Boehringer Ingelheim Familienkonzern ist bereit für den Chefwechsel

Nach zwei schwachen Jahren laufen die Geschäfte bei Boehringer Ingelheim wieder rund. Der Umsatz kletterte um gut elf Prozent. Doch noch hinkt der zweitgrößte deutsche Pharmakonzern der Konkurrenz hinterher.

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Der Manager wird Ende Juni die Unternehmensleitung des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim übernehmen. Quelle: dpa

Frankfurt Nach zwei schwachen Jahren mit Umsatzeinbußen ist Boehringer Ingelheim 2015 wieder deutlich auf Wachstumskurs zurückgekehrt. Das Familienunternehmen steigerte im vergangenen Jahr seine Erlöse um elf Prozent auf 14,8 Milliarden Euro, der Betriebsgewinn legte um sechs Prozent auf 2,27 Milliarden Euro zu. Deutschlands zweitgrößter Pharmahersteller verbesserte seinen Nettogewinn dank eines deutlich geringeren Steueraufwandes sogar um die Hälfte auf 1,57 Milliarden Euro.

Den Anschluss an den Trend der Pharmabranche hat der Konzern damit allerdings noch nicht wieder ganz gefunden. Denn klammert man positive Währungseffekte aus, legte Boehringer organisch insgesamt nur um vier Prozent und in der Pharmasparte um 2,6 Prozent zu. Gebremst wurde der Konzern dabei von Umsatzeinbußen bei der inzwischen verkauften Generikatochter Roxane. Ohne diesen Effekt wäre man im Pharmageschäft organisch immerhin um vier Prozent gewachsen.

Die Umsätze der führenden 30 Pharmahersteller dürften nach Schätzung des Handelsblatts währungsbereinigt dagegen noch etwas stärker, um fünf bis sechs Prozent, zugelegt haben, Boehringer selbst geht sogar von neun Prozent Marktwachstum aus. Konkurrenten wie Abbvie, Novo Nordisk, Bayer sowie etliche US-Biotechkonzerne verbuchten deutlich höhere organische Zuwachsraten. Bayer zum Beispiel meldete für seine Pharmasparte währungsbereinigt zehn Prozent Wachstum.

Der scheidende Boehringer-Chef Andreas Barner zeigt sich dennoch zufrieden. „Wichtig für uns war, dass wir wieder gewachsen sind, und dies auch mit den Produkten, für die wir uns das vorgenommen haben.“ sagte er dem Handelsblatt. „Noch nie in unserer Geschichte haben wir so viele Einreichungen, Zulassungen und Neueinführungen von Produkten verzeichnen können wie 2015.“

Barner, der Ende Juni nach 17 Jahren in der Unternehmensleitung von Boehringer das Ruder an den bisherigen Finanzchef Hubertus von Baumbach übergibt, bewertet 2015 als „herausforderndes“, aber auch erfolgreiches Jahr , in dem man entscheidende strategische Weichen gestellt habe. Die gravierendste Weichenstellung ist dabei der geplante Asset-Tausch mit Sanofi. Boehringer will in diesem Zuge die Tiermedizin-Sparte von Sanofi für 11,4 Milliarden Euro übernehmen und im Gegenzug das eigene Geschäft mit verschreibungsfreien Arzneien an den französischen Pharmariesen abgeben.

Die 4,7 Milliarden Euro, die Boehringer zusätzlich an Sanofi zahlen soll, stellen für den extrem stark finanzierten Familienkonzern keinerlei Problem dar. In das neue Jahr ist Boehringer mit einer Netto-Cashreserve von mehr als neun Milliarden Euro gestartet. Zusätzliche Einnahmen bringt der inzwischen vollzogene Verkauf der US-Generikasparte an die britische Firma Hikma und die kürzlich vereinbarte Entwicklungsallianz mit dem US-Konzern Abbvie auf dem Gebiet der Autoimmun-Erkrankungen. Für die Vertriebsrechte an zwei aussichtsreichen Wirkstoffkandidaten von Boehringer zahlt Abbvie einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.


Konzern pumpt viel Geld in die Forschung

Der designierte neue Firmenchef von Baumbach bekräftigte einmal mehr das Ziel, die Unabhängigkeit des Konzerns zu erhalten. „Eine Voraussetzung dafür ist die finanzielle Bewegungsfreiheit, basierend auf einer entsprechenden Liquiditätsposition und einer gesunden Eigenkapitalquote.“

Die im Dezember gestarteten exklusiven Verhandlungen mit Sanofi hofft Boehringer bis Jahresmitte abzuschließen. Ein Vollzug der Transaktion könnte dann bis Ende des Jahres oder in der ersten Hälfte 2017 erfolgen.

Der Ingelheimer Konzern will sich mit dieser bisher größten Übernahme der Firmengeschichte noch stärker auf das innovative Pharmageschäft in der Human- und Tiermedizin fokussieren. „Wir konzentrieren uns auf Kernkompetenzen und Geschäftsfelder, in denen wir eine führende Rolle einnehmen oder sie erreichen können“, sagt dazu Barner.

