BMW und Codelco Ökologisches Kupfer ist eine fast unmögliche Mission

Toxische Wolken: Kurz nach Schichtbeginn sprengen die Minenarbeiter, dann steigt Kupferstaub in die Luft. Quelle: Getty Images

Der Kupferabbau gilt als besonders dreckig, giftig und gefährlich. BMW will beim chilenischen Konzern Codelco ethisch und ökologisch sauberes Kupfer einkaufen. Doch der Weg zur nachhaltigen Wertschöpfung ist kompliziert.

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Patricio Chávez sitzt im elften Stock der Zentrale des Kupferkonzerns Codelco. Hier, im Zentrum von Chiles Hauptstadt Santiago, dreht sich die Welt um das rote Metall: Aufzugtüren, Handläufe, Türknaufe, selbst die Kunst an den Wänden – alles aus Kupfer. Als Vizepräsident für Nachhaltigkeit soll Chávez das Unternehmen auf eine ökologisch verträgliche Produktion vorbereiten – eine fast unmögliche Mission.

Chávez zieht das Schreiben eines Großkunden aus Europa aus einem Briefstapel vor sich. Das Unternehmen verlangt eine Stellungnahme zu einem Vorfall in einer Kupfermine vor einer Woche. „Unsere Kunden wollen heute Transparenz“, seufzt Chávez, der langsam spricht und jedes Wort abwägt, weil er weiß, wie revolutionär einige seiner Thesen in einem Traditionskonzern wie Codelco klingen. Der chilenische Staatskonzern ist ein Gigant der Branche, seit Jahren unangefochtener Weltmarktführer. Acht Prozent der globalen Kupferreserven gehören ihm. Die Produktion steht für ein Zehntel des Weltmarktes. Jahrzehntelang habe man das Kupfer produziert und verkauft, aber sich sonst um wenig gekümmert. „Das geht so nicht mehr.“

Einer, der Druck macht, ist der deutsche Autobauer BMW. Mit den Münchnern hat Codelco Anfang des Jahres eine strategische Allianz eingefädelt, die in der Branche weltweit für Aufsehen sorgt. Gemeinsam mit den Bayern will Codelco vom Abbau des Metalls bis hin zum Einbau in die Fahrzeuge eine „Responsible Copper Initiative“ erarbeiten. Acht Kriterien sollen die Herstellung künftig bewerten, etwa ob die Produktion den Umweltschutz und die Gleichstellung der Geschlechter fördert. Und ob der Konzern ethisch handelt, transparent produziert, fair gegenüber Mitarbeitern ist und lokal Arbeitsplätze schafft.

Die Initiative ist ein Kraftakt. Der Abbau und die Veredelung von Kupfer gelten als besonders dreckig, giftig und gefährlich. So sehr sich Unternehmen wie BMW um nachhaltige Rohstoffe und eine soziale Einkaufspolitik bemühen, so schwer ist es, die Prozesse vor Ort anzupassen. Möglich ist das, aber der Umbau dauert. Und so richtig umweltverträglich ist der Eingriff in die Natur wohl nie.
Codelco prescht dennoch vor. Das Unternehmen hat im November 2017 auf der Kupferkonferenz in Shanghai die Initiative „Grünes Kupfer“ vorgestellt – sie gilt als eine historische Zäsur. Die Kupferbranche rede seitdem „euphorisch“ von einer nachhaltigen Rohstoffära, beobachtet Annika Glatz von der Deutsch-Chilenischen Handelskammer, eine der führenden ausländischen Bergbauexpertinnen in Santiago. „Alle hoffen, dass für Kupfer mit höheren Zertifizierungen bald höhere Preise gezahlt werden.“

Die ersten 5000 Tonnen des „grünen Kupfers“ will Codelco noch dieses Jahr liefern. Das ist nur ein Bruchteil der Menge von 1,842 Millionen Tonnen Kupfer, die Codelco 2017 produzierte. Aber es ist doch eine ganze Menge für einen Abnehmer wie BMW. Der Autobauer kaufte vergangenes Jahr 42 000 Tonnen des roten Metalls. Das reicht für die Herstellung von knapp 1,7 Millionen Autos. Im Schnitt benötigt jeder Pkw 25 Kilogramm Kupfer: etwa für Stromkabel und Aluminiumlegierungen. Sollte BMW in sieben Jahren, wie geplant, 25 Elektroautomodelle anbieten, bräuchten die Bayern 20.000 zusätzliche Tonnen Kupfer. Die Allianz mit Codelco sei „ein Meilenstein in unserer Strategie für Nachhaltigkeit in den Lieferketten“, sagt Thomas Thym, Leiter BMW Group Strategie Einkauf und Lieferantennetzwerk. Damit will BMW auch auf kritische Aktionäre und anspruchsvolle Kunden reagieren, die immer mehr nach sauberen und fair hergestellten Produkten verlangen.

