CEO-Wechsel Der neue Bayer-Chef – fünf Baustellen, eine Mission

BIll Anderson hat von seinem Vorgänger bei Bayer etliche Probleme geerbt. Quelle: PR

Die Ära Baumann ist zu Ende, der Amerikaner Bill Anderson übernimmt den Chefposten bei Bayer. Wird nun alles besser für die gebeutelten Aktionäre? Der Neue erbt viele Probleme, bringt aber auch einige Ideen mit.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

In den vergangenen Tagen hat sich Bill Anderson immer wieder mit wichtigen Investoren zusammengeschaltet. In Einzelgesprächen beantwortete er ihre Fragen. Vor allem hörte Anderson zu. Wollte wissen, was die Investoren von Bayer erwarten. Anderson selbst hat womöglich auch viele Fragen zu Bayer: Der Amerikaner ist noch neu im Konzern. Erst seit dem 1. April gehört er dem Vorstand an, zuvor stand er in Diensten der Pharmakonzerne Roche und Biogen. Am heutigen 1. Juni übernimmt Anderson den CEO-Posten von Werner Baumann.

Was auffällt: Anderson präsentiert sich leger, trägt unter dem Sakko ein farblich abgestimmtes T-Shirt. „Anderson ist sehr viel lockerer im Auftreten als sein Vorgänger, der immer etwas steif wirkt“, sagt Markus Manns, Portfolio-Manager beim Bayer-Aktionär Union Investment, „insbesondere bei den amerikanischen Investoren dürfte Anderson damit deutlich besser ankommen als Baumann“. Es ist nicht der einzige Unterschied. Anderson werde nicht so sehr ins Risiko gehen wie Baumann, sagt Manns: „Noch mehr Risiken, als Baumann es mit der Monsanto-Übernahme gemacht hat, kann man als Bayer-Chef ohnehin kaum eingehen.“

Trotz anschwellender Klageflut hatte Baumann die Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto durchgezogen. Zehntausende Amerikaner machen den Unkrautvernichter-Wirkstoff Glyphosat, von Monsanto entwickelt, für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Bayer bestreitet einen Zusammenhang. Weil Bayer die ersten Prozesse verlor, hat sich der Aktienkurs unter Baumanns Ägide in etwa halbiert. Bayer hat bereits Milliarden für Vergleiche ausgegeben. Und ein Ende der Rechtsstreitigkeiten ist nicht in Sicht.

Wird nun unter Bill Anderson alles besser? Der neue CEO hat durchaus einige Ideen. Doch vor allem hat er von seinem Vorgänger etliche Probleme geerbt. Vor allem fünf Punkte stehen auf Andersons Agenda:   

1. Glyphosat-Prozesse beenden

Das Glyphosat-Drama hat Konzernchef Werner Baumann nahezu seine gesamte Amtszeit verfolgt. Einige Male wähnte er sich kurz vor dem Ziel – doch dann rückte eine Einigung wieder in weitere Ferne. Baumann hat die Risiken des US-Rechtssystems kolossal unterschätzt – und keine passende Strategie gefunden. Vielleicht beweist der Amerikaner Anderson dabei ein besseres Händchen, hoffen viele Investoren – etwa Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, einem der größten Bayer-Aktionäre. Wie eine Lösung im Glyphosat-Streit aussehen könnte, wann es so weit sein könnte – darüber wagt bei Bayer niemand eine Prognose.  

2. Aktionäre gewinnen

Für die gebeutelten Bayer-Aktionäre kann es unter Anderson fast nur besser werden. Große Teile des Kapitalmarktes misstrauten Vorgänger Baumann, nachdem der kurz vor seinem Amtsantritt im Mai 2016 von einer „Evolution“ der Strategie gesprochen hatte – und kurz darauf Monsanto ein Übernahmenagebot machte. Die Aktionäre wurden kalt erwischt – und mussten später noch einen massiven Wertverlust ihrer Aktien hinnehmen. Damit ihre Papiere wieder an Wert gewinnen, fordern manche Anleger nun eine Aufspaltung des Drei-Säulen-Konzerns (Agrar, Pharma, rezeptfreie Medikamente). Oder eine Abtrennung der Sparte für rezeptfreie Medikamente („Consumer Health“). Gegen Ende des Jahres wird Anderson erklären müssen, was er von solchen Plänen hält.



