Carsharing in der Großstadt Eine Belastung für die Umwelt?

Es könnte nicht einfacher sein: Man verlässt das Haus, zückt eine Karte und hat ein Auto. Carsharing empfinden viele als praktisch. Doch diese Form der Mobilität birgt auch Nachteile – vor allem für die Umwelt.

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Die Autos sind für die Nutzer meist leicht zugänglich. Quelle: dpa

Berlin Abends an der Haltestelle. Verabredet, die Zeit drängt, kein Bus in Sicht – aber ein Carsharing-Auto. Schnell die Mitgliedskarte dranhalten, einsteigen, losfahren. Komme der Bus, wann er wolle. So beschreiben Kritiker zumindest die Nutzer stationsloser Leihwagen-Angebote, wie sie in Großstädten aus dem Boden sprießen.

„Das führt die Idee des Carsharing ad absurdum“, sagt etwa Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Statt weniger Autos sei mehr Motorverkehr die Folge – und so auch mehr Schadstoffe und Stau. Von den Anbietern kommt jedoch Widerspruch. Gut 1,7 Millionen Deutsche sind nach Branchenangaben inzwischen für Carsharing registriert, über ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Das Wachstum entfällt vor allem auf stationslose Anbieter, die ihre Wagen über die Straßenränder der sieben größten deutschen Städte verteilen. Dahinter stehen besonders Autobauer wie Daimler (Car2go), BMW (DriveNow) oder Citroën (Multicity).

Diese „Free-floating“-Angebote vereinen drei Viertel der Kunden auf sich. Die klassischen stationsbasierten Anbieter wachsen langsam und in kleineren Städten. Carsharing-Verfechter sprechen schon mal von „Klimaschutz durch Autofahren“. Ein Wagen ersetze mehrere Privatautos, betont die Branche seit Jahren. Doch stimmt diese Argumentation noch?

Der Geograf Stefan Weigele hat nachgerechnet. Schon 2014 wertete er in seiner Hamburger Beratungsgesellschaft Civity Millionen Datensätze stationsunabhängiger Fuhrparks aus. Ergebnis: Viele Fahrten sind nur wenige Kilometer lang und führen nach Feierabend allenfalls von einem Szeneviertel ins nächste – oft trotz Bus-Monatskarte im Portemonnaie. „Bequemlichkeitsmobilität“ als „Ersatzprodukt für das Fahrrad, den öffentlichen Verkehr und das Taxi“, nennt Weigele das.

Warum also das Ganze? Für die Autobauer sieht die Untersuchung einen Milliardenmarkt. Das bequeme Carsharing ohne Station bringe auch neue Nutzer auf den Auto-Geschmack, vermutet Branchenexperte Stefan Bratzel. Er spricht sogar von einer „Einstiegsdroge in das Autofahren“. Daimler formulierte vor einer Weile, eine Fahrt mit Car2go sei letztlich immer auch eine Probefahrt mit dem Smart. Und inzwischen wurde die Modellpalette um Mercedes-Wagen ergänzt.

Das Bundesumweltministerium will solche Effekte nicht ausschließen – geht aber auch nicht ganz mit. „Einstiegsdroge oder Methadonpräparat? Ich glaube, es wird ein Mix sein“, sagt Staatssekretär Jochen Flasbarth. Carsharing mache den Verkehr an sich umwelt- und stadtverträglicher. Das Freiburger Öko-Institut solle dieser Frage nun genauer nachgehen.


„eine Verkaufsförderung für die Autoindustrie“

Das Ministerium hat schon einmal forschen lassen. Ein Vergleich des stationsbasierten Dienstes Flinkster mit den frei verfügbaren Autos von DriveNow ergab: Bei Flinkster haben mehr Kunden kein eigenes Auto, und es planten auch weniger, sich eines zuzulegen. DriveNow betont indes, dass jedes seiner Autos drei Privatwagen ersetze.

Der Branchenverband kommt – unter Idealbedingungen – sogar auf bis zu 20 Privatwagen, die pro Carsharing-Auto von den Straßen verschwinden. Diese Studie stützt sich jedoch auf ausgewählte stationäre Angebote. „Free-floating-Systeme ziehen offensichtlich Haushalte stärker an, die am privaten Autobesitz festhalten“, heißt es beim Verband. Die Untersuchungen der vergangenen Jahre gäben dennoch Hinweise auf eine insgesamt positive Umweltbilanz, betont Geschäftsführer Willi Loose.

Die Umwelthilfe will das Auto-Teilen auch nicht gänzlich verteufeln. „Die stationären Carsharing-Konzepte, die mit viel Herzblut und Pfiffigkeit gemacht sind, sind wunderbar – selbst wenn damit nur ein Zweitwagen verhindert wird“, räumt Geschäftsführer Resch ein. Er warnt Kommunen aber davor, Carsharing etwa durch kostenlose Parkplätze und reservierte Stellflächen zu fördern – Möglichkeiten, wie sie ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht.

„Das ist eine Verkaufsförderung für die Autoindustrie“, kritisiert Resch. Die einzige Lösung für Verkehr und Umwelt sei letztlich, Busse und Bahnen besser und günstiger zu machen – anstatt sie durch Carsharing zu kannibalisieren.

Die Bus- und Bahnbetreiber sehen jedoch noch keine Bedrohung – zu klein sei der Konkurrent. „Wie viele Fahrzeuge bräuchte man, um nur eine U-Bahn-Linie in Berlin zu ersetzen?“, fragt Lars Wagner vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. „Und wo sollten diese zusätzlichen Fahrzeuge alle noch fahren? Die Straßen sind doch schon voll.“ Die Lösung liege in Kooperationen beider Welten, wie es sie teilweise schon gebe, um mit Carsharing Lücken im Netz zu schließen.

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