Doch noch sei „grünes“ Kupfer vor allem „ein Marketinginstrument“, sagt Jorge Cantallopts, Chefökonom der staatlichen Kupferkommission Cochilco, dem Aufsichtsorgan der Branche, 100 Meter von der Codelco-Zentrale entfernt. Erst „in zehn Jahren wird es Alltag sein“. In der Branche fände seit Codelcos Ankündigung nun ein Wettrennen um die Standards statt. Bei Eisenerz, Zellulose oder Aluminium habe man die Nachhaltigkeitskriterien schon klären können. „Wer jetzt als Erster einen Nachhaltigkeitsstandard für Kupfer durchsetzt, der hat als Trendsetter einen Wettbewerbsvorteil in der Branche“, sagt Cantallopts.

Die saubere Welt

Codelco-Manager Chávez versucht deshalb unter Hochdruck, die noch schwammig formulierten Kriterien über Nachhaltigkeit mit Inhalt zu füllen. Das sei schwierig. Denn es gehe schlicht darum, eine Kultur in einem Konzern zu ändern, die sich seit 70 Jahren kaum geändert hat. „Auf dem Papier sieht das alles gut aus“, sagt Chávez. „Aber der Konzern lebt in zwei Welten.“ Aus diesen zwei Welten wird auch BMW noch länger sein Kupfer beziehen – und die könnten unterschiedlicher kaum sein.

In einem Hochhaus im Bankenviertel Santiagos sitzt ein Dutzend Mitarbeiter in einer Schaltzentrale vor ihren Bildschirmen. Von dort aus steuern sie über zwei Glasfaserkabel die Mine Ministro Hales. Die liegt 1300 Kilometer entfernt im Norden. Nur eine halbe Sekunde zeitverzögert verfolgen die Techniker den Betrieb in der Mine. Keine quäkenden Walkie-Talkies, kein Staub und keine Detonationen stören die Ruhe. Die Mitarbeiter reden konzentriert mit den Arbeitern in der Mine.

In der Hauptstadt Santiago sind externe Experten einfach zu rekrutieren, ganz anders als in der Mine selbst, wo alleine für die Anreise ein Tag draufgeht. Wenn in der Röstanlage das Erz feststeckt, dann drücken sie in der runtergekühlten Zentrale in Santiago Knöpfe und bewegen per Joystick den Pressluftroboter, um Klumpen aufzubohren. 13 Prozent der Mitarbeiter sind weiblich. Das ist ungewöhnlich in der männerdominierten Branche. Die Schichtleiterin, eine Informatikerin, erklärt, dass der Job auch für sie mit kleinen Kindern attraktiv sei. Ein traditioneller Bergbaujob mit wochenlangen Schichten weit weg von zu Hause käme für sie nicht infrage.

Die weltgrößten Kupferproduzenten

In der Schaltzentrale regiert Big Data. Alles wird gemessen, ständig adjustiert, optimiert und registriert. Für jede Tonne Kupfer, die von hier verschifft wird, kann Codelco angeben, wo das Erz geschürft, geschmolzen und abtransportiert wurde, welche Ressourcen eingesetzt wurden und welche Emissionen dabei entstanden. „Traditionelle Minen sind wie Inseln, die Kupfer ausspucken – doch was dabei genau passiert ist, weiß keiner“, sagt die Informatikerin. „Unsere Computer hier vergessen nie.“

Das Abbaugebiet Ministro Hales läuft seit zwei Jahren auf Hochtouren: Die Kupfermine sei, so heißt es bei Codelco, die produktivste weltweit. Vor Ort wird das kupferhaltige Gestein in geschlossenen Anlagen zerkleinert und geröstet. Windstromanlagen liefern einen Teil der Energie. Die 36 gigantischen 400-Tonnen-Lader sollen in naher Zukunft fahrerlos durch die Mine fahren.

Die dreckige Welt

Zehn Kilometer nördlich von Ministro Hales, den Berg hinauf nach Chuquicamata, liegt die größte Tagebaumine für Kupfer weltweit. Dort wird schon seit mehr als einem Jahrhundert Kupfer gefördert. Hier befindet sich die zweite Welt Codelcos, wie Patricio Chávez sie nennt. Die weniger schöne.

Man erreicht sie über Calama, eine Stadt mitten in der Atacama-Wüste, am Fuß der Berge. Sie ist mit einem Jahresniederschlag von null Millimetern einer der trockensten Orte der Erde. Trotz ihrer 150 000 Einwohner wirkt sie wie ein Dorf. Calama ist eine Schlafstadt aus Herbergen, Apartments und Motels für Bergarbeiter, mit trostlosem Freizeitpark samt Achterbahn im Zentrum.