In eine ähnliche Richtung zielt die kürzlich erneuerte Forschungsstrategie. Sie sieht für die kommenden fünf Jahre Investitionen von elf Milliarden Euro für die Entwicklung innovativer Arzneimittel vor. Alleine fünf Milliarden davon sollen in die präklinische Forschung fließen, weitere 1,5 Milliarden in externe Partnerschaften. „Innovation ist die Grundvoraussetzung, um nachhaltig wachsen zu können“, sagt Barner.

Der Konzern war in dieser Hinsicht in den vergangenen beiden Jahren relativ erfolgreich – mit insgesamt elf Neueinführungen, darunter vier völlig neue Wirksubstanzen. Seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhte er 2015 überproportional zum Umsatz um 13 Prozent auf rund drei Milliarden Euro. Konzernweit entspricht das einer Quote von gut 20 Prozent.

Boehringer gehört damit zu den forschungsintensivsten Unternehmen der Branche. Im Pharmageschäft alleine pumpt Boehringer derzeit knapp ein Viertel der Erlöse in die Forschung – und damit auch deutlich mehr als der größere Bayer-Konzern, der zuletzt 2,3 Milliarden Euro (17 Prozent vom Umsatz) für die Pharmaforschung ausgab.

Im operativen Geschäft profitierte Boehringer unterdessen ähnlich wie die meisten international agierenden Großkonzerne von deutlich positiven Währungseffekten. Die wichtige Pharmasparte, die rund drei Viertel zum Gesamtumsatz beisteuert, legte um knapp elf Prozent auf 11,2 Milliarden Euro zu. Währungsbereinigt entspricht das 2,6 Prozent Plus, während die kleinere Sparte Tiergesundheit organisch um ein Zehntel und der Bereich Biopharmazeutika, das Auftragsgeschäft in der Produktion von Biotech-Wirkstoffen, sogar um 15 Prozent zulegten.


Barner warnt vor schwierigem Umfeld

Im Pharmageschäft kamen Boehringer teilweise auch bereits die Neuzulassungen der vergangenen Jahre zugute, darunter mehrere Krebs- und Diabetesmittel. Sehr starke Zuwächse von mehr als 40 Prozent verbuchte der Konzern insbesondere beim Diabetesmittel Tradjenta. Und mindestens ebenso positiv werden die Perspektiven der Neuentwicklung Jardiance eingeschätzt. Für dieses Diabetesmedikament konnte Boehringer im vergangenen Jahr in einer großen Studie nachweisen, dass es die Rate der Herzkreislaufprobleme sowie dadurch bedingte Todesfälle bei Diabetikern deutlich reduziert. Das dürfte nach Einschätzung von Analysten dem Medikament klare Vorteile im Wettbewerb bringen.

Andererseits verweist das Unternehmen auch auf „zunehmenden Preisdruck“ bei etablierten Medikamenten in vielen Märkten. Das Marktumfeld werde für die gesamte Pharmabranche herausfordernder, warnt Barner. Zwar wachse der Markt weltweit, „aber der Marktzugang für innovative Medikamente wird zunehmend schwieriger, und gleichzeitig nimmt der Preisdruck zu.“

Der Ingelheimer Konzern erwartet daher für die Pharmabranche insgesamt nur geringe Wachstumsimpulse. Auch für das eigene Geschäft geht er daher – trotz der jüngeren Zulassungserfolge – nur von einem geringen Umsatzwachstum und einem leicht rückläufigen Betriebsergebnis aus.

Der wachsende Preisdruck hatte den Konzern in den vergangenen beiden Jahren bereits gebremst und damals unter anderem zu Umsatzeinbußen bei seinen beiden Bestsellern, dem Atemwegspräparat Spiriva und dem Herzmittel Micardis geführt. Hinzu kam die anhaltende Debatte um mögliche Sicherheitsrisiken beim Gerinnungshemmers Pradaxa, ein Mittel, das zur Schlaganfall-Prophylaxe eingesetzt wird, dessen Erlöse 2014 ebenfalls unter Druck geraten waren. Diese Schwächen konnte Boehringer 2015 zumindest teilweise überwinden. Während das inzwischen weitgehend patentfreie Micardis weiter Umsatz verlor, konnten die Erlöse mit Spiriva und Pradaxa erstmals wieder moderat gesteigert werden.

Barner zeigt sich zuversichtlich, dass sich die beiden Produkte auch in den kommenden Jahren gut im Markt behaupten können. Spiriva verliert in Europa zwar demnächst den Patentschutz, ist in den USA inzwischen aber auch für die Asthmabehandlung zugelassen. Außerdem brachte Boehringer mit Spiolto ein neues Kombinationsprodukt gegen die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) auf dem Markt, in dem Spiriva mit einem weiteren Wirkstoff kombiniert ist.

Für Pradaxa gelang es dem Konzern im vergangenen Jahr ein Gegenmittel auf den Markt zu bringen, das die Wirkung des Gerinnungshemmers im Falle schwerer Blutungen oder nötiger Operationen kurzfristig aufheben kann. Barner zeigt sich zuversichtlich, dass damit auch das Vertrauen in das Pradaxa wieder gestärkt wird.

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