BP-Energieprognose Tankstelle wird zum Brennpunkt der Energiewende

Nirgendwo wird so viel Erdöl verbrannt wie im Verkehrssektor. Die Zapfsäule ist der heilige Gral der Ölmultis. Doch auf lange Sicht löst die Petrochemie Autos und Flugzeuge als Wachstumstreiber ab. Eine Zeitenwende.

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Tankstellen sind das Aushängeschild der Ölkonzerne. Quelle: dpa

Berlin Erdöl ist aus unserem Leben kaum noch wegzudenken. Der Rohstoff steckt in unzähligen Produkten unseres Alltags. Die Sohlen unserer Schuhe bestehen ebenso aus Erdöl wie Plastiktüten, Zahnbürsten oder Computertastaturen. Mit Ölkonzernen wie BP, Shell oder Exxon verbinden die meisten von uns aber vor allem eines: die Zapfsäule. Das hat einen guten Grund: Nirgendwo wird weltweit mehr Öl verbrannt als im Verkehrssektor. Mehr als 60 Prozent der weltweiten Ölnachfrage basiert darauf, dass unsere Autos mit Benzin und Diesel betankt werden und Flugzeuge mit Kerosin.

Tankstellen sind das Aushängeschild der Ölkonzerne. Der britische Multi BP geht zwar davon aus, dass das zunächst auch so bleiben wird. Denn das Wachstum der Ölnachfrage werde auch in den nächsten Jahren noch zu zwei Dritteln vom Transportsektor befeuert, schreiben die Analysten des Konzerns in ihrer alljährlichen langfristigen Energieprognose. Doch in dem Energy-Outlook, den BP am Mittwoch veröffentlichte, kündigt sich parallel eine Zeitenwende an.

Ab 2035 dürfte der wichtigste Wachstumstreiber bei der Ölnachfrage nicht mehr der Verkehrssektor, sondern die Industrie sein. Konkret soll in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten nicht mehr das Betanken von Autos, Lastwagen oder Flugzeugen die wichtigste Quelle bei der Ölnachfrage sein, sondern die Herstellung von Plastik, Fetten, Ölen, Medikamenten und anderen petrochemischen Produkten. Diese Entwicklung sei „ein ziemlicher Wandel“ in Bezug auf vergangene Energieprognosen, sagt Spencer Dale, Chefökonom von BP.

Die Bedeutungsverschiebung von Transport hin zu Petrochemie ist für Ölkonzerne ein „zweischneidiges Schwert“, sagte John Feddersen dem Handelsblatt. Aus der Sicht des Direktors des Energieberatungsunternehmens Aurora Energy Research reduziere diese Entwicklung zwar den Einfluss der Klimapolitik auf das Geschäftsmodell der Multis, weil die petrochemische Nutzung von Öl nahezu keine weiteren CO2-Emissionen verursache.

Gleichzeitig ist damit aber das vertikal integrierte Geschäftsmodell der Konzerne bedroht – von der Ölförderung bis zum Absatz an der Tankstelle. „Die Ölkonzerne werden sich anpassen müssen“, sagt Feddersen. Denn bisher haben die meisten Rohstoffriesen entweder gar kein oder nur ein relativ unbedeutendes Petrochemie-Geschäft. Der Fokus der Unternehmen liegt aktuell fast ausschließlich auf dem Kraftstoffgeschäft, so Feddersen. Der Ökonom ist überzeugt: Tankstellen werden immer stärker zum „Brennpunkt der Energiewende im Verkehrssektor“.

Elektroautos, rückläufiger Spritverbrauch, neue Mobilitätskonzepte: Schon jetzt gerät das Geschäftsmodell von klassischen Tankstellen zunehmend unter Druck. Denn allein binnen des nächsten Jahrzehnts wird der Kraftstoffverbrauch nach Berechnungen der Unternehmensberatung Roland Berger aufgrund von effizienteren Motoren um gut 30 Prozent zurückgehen. Neue Mobilitätsangebote wie Carsharing wirken sich zudem negativ auf das Geschäftsmodell von Tankstellen aus. Der Grund: Wer sich sein Auto teilt, braucht weniger Sprit.


Da sind „erhebliche Investitionen“ vonnöten

„Die globale Energielandschaft ist im Wandel“, sagte Bob Dudley. Der Vorstandsvorsitzende von BP ist überzeugt, dass sich seine Industrie mehr als je zuvor auf bevorstehende Umwälzungen einstellen muss. Die Analysten seines Unternehmens glauben aber nicht, dass das Elektroauto zum Sargnagel der Ölindustrie werden wird. BP prognostiziert in seinem Energy-Outlook zwar, dass die Anzahl der Elektroautos von aktuell etwa 1,2 Millionen Fahrzeugen auf 100 Millionen Elektrowagen im Jahr 2035 ansteigen wird. Gleichzeitig würde diese Anzahl an Stromern nur fünf Prozent der gesamten weltweiten Fahrzeugflotte entsprechen. Im Umkehrschluss hieße das – der Verbrennungsmotor hat nach lange nicht abgedankt.

Gleichwohl weist BP darauf hin, dass das Zusammenspiel von Elektroautos und autonomem Fahren einer der größten Unsicherheitsfaktoren in Bezug auf die Ölnachfrage ist. So halten beispielsweise die Energieexperten von Aurora Energy Research auch ein anderes Szenario für möglich – dass Elektroautos bis 2035 eine globale Marktdurchdringung von bis zu 30 Prozent erreichen. Freilich hebt auch Aurora hervor, dass sich die prognostizierten Absatzzahlen von Elektroautos bisher meist als viel zu optimistisch erwiesen haben.

Energieökonom John Feddersen sieht bei den Ölkonzernen dennoch auf vielen Ebenen Handlungsbedarf. Die Raffinerien der Unternehmen müssten ihren Produktmix anpassen, um die stärkere Nachfrage nach petrochemischen Produkten besser abdecken zu können. Dazu seien mittelfristig „erhebliche Investitionen“ vonnöten, sagt Feddersen. Um für die voranschreitende Transformation der Energie- und Transportwelt gerüstet zu sein, würden sich zwei mögliche Strategien abzeichnen.

„Auf der einen Seite verschieben Unternehmen wie Statoil und Dong ihren Kapitaleinsatz sehr deutlich von Öl und Gas hin zu Erneuerbaren Energien. Auf der anderen Seite, verstärken Unternehmen wie Engie und Centrica ihre Aktivitäten in bisherige Randgebiete der Energieversorgung wie kundennahe Dienstleistungen, Smart Home, Demand-Side-Management und Speicherlösungen“, erklärt Feddersen.

Weiter wie bisher können die Ölmultis jedenfalls nicht machen. Alleine bei BP schoss seit dem Beginn des Ölpreisverfalls 2014 die Nettoverschuldung um gut ein Drittel in die Höhe – auf aktuell mehr als 32 Milliarden Dollar. Gleichzeitig erodieren die Umsätze und Gewinne. Langfristig gefährdet der Vormarsch von erneuerbaren Energien und eine restriktive Klimaschutzpolitik das Geschäft der milliardenschweren Konzerne.

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