Jeden Morgen um 4.30 Uhr kommt Leben in die Agglomeration. Da setzt der tägliche Exodus in Richtung Norden ein. In Hunderten von roten Pick-ups und Bussen fahren die Ingenieure und Arbeiter in die Berge mit den großen Kupferminen der Region. Eine halbe Stunde nach Schichtbeginn steigt eine dichte Staubwolke über den Bergen auf. Mit Dynamit werden in Chuquicamata die Steinbrocken für den täglichen Abbau gesprengt. Es entsteht eine toxische Wolke, die in den nächsten Stunden das Sonnenlicht nur gefiltert durchlässt und sich je nach Windrichtung bis ins zehn Kilometer entfernte Calama bewegt. Wegen der hohen Arsenbelastung wurde die nahe der Grube liegende Arbeitersiedlung von Chuquicamata 2007 aufgelöst, die 4000 Arbeiter mit Familien wurden nach Calama umgesiedelt. Inzwischen bedeckt der 100 Meter hohe Abraumhügel der Mine bereits große Teile der verwaisten Siedlung.

Bolzplatz reicht nicht mehr

Viele Arbeiter – vor allem leitende Mitarbeiter und Ingenieure – sind mit ihren Familien direkt weitergezogen. Sie kommen für Wochenschichten in die Wüstenstadt. In Calama hält es die wenigsten Familien, klagt ein Taxifahrer. Und Touristen verschwinden eiligst in die nahe gelegene, romantische Oasenstadt San Pedro de Atacama. „Kein Zweifel“, sagt Patricio Chávez, „Städte wie Calama sind von der Wertschöpfungskette des Kupfers weitgehend ausgeschlossen.“

Doch damit werden sie zum Problem für „grünes Kupfer“. Denn eines der Nachhaltigkeitskriterien lautet: Die Gemeinden sollen vom Abbau profitieren. Bisher war das kein Thema. „Vor 50 Jahren waren die Menschen glücklich, wenn eine Mine in der Nachbarschaft eröffnet wurde“, erklärt Cantallopts vom Thinktank Cochilco den Kulturwandel. Sie bekamen asphaltierte Straßen und Jobs. Vor zehn Jahren reichte es, eine Schule und einen Fußballplatz zu bauen. „Doch heute wollen die Menschen mitreden.“ Das war im Geschäftsmodell nicht vorgesehen. Dass sie Bergwerke sozial verankern sollen, muss Codelco mühselig lernen.

Für „green copper“ müssen auch Umweltfolgen bilanziert werden. In der Mondlandschaft um Calama stehen künstliche Berge, hoch wie Pyramiden. Abraumberge sind es, „Torten“ genannt. Sie finden sich neben flachen Seen, die sich kilometerlang durch die Landschaft erstrecken, groß wie Wattenmeere. Dort sammeln sich die flüssigen Rückstände der Produktion. Für jede Tonne Kupfer fallen 200 Tonnen Abfall an. Rund 2200 dieser Abraumseen gibt es in Chile. Alle sind schwer belastet.

Das größte Kupferbergwerk von Codelco in Chile Quelle: imago images

„Es ist die Frage, ob man überhaupt von ‚grünem Kupfer‘ reden kann, bei den Mengen Schwefel und Arsen, die dabei entstehen“, sagt Ivan Valenzuela – kein Umweltaktivist, sondern früher Personalchef bei Codelco und in der Ära der Demokratisierung nach Diktator Pinochet Sekretär im Ministerium für Bergbau. Der Ökonom ist so etwas wie ein Vordenker der Branche auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Er leitet Ecometales, ein Unternehmen, das auch zu Codelco gehört.

Bei Calama hat Valenzuela die größte Raffinerie weltweit aufgebaut, um mit einer Lauge das Arsen aus den Rückständen abzuspalten und zu stabilisieren – ein hochtoxischer Prozess. In der Anlage müssen alle Mitarbeiter Gasmasken benutzen. Alle drei Monate werden ihre Blutwerte auf Arsen getestet. Die Raffinerie verwandelt Arsen in Skorodit. Das ist grauer, ungiftiger Staub, der, auf einer Halde aufgehäuft, sich kaum von dem Geröll und Staub der Wüste unterscheidet. Die Anlage sei die Niere der Kupferproduktion – bei der gleichzeitig noch eine ganze Menge Kupfer als Nebenprodukt aus dem Abraum zurückgewonnen wird.

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So will Ecometales das Beste aus der giftigen Kupferproduktion herausholen. Valenzuela sieht Geschäftsfelder, wo andere Umweltschäden sehen. Für ihn sind die Abraumseen neben den Minen daher kein „Abfall“, sondern neue Minen. Sie seien durchsetzt mit wertvollen Rückständen wie Gold oder Seltenen Erden, die sich mit neuer Technik gewinnen lassen. Er hat daher seine ganz eigene Definition von Nachhaltigkeit entwickelt: „Im Prinzip geht es bei ‚grünem Kupfer‘ darum, dass wir mit dem zugefügten Ingenieur- und Chemiefachwissen den Wert steigern“, sagt Valenzuela.

Er würde den Bergbaukonzern Codelco daher gerne in den „Ingenieurkonzern“ Codelco verwandeln – schon allein aus Eigeninteresse. Vor Augen hat er den untergegangenen US-Fotokonzern: „Wir wollen nicht irgendwann als ‚Kodak‘ der Kupferhersteller enden.“

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