzes im Gegenwartsenglischen. Von all den Zehntausenden Wörtern, die in Gebrauch sind, habe ich nur die häufigsten 100 aufgenommen, was auf den ersten Blick ein bisschen dünn wirkt, aber diese 100 Wörter machen bereits die Hälfte aller geschriebenen Texte aus (sowohl bei Twitter wie im OEC).
Werkzeuge sozialer Verbundenheit
Am auffälligsten in der Twitter-Liste ist dabei, dass es trotz allen Grollens der abgehärmten Sprachhüter in der Festung Englisch nur zwei „Netspeak“-Wörter darin gibt, also internettypische Verkürzungen – nämlich rt für „retweet“ und u für „you“. Man sollte doch meinen, dass Verkürzungen, ob grammatisch korrekt oder nicht, in einem auf 140 Zeichen beschränkten Format dominieren, aber die Nutzer scheinen die Begrenzung eher zu umgehen, als stur draufloszuschreiben. Zweitens fällt auf, dass die durchschnittliche Wortlänge in der Twitter-Liste größer als die im OEC ist – 4,3 gegen 3,4 Buchstaben.
Und schließlich sollte man auf den Inhalt der Twitter-Worthitliste achten. Ich habe die Wörter markiert, die nur hier auftreten, um den Vergleich zu erleichtern. Während die OEC-Liste ziemlich banal ausfällt – lauter Partikeln und Hilfswörter, handwerklich notwendig, um dann und wann ein Nomen oder Verb einzuflechten –, gibt es bei Twitter keinen Platz für Füllwörter, jedes einzelne ist wichtig. Also erreichen kraftvolle Vertreter wie love (lieben), happy (froh), life (Leben), today (heute), best (am besten), never (nie), home (zu Hause) die Liste der 100 häufigsten Wörter.
Twitter verbessert womöglich sogar den Schreibstil seiner Nutzer, weil es sie zwingt, mehr Bedeutung aus weniger Buchstaben zu pressen – eine Verkörperung von William Strunks berühmtem Ausspruch „Lass überflüssige Wörter weg“. Wer tweetet, muss sich zwangsläufig kurz fassen, und ungewollt wird so auch eine größere Wortlänge gefordert: Längere Wörter bedeuten weniger Wörter und damit auch weniger Leerzeichen, also bessere Platzausnutzung. Die Gedanken auf Twitter mögen zwar verkürzt ausgedrückt sein, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie verflacht sind.
Einem Forscherteam an der Arizona State University gelang es, über Häufigkeit und Länge der Wörter hinaus auch Tonfall und Stil der Texte zu bewerten, und es ergab sich Überraschendes: Erstens verändert Twitter den gewöhnlichen Schreibstil eines Nutzers nicht. Eines von vielen Beispielen ist, dass Nutzer, die „you“ in E-Mails und SMS als „u“ abkürzen, das auch bei Twitter tun, während diejenigen, die bei der korrekten Schreibweise bleiben, sie auch in Tweets ausschreiben. Der Stil ändert sich also nicht mit dem Medium. Auch die lexikalische Dichte von Tweets ist bereits linguistisch analysiert worden, also der Anteil an bedeutungstragenden Wörtern wie Verben und Nomen, und es ergab sich, dass er nicht nur höher als in E-Mails lag, sondern an das US-Debattenmagazin „Slate“ heranreichte, das als Kontrollmedium diente.
All das führt zu einer Schlussfolgerung: Twitter hat unseren schriftlichen Ausdruck weniger verändert, sondern viel mehr einem beschränkten Raum angepasst. Die Daten zeigen keinen Kahlschlag aus Baumstümpfen, sondern einen Wald von Bonsaibäumen. Wie auch immer Twitter die Sprache verändert – das ist nichts gegen das Ausmaß, in dem es die Sprachforschung verändert. Twitter zeigt uns Wörter nicht nur als Bausteine von Gedanken, sondern als Werkzeuge sozialer Verbundenheit, und das ist in der Tat der Zweck der Sprache, seit die Menschheit über die Steppe der Serengeti zu schlurfen begann."