
Der Brandbrief ihres neuen Chefs, Per Utnegaard, erreichte die Bilfinger-Belegschaft am vergangen Mittwochmorgen, kurz bevor dieser die desolaten Quartalszahlen mit einem Minus von 423 Millionen Euro auch in Öffentlichkeit erklären musste. Das Schreiben, das der WirtschaftsWoche vorliegt, sorgt für Aufsehen unter den Mitarbeitern. „Die Nervosität bei den Leuten steigt deutlich“, so ein Insider.
Das ist verständlich. Selten ist ein bedeutendes Unternehmen in Deutschland so katastrophal und schnell abgestürzt wie der Kraftwerks-, Industrie- und Gebäudedienstleister aus Mannheim. Der Ex-Politiker Roland Koch und der danach eingesetzte Interimschef Herbert Bodner haben ein Unternehmen in offenbar desolatem Zustand hinterlassen, das Nachfolger Per Utnegaard nun nach sechs Wochen im Amt schonungslos auf den Prüfstand stellt und in drastischen Worten beschreibt.
Wie drastisch, das schockt selbst hart gesottene und gründlich desillusionierte Bilfingerianer. WirtschaftsWoche Online präsentiert die wichtigsten Mitteilungen Utnegaards im O-Ton:
- „Nach mehreren Gewinnwarnungen ist das Vertrauen der Öffentlichkeit und des Kapitalmarkts in Bilfinger auf einen Tiefpunkt gesunken.“
- „Der Markt kennt kein Mitleid mit ineffizienten Unternehmen.“ Wir müssen „unsere Kosten in allen Bereichen reduzieren. Insbesondere die Verwaltungskosten sind deutlich zu hoch. Dabei ist es besonders wichtig, dass wir Prozesse vereinfachen und Bürokratie abbauen. Wir denken im Unternehmen an vielen Stellen zu kompliziert – anstatt den einfachen und direkten Weg zur Problemlösung zu gehen.“
- „Wir können es uns nicht erlauben, dass aktuell 700 Millionen Euro im Umlaufvermögen gebunden sind. Erbrachte Leistungen werden nicht zügig in Rechnung gestellt. Und selbst dann müssen wir viel zu lange auf unser Geld warten. Es ist nicht akzeptabel, dass unsere Forderungen im Durchschnitt erst nach 72 Tagen beglichen werden. Wir müssen die Kapitalbindungsdauer verkürzen. (…) Cash ist für ein Unternehmen überlebenswichtig.“
Das Bilfinger-Geschäftsjahr 2014 nach Sparten
Umsatzerlöse: 3,73 Milliarden Euro
Investitionen: 67 Millionen Euro
Mitarbeiter: 33.000 Angestellte
Quelle: Statista, Geschäftsbericht 2014
Umsatzerlöse: 2,63 Milliarden Euro
Investitionen: 32 Millionen Euro
Mitarbeiter: 23.700 Angestellte
Umsatzerlöse: 1,44 Milliarden Euro
Investitionen: 22 Millionen Euro
Mitarbeiter: 11.500 Angestellte
Umsatzerlöse: -0,12 Milliarden Euro (Konsolidierung)
Investitionen: 18 Millionen Euro (Sonstiges)
Mitarbeiter: 843 Angestellte (Zentrale)
- „Der Weg wird anstrengend. Und es wird wahrscheinlich auch den ein oder anderen Rückschlag geben. Die ersten sechs Monate des Jahres spiegeln das – wie erwartet – wider. Wir bleiben weit hinter unseren Möglichkeiten zurück. Wir verkaufen unsere komplexen Produkte und Services zu preiswert. Die Kosten für die Erbringung der Leistung sind zu hoch, die Profitabilität zu niedrig. “
- „In der Vergangenheit hat die Reputation von Bilfinger unter mangelnder Compliance gelitten. Das müssen und werden wir ändern. Daher gehen wir jedem Verdacht auf einen Regelverstoß nach. Wenn sich ein Verdacht bestätigt, wird das Konsequenzen nach sich ziehen.“
- „Unser Unternehmen steht am Anfang eines großen Veränderungsprozesses, der auch schwierige Entscheidungen und schmerzhafte Maßnahmen mit sich bringen wird.“
- „Ein Weiter-So kann es nicht geben und wird es nicht geben.“
- „Es geht um unsere gemeinsame Zukunft.“
Man fragt sich angesichts der Utnegaard-Bestandsaufnahme und -Ansage, was die Vorgänger Koch und Bodner eigentlich richtig gemacht haben in dem bis vor zwei Jahren an der Börse erfolgreichen M-Dax-Mitglied. Utnegaards erteilt beiden für ihre Managementleistung eine glatte Sechs.
Die Frage stellt sich aber auch, ob Jens Tischendorff - als lange Zeit einziger Vertreter des Großaktionärs Cevian - der Misere nicht doch zu lange tatenlos zugeschaut hat. Inzwischen hat der Cevian-Partner und neue Bilfinger-Aufsichtsratschef Eckhard Cordes die Ober-Kontrolle übernommen.
In die Sanierung – oder doch die Zerschlagung? - des Unternehmens will Utnegaard 130 Millionen Euro investieren. Für den 15. Oktober hat der Norweger mit schweizerischem Akzent sein Sanierungs- und Umstrukturierungskonzept angekündigt.
Gut 24.000 Mitarbeiter in Deutschland und 69.000 weltweit warten mit den Aktionären auf Antworten und Maßnahmen, die die seit Sommer 2014 andauernde Agonie in dem völlig verunsicherten Konzern endlich beenden.