3. Pipeline stärken

In wenigen Jahren laufen die Patente für die Top-Medikamente Xarelto (Blutgerinnung) und Eylea (Augen) aus. Um den Umsatzschwund zu minimieren, müssen neue Präparate her. Zuletzt hat Bayer erfolgreich neue Medikamente wie Kerendia (Nierenerkrankungen) und Nubeqa (Prostatakrebs) auf den Markt gebracht. Ansonsten ruhen die Hoffnungen vor allem auf dem Gerinnungshemmer Asundexian, dem Bayer ein Jahres-Spitzenumsatzpotenzial von mehr als fünf Milliarden Euro zutraut. Sicher ist das nicht. „Die Medikamenten-Pipeline von Bayer ist eher schwach“, sagt Portfolio-Manager Manns, „die Pipeline ist sehr stark auf den Gerinnungshemmer Asundexian konzentriert, dessen jüngste Studiendaten aber nur mittelgut waren. Anderson muss womöglich vielversprechende Medikamente, die sich noch in der Entwicklung befinden, von anderen Unternehmen zukaufen.“

4. Schulden abbauen

Die Nettoschulden Bayers betragen 32 Milliarden Euro – auch weil Bayer mehr für die US-Vergleiche ausgeben musste als gedacht. Dabei wollte Bayer mit dem Schuldenabbau eigentlich schon viel weiter sein. Anderson muss es nun richten. Falls er sich dazu entschließt, die Sparte Consumer Health zu verkaufen, würden wohl deutlich mehr als zehn Milliarden Euro in die Kasse fließen. 

Lesen Sie auch: Aktienanalyse Bayer – Spekulation auf 100 Prozent und mehr

5. Klimaneutral werden

Bayer will bis 2030 klimaneutral wirtschaften. Dafür soll vor allem Nachhaltigkeitschef Matthias Berninger sorgen – einer der wichtigsten Mitarbeiter für Anderson. Bislang sehen sich die Leverkusener dabei auf gutem Wege. So hat Bayer etwa den Ausstoß von Treibhausgasen verringert, von 3,7 Millionen Tonnen (2019) auf rund drei Millionen im vergangenen Jahr. Und den Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien steigerte Bayer von 24,7 Prozent im Jahr 2021 auf 32,6 Prozent für 2022. Zu tun bleibt allerdings noch genug, auch das Nachhaltigkeits-Rating von Bayer ist noch ausbaufähig.

Anderson will freilich auch eigene Akzente setzen. Vor allem treibt ihn eine Mission an: Der neue Bayer-CEO will Bürokratie abbauen, Abläufe beschleunigen, Hierarchien abbauen, Entscheidungen delegieren. So hat es Anderson schon bei Roche gehalten: Dort schaffte er überflüssige Meetings ab, strich Budgetrunden. Alles, was keine Verbesserung für Patienten bringt, stand zur Disposition. Anderson verlangt mehr Leistung, lässt Mitarbeitende mehr entscheiden, fördert Talente. Er will, dass sich seine Leute als Unternehmer im Unternehmen begreifen. Bei Roche habe er damit eine „neue Dynamik“ ausgelöst – sagen die einen. Andere sprechen von „Kollateralschäden“, vom „Kommen und Gehen“ in vielen Abteilungen.

Kaffee und Kram Lässt sich Tchibos Niedergang aufhalten?

75 Jahre nach der Gründung bröckelt die Geschäftsbasis von Tchibo. Konzernpatron Michael Herz stemmt sich gegen den Niedergang des Kaffeehändlers.

Eskalation der Geopolitik China bereitet sich auf künftige Sanktionen des Westens vor

China bereitet sich auf eine Eskalation der geopolitischen Konflikte vor – mit massiven Goldkäufen, neuen Handelsrouten und einer verstärkten Abkehr vom Dollar.

Ab ins Umland Die Stadtflucht erreicht eine neue Stufe

Familien und Ältere verlassen schon länger die Städte, um im Umland eine Immobilie zu erwerben. Doch jetzt greift die Stadtflucht auch auf andere Gruppen über.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

An Vokabeln wie „Empowerment“ und „Ownership“ müssen sich künftig auch viele Bayer-Beschäftigte gewöhnen. Auch dort will Anderson bereits zu viel Bürokratie ausgemacht haben, im mittleren Management könnte es zu Turbulenzen kommen. Einer, der Anderson bei Roche erlebt hat, ist sicher, dass er nun auch Bayer aufmischen wird: „Die Frage ist, für wen das der größere Kulturschock ist – für die Bayer-Belegschaft oder für Anderson.“

Lesen Sie auch: Was Bayer mit dem neuen CEO bevorsteht

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%