Billiglöhne in der Schlachtindustrie „Ich war fremd und ihr habt mich ausgebeutet“

Gefrorene Hähnchen Quelle: imago images

Tönnies ist in den vergangenen Wochen zum Synonym für den zweifelhaften Umgang mit Billiglöhnern in der Fleischbranche geworden. Doch auch beim Geflügelschlachter Wiesenhof im bayerischen Bogen zeigen sich die fragwürdigen Zustände der Branche.

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Die Parallelwelt beginnt in der Altstadt der niederbayerischen Stadt Straubing. Janut S. (Name geändert) streckt seinen Kopf aus dem Fenster des Hauses in einer der Gassen neben der Kirche. Der mittelalterliche Wachtturm ragt über den Häusern empor. Es ist genau die Idylle, die sich der 30-jährige Rumäne von Deutschland erträumt hatte.

Ein Job bei einem deutschen Unternehmen mit deutschem Mindestlohn und einer guten Unterkunft versprach ihm der Vermittler, auf den der Rumäne vor einem halben Jahr in seiner Heimat gestoßen war. Vorgefunden hat er ein winziges Zimmer ohne Küche und Dusche und eine Arbeit im nächstgelegenen Schlachthof bei einem Subunternehmer von Wiesenhof, dessen Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen regelmäßig in der Kritik von Gewerkschaftern stehen. Und dann kam auch noch Corona. „Das ganze Haus stand unter Quarantäne“, berichtet Janut S.

Schon in ein paar Tagen will Janut S. wieder zurück in seine Heimat fahren. Ob er wiederkommt, lässt er offen. Für seinen Arbeitgeber dürfte es auch keinen Unterschied machen. Der schnelle Nachschub an Arbeitern aus Südosteuropa gehört für viele Subunternehmen der Fleischindustrie praktisch zum Geschäftsmodell.

von Jacqueline Goebel, Andreas Macho

Arbeiter wie Janut S. sind der Grund dafür, warum das Fleisch in Deutschland so günstig ist. Ganze Heere an billigen Arbeitskräften aus Südosteuropa bilden die Basis für die deutsche Schlachtindustrie. Nicht selten arbeiten sie auf Werksvertragsbasis für Subunternehmen der eigentlichen Schlachtkonzerne. Die massenhaften Corona-Fälle beim Schlachtkonzern Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück offenbarten die kritikwürdigen Wohn- und Arbeitsbedingungen dieser Menschen.

Während der Konzern Tönnies nun selbst aktiv wurde und verkündete, bis 1. September 1000 Werkarbeiter seiner Subunternehmen anzustellen, breitet sich die Pandemie in immer neuen Teilen der Fleischbranche aus. Erst diese Woche wurden mehr als 60 Mitarbeiter eines Geflügelschlachthofs von Wiesenhof, der bekanntesten Marke der PHW-Gruppe, im Landkreis Vechta positiv auf Corona getestet. Bereits im Mai wurden fast 100 Mitarbeiter des Wiesenhof-Schlachtbetriebs im bayerischen Bogen positiv getestet. Wie sehr die Infektionen mit den Lebensbedingungen der oftmals rumänischen, bulgarischen oder polnischen Arbeiter zu tun haben könnten, zeigt sich bei einem Ortstermin in Bogen.

Frida Z. (Name geändert) steht in der Küche ihrer kleinen Wohnung am Stadtrand von Straubing. Das Zimmer ist voll mit kleinen Figürchen, Bildern und Ansichtskarten. Jahrelang hat die gebürtige Rumänin in Deutschland gearbeitet, um zu diesem sehr bescheidenen Wohlstand zu kommen. Fast 13 Jahre hat sie in dem Schlachthof von Wiesenhof im naheliegenden Bogen gearbeitet. Seit 2016 arbeitete sie für den Wiesenhof-Subunternehmer MF Gruppe. Zumindest bis sie nach einem Unfall ihre Stelle verlor. Wie genau das geschehen ist, darüber gehen die Ansichten von Frida Z. und dem Unternehmen MF Gruppe auseinander.

Frida Z. erzählt, dass sie im Frühjahr 2018 während der Arbeit im Schlachthof eine 35 Kilogramm schwere Kiste derart unglücklich gehoben hatte, dass sie sich dabei eine schwere Verletzung am Arm zugezogen hatte. Trotz starker Schmerzen hielt sie die Verletzung vor ihrem Arbeitgeber geheim. „Jeder wusste, dass Krankenstand die Kündigung bedeutet“, sagt Frida Z. Als die Schmerzen nach einem halben Jahr unerträglich wurden, wandte sich Frida Z. an einen Arzt. Der verordnete Krankenstand. Kurz darauf kündigte die MF Gruppe Frida Z.

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