Bob Dudley ist ein Veteran der Branche. Der Amerikaner an der Spitze des britischen Ölgiganten BP kennt die Krise in den 80er-Jahren noch aus eigener Anschauung und warnte bereits vor einem Jahr vor einem „tosenden Sturm“, der angesichts des Ölpreisverfalls auf die Branche zusteuere. Umso genauer hörten die Experten nun wieder hin, als der 60-jährige Manager mit der langen Erfahrung und den schütteren Haaren bei der Vorlage der Jahreszahlen an diesem Dienstag seine Sicht auf die Entwicklung der Branche kundtat. Und erneut wählte Dudley deutliche Worte.
„Der Konzern muss sich rasch dem veränderten Marktumfeld anpassen“, mahnte der BP-Chef am Dienstag, als er in der Firmenzentrale am feinen Londoner St. James's Square über die Lage der Branche sprach. Was der Vorstandsboss nicht sagte, aber jeder an den Ziffern sah: Noch hat BP bei dieser Übung durchaus Luft nach oben.
Was Sie über den Ölpreis wissen müssen
Da Öl ursprünglich in Fässern abgefüllt wurde - Barrel im Englischen -, wird diese Maßeinheit in der Branche bis heute verwendet. Ein Barrel sind 159 Liter.
Die steile Talfahrt begann Mitte 2014, bis Anfang 2016 hatte sich der Preis mehr als gedrittelt. Seitdem hat sich der preis wieder erholt, bleibt aber weiter weit hinter früheren Niveaus zurück. Hintergrund ist ein knallharter Wettbewerb zwischen den klassischen Ölförderern wie Saudi-Arabien und neuen Konkurrenten, die Rohöl mit der aufwendigen Fracking-Methode aus Schiefergestein lösen, allen voran in den USA.
Rohöl ist nicht gleich Rohöl. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Sorten – je nach Region. Alleine der Finanzinformationsdienst Bloomberg listet mehr als 100 Stück auf, wovon allerdings nur wenige große Bedeutung haben. Als Richtwert am Finanzmarkt gilt das US-Rohöl West Texas Intermediate (WTI). Eine weitere wichtige Sorte ist das Nordsee-Öl Brent.
Bei den Ölsorten gibt es gravierende Unterschiede bei der Qualität, was auch zu merklichen Preisunterschieden führt. So kann etwa die Sorte North Dakota Sour in der Raffinerie nur schwer verarbeitet werden, weil sie stark schwefelhaltig ist. Das schlägt sich auch im Preis nieder.
Für US-Öl und Brent-Öl werden die Preise über das Spiel von Angebot und Nachfrage gebildet. Aber auch diese Sorten können eine Vielzahl von unterschiedlichen Preisen haben, was daran liegt, dass sie in sogenannten Future-Kontrakten gehandelt werden. Der Käufer erwirbt dabei Rohöl mit unterschiedlichen Lieferdaten. Der am meisten gehandelte und damit für die Anleger wichtigste Future-Kontrakt läuft über einen Monat.
Auch die Ölsorten des Ölkartells Opec (Organisation erdölexportierender Länder) sind für die Weltwirtschaft von hoher Bedeutung. Von der Opec-Zentrale in Wien wird einmal täglich der sogenannte Opec-Korbpreis ermittelt. Hierfür melden alle Mitgliedstaaten des Ölkartells ihre jeweiligen Ölpreise, dann wird der sogenannte Korbpreis aller 13 Opec-Sorten errechnet. Dieser Durchschnittspreis wird allerdings immer mit einem Tag Verzögerung veröffentlicht und spiegelt daher nicht die neueste Entwicklung wider.
Es ist eine tiefe Bremsspur, die der freie Fall der Ölpreise in den Büchern des britischen Energiemultis hinterlässt. Mit 6,5 Milliarden Dollar fährt BP den höchsten Jahresverlust seit mindestens 20 Jahren ein. Selbst 2010, als BP Belastungen aus der verheerenden Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko verbuchte, war das Ergebnis nicht so schlecht. Allein im Schlussquartal summierten sich die Wertberichtigungen wegen des Ölpreis-Verfalls auf 2,6 Milliarden Dollar, wie Dudley zähneknirschend darlegte. Der Ölpreis ist vergangenes Jahr wegen des weltweiten Überangebots um rund ein Drittel eingebrochen. Seit Mitte 2014 beträgt das Minus sogar 70 Prozent.
Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn zu Wiederbeschaffungskosten schrumpfte im vierten Quartal 2015 auf 196 Millionen US-Dollar – drastisch weniger als erwartet und auch schwächer als der Rivale Shell. Im Vorjahreszeitraum hatte der Gewinn von BP noch 2,2 Milliarden Dollar betragen.
Die Marktteilnehmer waren zwar auf einen Gewinnrückgang vorbereitet gewesen, allerdings nicht auf so einen so drastischen. Die von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragten Analysten hatten im Schnitt mit einem bereinigten Gewinn von 815 Millionen Dollar im Schlussquartal gerechnet. Die Reaktion der Börse fiel deutlich aus. Die Aktie rutschte am Vormittag um fast 7 Prozent ins Minus.
„Das sind sehr enttäuschende Zahlen“, sagte etwa Öl-Analyst Ahmed Ben Salem von der französischen Investmentbank Oddo. Sollte der Ölpreis weiterhin um die Marke von 30 Dollar pendeln, dann seien zusätzliche Sparmaßnahmen unumgänglich.
Auch Shell und Exxon hart getroffen
BP ist mit seinen Problemen nicht allein. Beim britisch-niederländischen Energieriesen Shell, der als erster großer Ölkonzern seine Zahlen vorgelegt hat, sackte allein im Schlussquartal 2015 der bereinigte Gewinn - eine für das Unternehmen wichtige Kennziffer – nach vorläufigen Zahlen auf 1,6 bis 1,9 Milliarden US-Dollar ab. Ein Jahr zuvor waren es noch 3,3 Milliarden Dollar gewesen.
Die gesunkenen Ölpreise setzen auch dem US-Branchenriesen Exxon Mobil immer heftiger zu. Im vierten Quartal fiel der Überschuss um 58 Prozent auf 2,78 Milliarden Dollar, teilte der Konzern am Dienstag mit. Die Produktion von Öl und Gas legte dagegen um 4,8 Prozent zu.
Auch Chevron hat mit einem Einbruch zu kämpfen: Im vierten Quartal schlug ein Verlust in Höhe von 588 Millionen Dollar zu Buche, wie der gemessen am Börsenwert zweitgrößte US-Ölkonzern bereits mitteilte. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum hatte das Unternehmen noch einen Gewinn von 3,5 Milliarden Dollar erzielt. Der Umsatz sank um mehr als ein Drittel auf 29 Milliarden Dollar.
Analysten zufolge werden die Investitionen der Branchengrößen 2016 auf den niedrigsten Stand seit sechs Jahren fallen – auf dann 522 Milliarden Dollar. 2015 wurden sie um 22 Prozent auf jetzt 595 Milliarden Dollar gekürzt. Es wäre das erste Mal seit 1986, dass die Branche in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ihre Investitionen drosselt. Bei BP summierten sie sich 2015 auf 18,7 Milliarden Dollar. Ursprünglich war mit 24 bis 26 Milliarden Dollar geplant gewesen. 2016 sollen die Investitionen am unteren Ende der prognostizierten Spanne von 17 bis 19 Milliarden Dollar liegen.
So unbarmherzig der BP-Boss auch seine Geschäftseinheiten nach Einsparungspotenzialen durchforstet, so großzügig bleibt der britische Gigant deshalb weiterhin gegenüber seinen Aktionären. Die Aktionäre sollen für das vierte Quartal eine Dividende von 10 Cent je Aktie erhalten. Ähnlich wie bei anderen großen Ölkonzernen sind auch für die Briten Dividendenkürzungen tabu. Lieber streicht das Unternehmen seine Kosten – und nimmt dafür das Risiko von Nachschubengpässen in Kauf, wenn jetzt zu wenig neue Öl- und Gasfelder erschlossen werden.
Denn in der Branche, die derzeit alles auf dem Prüfstand stellt, gehören die Ausschüttungen zu den wenigen Ausnahmen. „Unsere oberste Priorität“, stellt Dudley klar, „bleibt die Sicherung der Dividende.“